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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

381–383

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Perlitt, Lothar

Titel/Untertitel:

Deuteronomium 1–6*.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2012. IX, 485 S. = Biblischer Kommentar Altes Testament. Geb. EUR 119,00. ISBN 978-3-7887-2723-9.

Rezensent:

Eckart Otto

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Lundbom, Jack R.: Deuteronomy. A Commentary. Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2013. XXX, 1034 S. Kart. US$ 80,00. ISBN 978-0-8028-2614-5.


Wer einen Kommentar vom Format der hier anzuzeigenden verstehen will, muss ihn im Horizont der Geschichte seiner Entstehung in Jahrzehnten vor seiner endgültigen Publikation als Spiegel der wissenschaftlichen Biographie seines Autors sehen. Die beiden Kommentare zum Buch Deuteronomium sind tief in der Forschungsgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jh.s verankert und Ergebnis einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Buch des Pentateuchs. Die Formierung der die Kommentierungen tragenden Thesen geht jeweils auf die zweite Hälfte des 20. Jh.s zurück.
Prägender Ausgangspunkt für Lothar Perlitts Kommentar ist seine bahnbrechende Habilitationsschrift zur Bundestheologie im Alten Testament von 1969. 1985 weist Perlitt auf seinen in Vorbereitung befindlichen Kommentar hin (BEThL 68,157), so dass der Beginn der Kommentierung wohl in den 70er Jahren zu suchen ist. In diese Zeit fällt auch der für Jack R. Lundbom noch im Kommentar von 2013 die Entstehungsgeschichte des Deuteronomiums aufschlüsselnde Aufsatz in CBQ 38,1976, in dem er die These aufstellt, dass das Moselied in Dtn 32 das »Lawbook of the Josianic Reform« gewesen sei. In fast einem halben Jahrhundert sind die beiden Kommentare vorbereitet und verfasst worden, wobei es erstaunlich ist, dass die beiden Autoren bis zum Schluss nicht voneinander Kenntnis genommen haben. Das ist, was Lundbom betrifft, umso erstaunlicher, als Perlitt seit 1990 das Voranschreiten der Kommentierung bis Dtn 5 durch die Veröffentlichung von sieben Lieferungen dokumentiert und durch eine Reihe von Aufsätzen zum Deuteronomium begleitet hat. Dass die kontinental-europäische Deutero nomiumsforschung so konsequent von einem angelsächsischen Autor nicht berücksichtigt wird, wird sich im 21. Jh. nicht wiederholen.
Der Mangel wechselseitiger Kenntnisnahme dieser Deuteronomiumskommentatoren ist auch darin begründet, dass sie methodisch Welten voneinander entfernt sind. Während Perlitt die Literarkritik, die er 1985 in Leuven insbesondere gegen N. Lohfink programmatisch und bleibend verteidigt hat (BEThL 68, 149–157), in Dtn 1,1–5,21 filigran in der Differenzierung deuteronomistischer Fortschreibungen in Dtn 1–5 zur Anwendung bringt, arbeitet Lundbom mit einem recht groben Raster der Textentstehung. Dtn 1–28 soll hiskianisch-vorjosianisch sein mit Dtn 28,69 als Subscriptum. Die Begründung ist so einfach wie zirkulär bei derartigen Frühdatierungen des Deuteronomiums in die Zeit Hiskias, dass bereits unter Josia das Deuteronomium als »Bundesbuch« Autorität gehabt habe und also vorjosianisch gewesen sei. Dieses »Bundesbuch« sei von dem »Gesetzbuch« in Dtn 32, das Schaphan dem König Josia vorgelesen habe (2Kön 22), zu unterscheiden. Die Kapitel Dtn 29–30 seien eine erste vorjosianische Ergänzung von Dtn 1–28, an die nach dem Fund von Dtn 32 die Kapitel Dtn 31–34 in josianischer Zeit an-gefügt worden seien. Man ist dann aber doch erstaunt, dass diese Blöcke in Dtn 29–30/31–34 an das hiskianische »Urdeuteronomium« angefügt worden sein sollen, ohne dass aktualisierend in Dtn 1–28 eingegriffen wurde, was angesichts der zahlreichen literarischen Querbezüge zwischen diesen Kapiteln unwahrscheinlich ist. Auch entfällt die Frage der literarischen Einbindung des Deuteronomiums in den Pentateuch und die Vorderen Propheten in diesem Kommentar, die darauf geführt hätte, dass Dtn 29–34 losgelöst vom literarischen Kontext des Deuteronomiums im Pentateuch kaum pauschal vorexilisch zu datieren ist. Die von Lundbom skizzierte These zur Literaturgeschichte des Deuteronomiums hat für ihn den Vorteil, dass er von jeder Literarkritik dispensiert ist.
Was auf den ersten Blick sich als Schwäche des Kommentars zeigt, macht schließlich seine Stärke aus, insofern das Deuteronomium faktisch synchron gelesen wird, da sich die diachronen Annahmen in der Kommentierung kaum auswirken und nur am Rande darin zum Tragen kommen, dass Parallelen nur in vorexilisch datierten Textbereichen insbesondere eines pauschal früh datierten Jeremiabuches gesucht werden. Wird das Deuterono-mium faktisch synchron kommentiert, so kommt eine zweiter, bereits in den 70er Jahren formulierter Methodenansatz des Autors zum Tragen, den er »rhetorical criticism« nennt und den er 1975 am Jeremiabuch erprobt hat (SBLDS 18). Faktisch handelt es sich um die Suche nach textstrukturierenden Techniken wie Rahmung und Palindromie, die nur unter der Voraussetzung, dass im Jeremiabuch die ipsissima vox des Propheten Jeremia vorliege, als »rhetorisch« zu bezeichnen sind. Faktisch handelt es sich um literatur-ästhetische Beobachtungen, die Lundbom zum Deuteronomium macht, von denen er einige bereits in VT 46, 1996 vorgelegt und nun im Kommentar zur Anwendung gebracht hat. Für eine synchrone Strukturierung von Perikopen des Deuteronomiums haben sie ihren Wert, auch wenn sie eine durchgängige synchrone Strukturierung der Textaufbaus nicht ersetzen können, die davor bewahrt hätte, Dtn 4 in ein schlichtes palindromisches Schema zu gießen. Die Stärke des Kommentars sind die synchron auszuwertenden Strukturbeobachtungen des rhetorical criticism. Schließlich ist dem Autor für eine Fülle von religions- und rezeptionshistorischen Materialien in der Auslegung Vers für Vers zu danken, die jeder Interpret des Deuteronomiums dankbar zur Kenntnis nehmen wird.
Der Kommentar von Perlitt ist in vielerlei Hinsichten ein Ge­genstück zu dem von Lundbom. Da er mit Dtn 5,21, bedingt durch das Ableben des Autors im Oktober 2012, abbricht, bewegt er sich nur im deuteronomistischen Textbereich der Rahmung des Deu-teronomiums. Hatte Perlitt 1985 vehement die Literarkritik als methodischen Zugang zur Literaturgeschichte des Deuteronomiums verteidigt, so wendet er sie im Kommentar konsequent in der literarkritischen Unterscheidung von deuteronomistischen Fortschreibungen in diesen fünf Kapiteln an. Es spricht für seine sorgfältige und jeder schnellen Hypothesenbildung, die sich in der Flut deuteronomistischer Sigla niederschlägt, abholde Arbeitsweise, dass er auf Redaktionshypothesen, die aus der Literarkritik der Vorderen Propheten stammen, für das Deuteronomium, wo sie sich nicht bewähren, verzichtet hat. Trotz seines prinzipiellen Vorbehalts gegen Redaktionshypothesen war aber zu erwarten gewesen, dass er bei der Kommentierung des hinteren Deuteronomiumsrahmens auch noch zu substantielleren Zuordnungen der deuteronomistischen Fragmente im vorderen Deuteronomiumsrahmen, insbesondere, wie er mir einmal sagte, in Dtn 4, gekommen wäre. Insofern bleibt der Kommentar auch in dem, was zu Dtn 1–5 vorliegt, ein unvollendetes Fragment und kann nur als solches rezipiert werden. Dennoch ist Perlitts Kommentar ein zuverlässiger Ausgangspunkt für jede Auslegung dieser fünf Kapitel des Deuteronomiums. Generationen von Exegeten werden dankbar sein für den Ertrag von Jahrzehnten intensiver Arbeit an diesen Kapiteln des Buches Deuteronomium. Si monumentum requires …
Wir haben das Privileg, dass uns zwei wichtige Deuteronomiumskommentare geschenkt wurden, die sich diachron und synchron ergänzen und die Forschungsgeschichte des 20. Jh.s zum Buch Deuteronomium bündeln. Divergenzen der Methodik werden im 21. Jh. bleiben. Perlitt hat in der Kritik literaturästhetischer Ansätze, die s. E. die Diachronie vernachlässigen, Jacob Burckhardts Weltgeschichtliche Betrachtungen zitiert (BEThL 68,157): »Übrigens ist jede Methode bestreitbar und keine allgültige. Jedes be­trachtende Individuum kommt auf seinen Wegen, die zugleich sein geistiger Lebensweg sein mögen, auf das riesige Thema zu und mag dann diesem Weg gemäß seine Methode bilden«. Perlitt fügt dann hinzu, »Wellhausen sagte dasselbe bekanntlich kürzer: Es kommt nicht auf die Brille, sondern auf die Augen an!«
Dass die Kommentatoren des 21. Jh.s nicht nur die Brille wechseln, sondern die Sehschärfe der Kommentatoren des 20. Jh.s be­wahren und – wenn möglich – das Blickfeld erweitern, ist zu hoffen, wenn es darum geht, divergierende Methoden diachroner und synchroner Lesarten methodisch zu vermitteln und zu integrieren.