Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2015

Spalte:

359–361

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Ruiten, Jacques T. A. G. M. van

Titel/Untertitel:

Abraham in the Book of Jubilees. The Rewriting of Genesis 11:26–25:10 in the Book of Jubilees 11:14–23:8.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2012. 384 S. = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 161. Geb. EUR 136,00. ISBN 978-90-04-23466-6.

Rezensent:

Roman Vielhauer

Jacques van Ruiten, Professor für biblische Rezeptionsgeschichte an der Universität Groningen, gilt als ausgewiesener Kenner des Jubiläenbuches, jener frühen jüdischen Nachschrift zum Buch Genesis und Teilen des Buches Exodus (2. Jh. v. Chr.). Mit dem anzuzeigenden Werk »Abraham in the Book of Jubilees« legt er nun seine zweite Monographie zu einem Teilabschnitt des Jubiläenbuches vor und schließt damit die Lücke zwischen seiner früheren Arbeit über die Urgeschichte (Primaeval History Interpreted, 2000) und der Studie von John C. Endres, die sich mit der hinteren Väterüberlieferung, vornehmlich der Jakobüberlieferung, auseinandersetzt (Biblical Interpretation in the Book of Jubilees, 1987).
Erklärtes Ziel der Arbeit ist es, das Verhältnis zwischen Gen 11, 26–25,10 und Jub 11,14–23,8 zu untersuchen (17.331). R. geht es also nicht darum, das Abrahambild im Jubiläenbuch nachzuzeichnen, wie der Buchtitel ebenfalls vermuten lassen könnte, sondern vielmehr um einen genauen Vergleich beider Literaturwerke im Be­reich der Abrahamüberlieferung, von Urschrift und Nachschrift, und ein besseres Verständnis von Letzterer in drei Fragerichtungen: 1) Was hat der Autor des Jubiläenbuches vom Genesistext aufgenommen? 2) Wie hat er den Genesistext aufgenommen? 3) Warum hat er ihn auf ebendiese Weise aufgenommen?
Nach einer knappen Einleitung zum Phänomen der Schriftauslegung im Allgemeinen und zum Jubiläenbuch im Besonderen (1–18) schreitet R. in zehn Kapiteln kursorisch durch das Abraham-Material des Jubiläenbuches. Dabei kann er in vielen Fällen auf verstreut erschienene eigene Aufsätze zurückgreifen (s. Vorwort XI– XII), die für den vorliegenden Band mal mehr, mal weniger überarbeitet sind.
Jedes der zehn Kapitel behandelt einen Teilabschnitt von Jub 11,14–23,8. Im Vordergrund steht der synoptische Vergleich mit der entsprechenden Vorlage im Buch Genesis. Nach einem Vergleich in der Makrostruktur werden beide Texte Satz für Satz in englischer Übersetzung gegenübergestellt (Revised Standard Version für Gen, VanderKam für Jub, jeweils mit leichten Modifikationen), Ähnlichkeiten und Unterschiede klassifiziert (Auslassungen und Zufü-gungen, Übereinstimmungen, Abweichungen, Umstellungen) und im Schriftbild entsprechend kenntlich gemacht (vgl. 17 f.). Im An­schluss untersucht R. ausgewählte Abweichungen von der Genesis-Vorlage daraufhin, welche exegetischen Techniken angewandt werden, ob traditionelle Elemente aus weiteren »biblischen« oder »außerbiblischen« Quellen im Hintergrund stehen und in­wiefern die Abweichungen mit auch sonst im Jubiläenbuch er­kennbaren Auslegungstendenzen konform gehen.
Der folgende knappe Durchgang durch die einzelnen Kapitel hebt ausgewählte Schwerpunkte der detailreichen Studie hervor:
Kapitel 1 (19–64) beschäftigt sich mit Abrahams frühen Lebensjahren (Gen 11,26–12,3; Jub 11,14–12,31). Anders als das Buch Genesis schildert das Jubiläenbuch in großer Ausführlichkeit, wie Abraham in götzendienerischem (Familien-)Umfeld zum Glauben an den einen Gott gelangt. R. zeigt auf, wie der Jubiläenautor vorhandene Lücken im biblischen Text füllt, offene Fragen klärt und dabei auf traditionelles Material aus anderen Quellen (Jos 24; Henoch; Brief Jeremias; Chronologie; die übrigen Verheißungstexte der Ge­nesis, insbesondere Gen 15 und 17, hätten stärkere Berücksichtigung finden können) zurückgreift.
Kapitel 2 (65–118) verfolgt unter der Überschrift »Abram’s Travels« die Begebenheiten von Abrahams Auszug aus Haran bis zu seinem Kriegszug gegen die Könige des Ostens (Gen 12,4–14,24; Jub 13). Besondere Aufmerksamkeit schenkt R. der Verhältnisbestimmung zwischen Jub 13 und dem entsprechenden Abschnitt aus dem Genesis-Apokryphon aus Qumran. Die Ähnlichkeiten zwischen beiden Auslegungen führt er mit aller ihm eigenen Vorsicht weniger auf direkte Abhängigkeit denn auf Benutzung einer – freilich nicht erhaltenen – gemeinsamen Quelle zurück.
Kapitel 3 (119–136) und 4 (137–167) behandeln die beiden Bundesschlüsse mit Abraham (Gen 15 und 17; Gen 16 ist in Jub stark gekürzt), die das Jubiläenbuch, wie R. herausarbeitet, als Erneuerung des einen Bundes mit Noah interpretiert und stärker als die Vorlage auf Isaak als Verheißungsträger fokussiert (Jub 14–15). – Kapitel 5 (169–207) überblickt sodann die Ereignisse rund um Isaaks Geburt (Gen 18–21; Jub 16,1–17,14); in der Nachschrift entdeckt R. erwartungsgemäß wörtliche Übernahmen, Umformulierungen, kurze Zusammenfassungen, Auslassungen und Zufügungen.
Kapitel 6 (209–226) nimmt die Bindung Isaaks in den Blick (Gen 22,1–19; Jub 17,15–18,19), die im Jubiläenbuch nach Art eines Prologs im Himmel auf das Wirken einer widergöttlichen Macht, des Fürsten Mastema, zurückgeführt wird. Beeinflussung durch den Hiob-Prolog, wie zumeist angenommen, vermag R. darin nicht zu erkennen.
In Kapitel 7–10 widmet sich R. Abrahams letztem Lebensabschnitt: Kapitel 7 (227–251) überblickt die Geschichte von Saras Tod bis zur Segnung Jakobs durch Abraham (Gen 22,20–25,4; 25,21–28; Jub 19); in Kapitel 8 (253–274) und 9 (275–293) folgen zwei Abschiedsreden Abrahams, zunächst allgemein an alle Kinder und Großkinder (Jub 20), sodann speziell an Isaak (Jub 21); Kapitel 10 (295–329) schließlich behandelt Abrahams letzten Lebenstag mit Abschiedsrede an Jakob (Gen 25,7–10; Jub 22,1–23,8). Mit großer Sorgfalt arbeitet R. heraus, wie sich die drei Abschiedsreden, in der Genesis ohne Parallele, allesamt aus »biblischen« Motiven speisen, insbesondere aus den Büchern Genesis und Levitikus.
So akribisch der Textvergleich in den einzelnen Kapiteln ausfällt, so bescheiden nehmen sich die Schlussfolgerungen der Arbeit in den »Conclusions« (331–344) aus: 1) Die meisten Perikopen aus Gen 11,26–25,10 habe das Jubiläenbuch aufgenommen. Einige we­nige Genesis-Passagen seien ausgelassen, andere knapp zusammengefasst. Darüber hinaus fänden sich gegenüber der Genesis-Vorlage Auffüllungen, und zwar a) mit Blick auf das chronologische Grundgerüst des Jubiläenbuches, b) mit Erzählstoffen und c) mit halachischem Material. 2) Innerhalb der größeren Zufügungen an Anfang und Ende der Abrahamgeschichte macht R. auf einige wörtliche Zitate aufmerksam, die er als »Textanker« für die Zufügungen interpretiert. Längere Textübernahmen aus der Genesis seien hingegen mit neuen Einleitungen, Nachsätzen und Einfügungen versehen. 3) Für einige Abwandlungen von der Genesis-Vorlage macht R. Anhaltspunkte im Text der Genesis geltend (Leerstellen im Text oder Etymologien), andere stünden mit auch sonst im Jubiläenbuch erkennbaren Auslegungstendenzen in Zusammenhang (Dämonologie, negative Sicht der Völker etc.).
Gerne hätte man darüber hinaus auch inhaltlich etwas erfahren über das Abrahambild des Jubiläenbuches, sein Verhältnis zum »biblischen« Abrahambild bzw. den »biblischen« Abrahambildern, darüber, an welche Texte innerhalb der Genesis bzw. innerhalb des Alten Testaments das Jubiläenbuch dabei inhaltlich anknüpft oder – viel grundsätzlicher – wie der Jubiläenautor die Abrahamerzählung der Genesis verstanden hat. Doch liegen solch übergreifende Fragestellungen außerhalb der Zielsetzung des vorliegenden Bu­ches. Die Stärke der Arbeit ist denn auch weniger in der Formulierung weitreichender Thesen zu suchen als vielmehr in der nüchternen Bestandsaufnahme, der genauen Beschreibung dessen, was sich aus dem synoptischen Vergleich ersehen lässt. Mit dieser Grundlagenarbeit wird R. ein fester Platz in der Forschung am Jubiläenbuch gewiss sein.