Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2015

Spalte:

366–368

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Carleton Paget, James, and Joachim Schaper [Eds.]

Titel/Untertitel:

The New Cambridge History of the Bible. Vol. 1: From the Beginnings to 600.

Verlag:

Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2013. 1006 S. m. 9 Abb. Geb. US$ 199,99. ISBN 978-0-521-85938-7.

Rezensent:

Ekkehard Mühlenberg

In Ablösung der Cambridge History of the Bible (1970) werden der heutige Forschungsstand, die Forschungstendenzen und sogar neuere Forschungsfragen geboten. Der gewaltige Stoff ist in fünf Teile mit 37 Kapiteln von 37 Fachvertretern eingeteilt: I. Languages, Writing Systems and Book Production (Kapitel 1–4); II. The Hebrew Bible and Old Testaments (Kapitel 5–16); III. The New Testament (Kapitel 17–20); IV. Biblical Versions other than the Hebrew and the Greek (Kapitel 21–23); V. The Reception of the Bible in the Post-New Testament Period (Kapitel 24–37). Der Forschungsstand betreffs des 21. Jh.s scheint mir ausgeglichen vorgestellt zu sein; ungelöste Fragen werden benannt. Die Beiträge variieren von referierenden Essays bis zu kondensiertem Lexikonartikel. Die Herausgeber meinen, dass die Kapitel Nichtspezialisten und Studenten in die Anfangsgeschichte der Bibel einführen können. Ich habe den Eindruck, dass einige Kapitel erst in einsemestrigem Studieren verstanden werden können.
Über die materiellen Voraussetzungen für Buchproduktion im Alten Orient und in hellenistischer/römischer Zeit wird ausführlich berichtet; viel Neues gibt es nicht, obwohl die sozialen Fakten zu einigen Hypothesen ausgezogen werden. Warum die Christen sich die Codex-Form aneigneten, bleibt unerklärbar (Kapitel 3 u. 4). »Die Sprachen des Alten Testaments« in Kapitel 1 ist informativ. Das Griechisch der Septuaginta wie auch des Neuen Testaments wird natürlich Koine-Griechisch genannt; bei der Septuaginta wird zwischen den Übersetzungsmethoden einzelner Bücher unterschieden, während der Pentateuch auf die Bemühung literarisch Ungeschulter zurückgehe; für das Neue Testament wird auf semitisches Substrat und Übernahmen aus Septuaginta-Stil aufmerksam gemacht (Kapitel 2). Die Septuaginta-Studien (Kapitel 12) ge­hen in fast alle erdenkbaren Richtungen; vorsichtig wird deutlich gemacht, wo der feste Boden verlassen ist. Neuere Funde aus vorchristlicher Zeit (Qumran, Wadi Habra) verweisen auf früh einsetzende Revisionen der Septuaginta hin zu größerer Konformität mit der hebräischen Vorlage. Es wird zwar vorgeschlagen, anstelle von Septuaginta den Ausdruck »Old Greek« zu benutzen; aber nur we­nig wird über die Arbeitsweise gesagt, wie in einer kritischen Edi-tion der Text als Archetyp der Überlieferungszeugen erarbeitet werden kann. Nach meiner Kenntnis fehlt bei den Septuaginta-Studien der Grundbereich, nämlich die Umsetzung in die grie-chische Sprachwelt; sie ermöglichte das Philosophieren Philons von Alexandrien, und sie ermöglichte die christliche Theologie als Sonderfall von Platonismus und in Konkurrenz zum Neuplatonismus. Es sei nur an die griechischen Wörter für Seele, Gerechtigkeit, Erkennen und Erkenntnis, Wahrheit erinnert.
Über den Text der hebräischen Bibel informieren drei Kapitel. Eugene Ulrich (Kapitel 5) – in detaillierter Kenntnis der Qumran-Funde – folgert aus der Textgeschichte von Varianten die Annahme einer »sukzessiven literarischen Edition einzelner Bücher«; er geht dabei von einem Urtext aus, der von den Schreibern so gut als möglich bewahrt wurde. Ergänzt wird von John Barton (Kapitel 7) die Unterscheidung zwischen autoritativen Schriften und Kanon als festgelegter Sammlung autoritativer Bücher. Zu Ersteren formuliert er Kriterien, die solche Schriften mindestens ins 3. vorchrist-liche Jh. verweisen; zu »Kanonisierung« nimmt er das 1. nachchristliche Jh. an. Qumran hat also den Inhalt der hebräischen Bibel nicht verändert, sondern setzt ihn voraus. In Kapitel 16 be­schreibt E. Tov heutige Editionsprojekte der hebräischen Bibel. Dazwischen steht noch (Kapitel 6) der Versuch von J. Schaper, an­hand einer Literar- und Literaturgeschichte (vgl. Hermann Gunkel) das Entstehen der Hebräischen Bibel zu profilieren. Nur erwähnen kann ich das Kapitel 8 über Apokryphen und die fünf Kapitel über frühjüdische Auslegung und Anwendung der Bibel.
Das Neue Testament wird in Teil III behandelt, während in Teil IV über die Übersetzungsversionen der ganzen Bibel in die lateinische (Kapitel 21), die syrische (Kapitel 22) und koptische (Kapitel 23) Sprache einigermaßen übersichtlich informiert wird. Bei der Ka­nonfrage (Kapitel 17) ist Markion untergegangen, obwohl hier Hans von Campenhausen, positiv an Adolf von Harnack anschließend, die durch Irenäus zu beweisende Idee hatte, dass die apostolische Lehre aus bestimmten schriftlichen Belegen zu erheben sei. Der Terminus »Kirche« bleibt in diesem Kapitel eine unklare Luftblase. »Das Alte Testament im Neuen« (Kapitel 20) ist ein instruktiver und eigenwilliger Aufsatz von Dale C. Allison, Jr. Über die »Apokryphen« berichtet J. K. Elliott (Kapitel 19). Die Textüberlieferung und ihre Verwendung für eine kritische Ausgabe beschreibt David C. Parker in klar strukturierter Form und ausführlich (Kapitel 18, mit 43 Seiten der längste Beitrag). Es klingt wie eine Werbeschrift für die Editio critica maior. Aber man vermisst ein instruktives Beispiel für die lobenswerte Suche nach dem »Ausgangstext« (Archetyp der Überlieferung), zumindest in einem Literaturverweis. Denn Textkritik ist nach meiner Kenntnis bei den Neutestamentlern meist unterbelichtet, und zur Editio critica maior, z. B. nach Ab­schluss der Katholischen Briefe, habe ich noch keine Praefatio gesehen. Computergenerierte Datenmassen oder elektronisch bereitgestellte Materialien ersetzen nicht die minutiöse Denkarbeit angesichts des Überlieferungsbefundes.
Teil V mit den Kapiteln 24–37 (549–870) stellt Schriftauslegung in der antiken Christenheit vor. Alle bieten Informationen über heutige Interessen, zum Nachdenken anregende Beobachtungen nicht alle. Denn außerhalb der polemischen Abwehr von Häresie, in der sich viel Theologie bildete (vgl. Gregor von Nyssa), ist nach gnostischen Anfängen (Kapitel 25) seit Origenes die Schriftauslegung die Inspirationsquelle für die Entdeckung theologischer Gedanken. Dafür ist die Beschreibung exegetischer Methoden (vgl. die Kapitel über Origenes, Eusebius, Hieronymus und Augustin) von untergeordneter Bedeutung. Dazu kommen Übersichten zur »syrischen Exe­gese« (Kapitel 30), Formen wie Kommentar und Homilien mit über die Gattung der »Katenen« uninformierten Gemeinplätzen (Kapitel 34), aber auch die Bibel in der Liturgie (Kapitel 36) und »The Bible in popular and non-literary culture« (Kapitel 37 mit neun Bildern). Frances Young fasst ihre methodischen Beobachtungen zu­sammen, und ihre Übersicht zu »traditions of exegesis« in antiochenischer Schule und deren Gegenüber bei Kyrill von Alexandrien hätte sich mit der unterschiedlichen Auslegung der Versuchungsgeschichte profilieren lassen. Eigenständige Aufsätze sind W. Kinzig über die Bibel bei den Nichtchristen und Christengegnern (Kapitel 33) und der Beitrag von Th. Graumann über die Bibel in synodalen Debatten (Kapitel 35). Mark Edwards schreibt einen nachdenkenswerten Essay über »Figurative readings: their scope and justifica-tion« (Kapitel 31).
An 870 Seiten Text schließt sich eine ausgewählte Bibliographie (871–912) an. Im ersten Teil: »Quellenschriften« sind bei einigen christlichen Autoren nur die englischen Übersetzungen genannt. Die Sekundärliteratur ist alphabetisch nach Autoren geordnet; sie enthält einige Titel, die nirgendwo in Anmerkungen erscheinen, und außerdem sind die Angaben in den Anmerkungen abgekürzt ohne Jahreszahl, so dass erst beim Nachschlagen die Beziehung zur übrigen genau angegebenen Literatur erkennbar wird. Genannte Handschriften sind indiziert. Für die Bibel, Qumran und rabbinische Quellen gibt es ein Stellenregister. Der analytische Index ist ausgezeichnet.
Das dicke Buch ist lesenswert, und da es gut gebunden ist, lässt es sich aufgeschlagen auf den Schreibtisch legen.