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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

761–763

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Schneider, Bernhard

Titel/Untertitel:

Katholiken auf die Barrikaden? Europäische Revolutionen und deutsche katholische Presse 1815-1848.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1998. 413 S. gr.8 = Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen, 84. Lw. DM 108,-. ISBN 3-506-79989-4.

Rezensent:

Klaus Fitschen

Die Bedeutung der Presse für die innerkatholische Meinungsbildung vor und im Jahre 1848 ist in den letzten Jahren vielfach thematisiert worden. Prominentere Zeitschriften wie die "Historisch-Politischen Blätter", die "Theologische Quartalschrift" oder "Der Katholik" gehören zum festen Inventar einer Geschichte des Katholizismus vor (und in diesen Fällen auch nach) 1848. Die vorliegende Untersuchung - eine Freiburger katholisch-theologische Habilitationsschrift - wertet eine weit darüber hinausgehende Zahl katholischer Periodika aus den Jahren 1815-1848 aus. Der Vf. zieht jeweils die "Meinungsführer" bestimmter Denkrichtungen heran. Durch die Auswertung dieser Quellen, die an vielen Stellen mit der aktuellen Forschungsdiskussion (etwa im Blick auf Belgien) verschränkt wird, erreicht der Vf. sein in der Einleitung (17) genanntes Ziel, "die pluriforme Binnenstruktur des deutschen Katholizismus" deutlicher herauszuarbeiten und der medialen Kommunikation des deutschen Katholizismus mit den europäischen Katholizismen nachzuspüren. Dabei konnten Irland und Polen aus nachvollziehbaren Gründen aber nicht berücksichtigt werden (18f.). Das Jahr 1848 wird sinnvollerweise als "Wendepunkt" für die katholische Publizistik ausgeklammert (26).

Im I. Kapitel ("Katholische Presse 1815-1848") gibt der Vf. einen Überblick über das Quellenmaterial: Regionale Schwerpunkte werden benannt (etwa Freiburg und Mainz), ebenso der Kreis der Herausgeber und Redakteure (zumeist Kleriker), ferner die unterschiedlichen Ausrichtungen der Zeitschriften (wissenschaftliche, praktisch orientierte, Blätter für das "Volk", nämlich das Bürgertum, unterhaltende), außerdem Auflagenzahlen und Reichweiten. Trotz der zunehmenden ultramontanen Dominanz spielten auch aufklärerische und staatskirchlich gesonnene Blätter eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Mit dem II. Kapitel ("Elementare Bedrohung: Französische Revolution und Napoleonische Herrschaft") nimmt der Vf. sein Leitthema auf. Das Gesamtergebnis dieses Kapitels und der folgenden (III. "Eine verpaßte Chance? Die Jahre der Restauration in Frankreich"; IV. "Modell oder Irrweg? Julirevolution und Julimonarchie"; V. "Eine katholische Revolution? Belgien 1830"; VI. "Belgien als Problem und Ideal: Der neue Staat nach 1830") ist die Herausarbeitung der Ambivalenzen in der Publizistik zum Thema Revolution - sie sind schon aus den Kapitelüberschriften zu erkennen. Auch wenn die Französische Revolution geradezu dämonisiert wurde, meinte man doch ihr vorausgehende Ursachen zu erkennen, nämlich die Aufklärung, den Gallikanismus und einen allgemeinen Sittenverfall. Diese Analyse bot Lehren für die Gegenwart der Jahre vor 1848 (176-178).

Durchaus auffällig ist, daß die Restauration in Frankreich in der deutschen katholischen Presse oft auf Ablehnung stieß. Der Hauptgrund dafür war die erneute Einbindung der Kirche in den Staat, und hier zeigte sich der Einfluß Lamennais’ (206), der im übrigen sehr häufig als Anreger oder Widerpart in der publizistischen Auseinandersetzung zu erkennen ist. So konnte die Julirevolution trotz ihrer weitgehenden Ablehnung gelegentlich sogar positiv gesehen werden (250). Schon vor 1830 hatte sich das Interesse der Presse und somit ihrer Leser nicht nur auf Frankreich, sondern auch auf Belgien gerichtet. Der innerbelgische Kampf um die von Lamennais angeregte Union von politischen Liberalen und Katholiken wurde auch in der deutschen katholischen Presse geführt: Während ultramontane Periodika den damit verbundenen Ruf nach Freiheit der Kirche (und gar nach Freiheit für alle) anfangs unterstützten, sich aber bald davon abwandten, sahen aufklärerische Blätter in der belgischen Revolution eine reaktionäre Bewegung (298 f.). Der Ruf nach Freiheit reduzierte sich in den ultramontanen Zeitschriften, wie dies auch 1848 geschehen sollte, bald auf den nach Freiheit der Kirche und nach Unterrichtsfreiheit, während die bürgerlich-liberale Freiheit als Indifferentismus gedeutet wurde (314-316. 319).

Die Kapitel VII. ("Aspekte einer katholischen Revolutions-theorie") und VIII. ("Revolution als Thema der konfessionellen Kontroverse") erbringen keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse, doch werden hier noch einmal innerkatholische Differenzierungen sichtbar, die durch die zunehmende ultramontane Dominanz überformt wurden: Aufklärerische Zeitschriften konnten Revolution und Reformation durchaus positive Aspekte abgewinnen, andererseits wurden wessenbergianische Strömungen und der Deutschkatholizismus von der Mehrheitsmeinung als Revolution im Rahmen der Kirche denunziert.

Das Schlußkapitel ("Ergebnisse") bietet eine Zusammenfassung und die Herausarbeitung einer wichtigen These: Die kirchenpolitische Interessenkoalition von Ultramontanen und Liberalen, die um 1830 sichtbar wurde, hätte auch in Deutschland eine liberale Weiterentwicklung des Ultramontanismus mit sich bringen können (377). Warum es dazu nicht kam, zeigt die vorliegende Untersuchung anhand der ihr zugrundeliegenden Quellen.