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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

363–366

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Tsedaka, Benyamin, and Sharon Sullivan Erez [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Israel-ite Samaritan Version of the Torah. First English Translation Compared with the Masoretic Version. Transl. by B. Tsedaka.
Foreword by E. Tov and S. Fine. Introduction by H. Charlesworth.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2013. 558 S. Geb. US$ 100,00. ISBN 978-0-8028-6519-9.

Rezensent:

Ursula Schattner-Rieser

B. Tsedaka (geb. 1942 in Nablus), Präsident des A. B. Institute for Samaritan Studies und Gründungsmitglied der Société d’études samaritaines, Paris, Samaritaner und Bibelwissenschaftler, widmet sich seit Jahrzehnten der causa samaritana, um auf die Existenz der kleinen 750-köpfigen Glaubensgemeinschaft mit den Zentren Holon bei Tel Aviv und Nablus (Sichem) aufmerksam zu machen. Es handelt sich um die erste vollständige Übersetzung des samaritanischen Pentateuchs, die dank der technischen und sprachlichen Assistenz von Sh. Sullivan realisiert werden konnte.
Einleitend sei zu bemerken, dass die Samaritaner eine streng monotheistisch-jahwistische Glaubensgemeinde sind. Sie sehen sich als die wahren Israeliten und Hüter der mosaischen Tradition an (schamerem). Moses ist ihr einziger Prophet. Mit den Juden haben sie nur den Pentateuch gemeinsam, jedoch in einer anderen Textform. Ihr Kultzentrum ist der heilige Berg Garizim, der immer in einem Wort als hrgrzym geschrieben wird (XXV). Ihre eschatologische Erwartung beruht auf dem Kommen eines Erlösers Taheb (wörtl. Wiederkehrender) am Tag der Rache und Wiedergutmachung.
Das Werk beginnt mit Vorworten der Bibelwissenschaftler und Qumranologen Emmanuel Tov (VII–XII), Steven Fine (XIII–XIV) und James H. Charlesworth (XV–XX), die die Leser in die Besonderheit des Samaritanus (SP), seine Textgeschichte, sein Verhältnis zu anderen Bibelübersetzungen wie der Septuaginta (LXX), den Targumim und Qumranhandschriften einführen. Der SP unterscheidet sich vom MT durch ca. 6000 Varianten (XXIX) sprachlicher, textlicher und inhaltlicher Natur. Viele dieser Textabweichungen stimmen mit der LXX und Pentateuchhandschriften vom Toten Meer überein und werden als präsamaritanisch bezeichnet. Auch ist der SP nicht in Quadratschrift, sondern in einer Variante der althebräischen Schrift geschrieben (VII).
Im Anschluss an die Vorworte bietet B. Tsedaka (XXI–XXXVI) einen Überblick über die Forschungsgeschichte (XXI) und den Forschungsstand (XXVII) der samaritanischen Pentateuchforschung.
Im eigentlichen Teil des Werkes werden in synoptischer Darstellung (3–490) links der samaritanische und rechts der jüdisch-masoretische Torahtext präsentiert, wobei die Unterschiede in Fettdruck hervorgehoben sind und das Fehlen von Textstellen durch Punkte markiert ist, so dass die Differenzen mit einem raschen Blick erfasst werden können. Die Eigennamen sind in der samaritanischen Aussprachetradition wiedergegeben, so wird z. B. der Gottesname JHWH auf aramäisch mit Schemâ, »der Name«, tradiert. Zusätzlich geben umfangreiche Randbemerkungen und Kommentare wertvolle Einblicke in das samaritanische Textverständnis und die samaritanische Exegese. Im Folgenden möchte ich nun einen selektiven Einblick in inhaltliche Differenzen des Samaritanus in der chronologischen Pentateuchabfolge geben.
Genesis: In Gen 2,2–3 (7) trifft man auf die erste logische Korrektur, nämlich die Erschaffung der Welt in sechs Tagen versus sieben im MT: »Und am sechsten Tag vollendete Gott sein Werk«. Zum besseren Verständnis wird der Vers Gen 4,8 (11) wie in LXX und den Targumim komplettiert: »Und Kain sagte zu Abel: Lasst uns auf das Feld gehen!«, wogegen der MT nur »Kain sprach zu Abel.« hat.
Exodus: Der SP weist des Öfteren unterschiedliche Chronologien auf, so in Ex 6,20 (137) wo Amram laut SP mit 136 Jahren stirbt gegen 137 im MT. In Ex 12,13.23 (152–153) wird das Wort mšḥt als Eigenname Māschīt gelesen und bezeichnet den »Engel der Vernichtung«, während es im MT einfach »Vernichtung« bedeutet. In Ex 15,18 (162) ergibt sich durch das Weglassen der Präposition l- ein anderer Sinn: »Der Herr ist König und die Welt ist Zeuge« (awlm wad) im Gegensatz zum MT: »Der Herr ist König für immer und ewig« (lawlm wad); diese Variante ist auch in Qumran belegt.
Zu den eindeutig samaritanischen Charakteristika gehört das zusätzliche 10. Gebot des Dekalogs in Ex 20,14b–c (173), das auf den Garizim als heiligen Verehrungsort bezogen ist und in Dtn 5 wiederholt wird. In Ex 24,7 findet sich eine wiederum in Qumran belegte logische Korrektur durch Wortumstellung (184): »Alles was der Herr gesagt hat, wollen wir hören und tun«, versus MT: »… wollen wir tun und (darauf) hören«.
Levitikus: Das Buch Levitikus enthält geringfügige Unterschiede zum MT. Ein langer Kommentar zu Lev 12,2 (254) erklärt, wie die Reinheitsgesetze der Frau heute nach der Tora praktiziert werden, indem sie während ihrer Unreinheit ein gesondertes Zimmer bewohnen muss, nichts berühren und keine häuslichen Arbeiten verrichten darf, was der Autor als willkommene Ruhepause für die Frau während ihrer monatlichen Periode oder nach einer Geburt anpreist.
Numeri: In Num 4,20 (313) wird der Hapax kbla als Eigenname Kabâla interpretiert, während der MT die Wortgruppe als Infinitiv-Konstruktion versteht: »Und sie sollen nicht hineingehen, damit sie nicht Kabâla [versus MT: auch nur für einen Augenblick] mit dem Heiligen sehen, ansonsten werden sie sterben.« Zur Vermeidung des anthropomorphen Gottesbildes wird in Num 22,20 (365) ein Wort zugefügt: »Und in der Nacht kam der Engel Gottes zu Bi-leam …«, während nach MT und LXX Gott selbst dem Bileam er­schien.
Deuteronomium: Als typische Samaritanismen gelten nur zwei ideologische Varianten, die vor allem in Dtn belegt sind und den Ort der Erwählung betreffen, d. h. den Berg Garizim. Aus Sicht der Samaritaner sind Sichem und Garizim seit Abrahams Zeiten auserwählt, wohingegen das in der Tora nicht erwählte Jerusalem aus jüdisch-masoretischer Perspektive erst erwählt werden muss. Der Garizim hingegen ist sehr wohl belegt (Dtn 11,29; 27,12) und im SP noch zusätzliche 3x in Dtn 27,4 sowie Ex 20,14 und Dtn 5,18c [21], wo die Errichtung einer Kultstätte auf dem Garizim als 10. Gebot der samaritanischen Dekalogversion zugefügt wurde. Die mehr als 20 Mal belegte Kultzentralisierungsformel in Dtn lautet im SP »der Ort, den JHWH erwählt hat« ( bḥr) anstelle des masoretischen »erwählen wird« (ybh.r). Nach der samaritanischen Version von Dtn 27,4, die man aus alten LXX-Handschriften und der Vetus Latina kennt, soll der erste Altar aus unbehauenen Steinen auf dem Garizim errichtet werden und nicht auf dem Fluchberg Ebal, wie es im masoretischen Text steht. Es ist anzunehmen, dass der SP hier die ursprünglichere Version vertritt. Für die meisten Samaritanologen sind die ideologischen Merkmale erst nach der Zerstörung ihres Heiligtums auf dem Garizim durch Johannes Hyrkan 128 v. Chr. in den SP eingedrungen.
Den als jüdisches Credo bekannten Vers Dtn 26,5 (465) verstehen die Samaritaner als: »mein Vater wurde von einem Aramäer ruiniert« anstelle des masoretischen: »mein Vater war ein herumirrender Aramäer«. Eine interessante Variante findet sich schließlich in Dtn 32,35.39, wo die Samaritaner anstelle des masoretischen »mein ist die Rache« (ly nqm) lywm nqm »am Tag der Rache und Vergeltung« lesen. Diese Variante tradiert die eschatologische Erwartung eines endzeitlichen Gerichtes und findet sich auch in LXX und Qumran (1QS IX,23).
Hilfreiche Register-Appendizes über Verse, die dem samaritanischen Pentateuch und der LXX (491–496) und dem SP und den Qumranhandschriften (497–503) gemeinsam sind, sowie ein Namenregister (504–522) schließen das Buch ab. Über die Wahl der konservativ englischen Übersetzung des MT versus die moderne englische des SP ließe sich diskutieren. Erwähnt seien typographische Fehler auf S. 137, wo in der rechten Randbemerkung das Hebräische verstellt ist zu ממנה וירפ und ממנה ףויר anstelle von ונממ/ממנה ףריו und chrubim anstelle von cherubim im Randkommentar zu Dtn 18,15 (450).
Dank der Übersetzung B. Tsedakas wird der samaritanische Pentateuch, der sich durch Harmonisierungen, Zusätze und andere Lesungen deutlich vom MT unterscheidet, erstmals einem breiten Publikum zugänglich. Die klare und schön ausgeführte synoptische Darstellung der samaritanischen und masoretischen Torah-Versionen liefert ein eindrucksvolles Zeugnis für die plurale Gestalt des Pentateuchtextes der hellenistisch-römischen Zeit und die sa­maritanische Exegese und ist für alle theologisch und bibelwissenschaftlich Interessierten unbedingt zu empfehlen.