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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

373–375

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Mirjam, u. Ruben Zimmermann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Handbuch Bibeldidaktik.
Hrsg. unter Mitarbeit v. S. Luther u. J. Enners.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. XVIII, 748 S. m. Abb. = UTB M 3996. Kart. EUR 39,99. ISBN 978-3-8252-3996-1.

Rezensent:

Harald Schroeter-Wittke

Einerseits gilt die Bibel in vielen unterrichtlichen Settings als schwer vermittelbar. Andererseits hat die Bibeldidaktik in den letzten 30 Jahren einen starken Aufschwung erfahren, gepaart mit einer zunehmenden Pluralisierung von Methoden und Phänomenen des Bibelgebrauchs. Davon zeugen u. a. die bibeldidaktisch fo­kussierten Festschriften für Christine Reents (1999), Klaus Wege-nast (1999), Ingo Baldermann (2009) und Dietrich Zilleßen (2012). So war es an der Zeit, die verschiedenen neueren Entwicklungen in einem erschwinglichen Lehr- und Studienbuch zusammenzufassen, was dem vorliegenden Handbuch Bibeldidaktik gut gelingt.
Das Herausgeberpaar verbindet beide für die Bibeldidaktik notwendigen Professionen: Mirjam Zimmermann ist Professorin für Religionspädagogik in Siegen, Ruben Zimmermann Professor für Neues Testament in Mainz. Sie verstehen Bibeldidaktik in dreifacher Perspektive:
– Die Bibel lehren und lernen (Die Bibel als Bildungsgegenstand)
– Mit der Bibel lehren und lernen (Die Bibel als Lehrmedium)
– Durch die Bibel lehren und lernen (Die Bibel als Katalysator umfassenden
Lernens).
Dabei betonen sie »die grundsätzliche Unverfügbarkeit von gelingenden Lernprozessen«, woraus sich bibeldidaktisch zugleich ergibt: »Wenn biblisches Lernen Identitätsbildung und Lebensbewältigung ermöglicht, dann schließt das deshalb u. E. eine theologische Dimension immer schon mit ein.« (5) Ihr Handbuch Bibeldidaktik versteht sich daher als dezidiert theologische Aufgabe, was etwa durch den ersten und letzten Artikel sinnenfällig wird, die beide von Systematischen Theologen stammen und auf ihre Weise den theologischen Geltungsanspruch der Bibel thematisieren ( Georg Plasger, Bibel: Entstehung, Überlieferung, Kanonisierung, 25–30; Michael Weinrich, Die Bibel und der Exklusivitätsanspruch, 701–705). Das Handbuch basiert zudem darauf, dass didaktische Formen des Bibelgebrauchs Rückwirkungen auf exegetische Fragestellungen haben und umgekehrt.
Das Herausgeberpaar veranschaulicht die bibeldidaktische Aufgabe durch ein »bibeldidaktisches Dreieck« (7 u. 9) mit den gegenüberliegenden Faktoren Bibel und Rezipient sowie einer verbindenden Brücke. Dabei weisen alle drei Faktoren dieses Dreiecks jeweils in sich eine hohe Vielfalt auf, da es weder die Bibel noch den Rezipienten noch die Methode gibt. Vielmehr erweist sich die Pluralität der drei Faktoren als Quelle unendlicher, nicht beliebiger Verknüpfungen, so dass dieses Handbuch nicht auf Vollständigkeit angelegt ist. Auch bei der Auswahl der 100 Autorinnen und Autoren, von denen 20 katholisch sind, hat das Herausgeberpaar auf eine bunte Mischung aus Wissenschaft (mit Vertreterinnen und Vertretern aller theologischen Disziplinen) und Praxis gesetzt, so dass die einzelnen Artikel auch professionsverschiedene Zugänge bieten, die aber gleichwohl immer den Bogen von der Bibel zur didak-tischen Situation spannen.
Das Handbuch strukturiert Bibeldidaktik durch sieben Fokussierungen: Der 1. Fokus »Geschichte« enthält zehn Stichworte zur »Entstehungs- und Wirkungsgeschichte« (23–87) von der Kanonisierung über Archäologie und Sozialgeschichte bis hin zu Bibelübersetzungen. Der 2. Fokus »Inhalte« nimmt 30 »Texte und Themen« (89–263) in den Blick von Gott über Dekalog, Prophetie und die einzelnen Evangelien bis hin zu Taufe und Abendmahl, Johannesapokalypse und Eschatologie. Der 3. Fokus »Gestalten« skizziert in 21 Artikeln 28 »Personen und Figuren« (265–371) von Adam und Eva bis Paulus. Der 4. Fokus »Konzepte« reflektiert in 13 Artikeln die Stellung der Bibel innerhalb »religionsdidaktische(r) Entwürfe« (373–454) von der Liberalen Religionspädagogik bis zur kompetenzorientierten Religionsdidaktik. Dieser Fokus ist in seiner Konsistenz besonders gelungen, enthält er doch by the way ein Kompendium religionsdidaktischer Konzeptionen. Der 5. Fokus »Methoden« bietet 23 »Zugänge und Lernwege« (455–602), angefangen bei der historisch-kritischen Methode über Kinderbibeln, Bibliodrama und Bibliolog bis hin zu Bibel und moderne Literatu r/Kunst/Mu­sik/Film/Popkultur/digitale Welten sowie außerschulische Lern­-orte. Im 6. Fokus »Lernende und Lesende« wird die »Vielfalt der Rezipienten« (603–660) in zwölf Artikeln zur Sprache gebracht von Entwicklungspsychologie über die unterschiedlichen Schulformen und Lebensalter bis zum inklusiven Lernen. Der 7. Fokus »Pro-bleme« benennt zehn »Zugangs- und Verstehensschwierigkeiten« (661–705) von der »Zeitgemäßheit« über »Langeweile« bis hin zu den Stichworten »Antisemitismus« und »Gewalt«. Der Band enthält schließlich ein Bibelstellen- und ein Sachregister. In diesem Handbuch ist viel Gutes versammelt, was in der Praxis wertvolle Dienste leisten wird.
Auch wenn verständlicherweise nicht alles vorkommen kann, was in der Bibeldidaktik relevant ist, so habe ich dennoch einige Anfragen und Vermisstenanzeigen. Das betrifft besonders die Auswahl der biblischen Texte, die sich das Herausgeberpaar vor allem durch die schulischen Lehrpläne vorgeben lässt. Dann allerdings hätte ich mir im Artikel »Die Auferstehung Jesu und der Menschen« unter didaktischer Konkretion auch mehr gewünscht als die Empfehlung, eine Osternacht zu besuchen (162). Das ist gemeindepädagogisch sehr sinnvoll, aber für die Schule aufgrund der Ferien unmöglich. Ich vermisse das Stichwort Tora sowie das Stichwort Apokryphen. Überhaupt werden die Randfiguren der Bibel nicht thematisiert, wozu es zumindest einen Artikel hätte geben müssen, weil der Rand didaktisch ausgesprochen fruchtbar ist. Mir leuchtet es auch nicht ein, dass Mose und Mirjam in einem Artikel verhandelt werden (300–304), so dass Mose ausschließlich als historische Person mit einer Seite beleuchtet wird, aber nicht zur Geltung kommt, was Mose als Figur für Judentum und Christentum bedeutet. Das führt mich zu einem bisweilen unkoordinierten Kanonverständnis in den verschiedenen Artikeln. Während der Kanon insgesamt theologisch hoch geschätzt wird, wird nirgendwo verhandelt, dass es auch den Kanon nicht gibt. Dass Bibeln sehr unterschiedlich aufgebaut sind, was nicht ohne Konsequenzen für deren Inhalte ist, halte ich bibeldidaktisch für eine der größten Lernchancen, die hier ungenutzt bleibt und sogar in der Empfehlung mündet, man solle doch am besten nur Bibeln ohne Apokryphen im Religionsunterricht verwenden (76 u. 82). Dem korres-pondiert der fahrlässige Umgang mit der Bibelübersetzung im deutschen Sprachraum, die ihre Übersetzungskriterien wissenschaftlich am intensivsten reflektiert und transparent gemacht hat: Die Bibel in gerechter Sprache begegnet in den Artikeln zu Bibelübersetzungen und Bibelausgaben nur als Randbemerkung. Ihr großes bibeldidaktisches Potential wird völlig verschenkt. Als Methode vermisse ich die Reflexion des lauten Lesens bzw. Vorlesens, was allerdings auch noch kaum erforscht ist. Die Frage »Lesen Jungen und Mädchen die Bibel unterschiedlich?« (683–687) ist unter dem Fokus »Probleme« deplatziert, sie gehört in den Fokus »Lernende und Lesende«. Schließlich habe ich unter Inklusionsaspekten die Berücksichtigung sonderpädagogischer Fragen nach Menschen mit anderen geistigen Begabungen vermisst, für die z. B. ein Bibelgebrauch in Leichter Sprache einen vorzüglichen Zugang zum Wort Gottes darstellen kann.
Diese Anfragen schmälern jedoch nicht die Leistung dieses Handbuchs Bibeldidaktik, dem viele Leserinnen und Leser zu wünschen sind, die mit ihm in die Lage versetzt werden, an den Fragen, die sie umtreiben und/oder vermissen, selbständig weiterzuarbeiten.