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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

358–359

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Reynolds III, Bennie H.

Titel/Untertitel:

Between Symbolism and Realism. The Use of Symbolic and Non-Symbolic Language in Ancient Jewish Apocalypses 333–63 B. C. E.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011. 421 S. m. 14 Tab. = Journal of Ancient Judaism Supplements, 8. Geb. EUR 110,00. ISBN 978-3-525-55035-9.

Rezensent:

Franz Tóth

Bei der zur besprechenden Monographie handelt es sich um eine an der University of North Carolina at Chapel Hill unter der Leitung von Armin Lange 2009 eingereichte und überarbeitete Dissertation. Gegenstand der Studie sind »the poetics of ancient Jewish apocalypses« (13), also die Untersuchung symbolischer und nicht-symbolischer Sprache in der apokalyptischen Literatur des Frühjudentums. Herangezogen werden das Buch Daniel (Kapi-tel 2, 7, 8, 10–12), die Tierapokalypse (1Hen 85–90), 4QFourKing-doms a–bar, Genesis Apocryphon, Apocryphon of Jeremiah C und 4QPseudo-Daniela–bar. Methodisch orientiert sich die Studie an linguistischen und motivgeschichtlichen Analyseschritten. Zur begrifflichen Schärfte symbolischer und nicht-symbolischer Texte werden heuristisch antike und moderne Rahmentheorien verwendet, so insbesondere die Traumhermeneutik von Artemidor von Daldis und die Traumtheorien des Assyriologen Adolf Leo Oppenheim. Der Kern der Studie ist die klassische Frage nach der Gattung »Apokalyptik« in der hellenistischen Zeit, die durch die vermehrte Berücksichtigung der Texte aus Qumran neue Er­kennt­nishorizonte zu erschließen versucht.
Die Arbeit ist neben einem umfassenden forschungsgeschichtlichen und theorieorientierten Einleitungskapitel in zwei große Teile gegliedert: Während im ersten Teil die »Symbolic Apocalypses«, also Dan 2, 7 und 8, ferner die Tierapokalypse, 4QFourKingdomsa–bar und Genesis Apocryphon untersucht werden, widmet sich der zweite Teil den »Non-Symbolic Apocalypses«, das sind Dan 11–12, Apocryphon of Jeremiah C und 4QPseudo-Daniela–bar. Der Durchgang durch die Texte erfolgt systematisch, indem nach den dramatis personae gefragt wird, d. h. nach göttlichen, himmlischen und menschlichen Figuren, nach deren semantischer Bedeutung sowie narrativer Funktion. Bemessen am Seitenumfang liegt dabei auf der Analyse des Danielbuches ein gewisser Schwerpunkt. Der forschungsgeschichtliche Überblick dokumentiert eine zum großen Teil einseitige Gewichtung der Symbolsprache zur Kennzeichnung apokalyptischer Literatur. Kritisch wird insbesondere die These von H. H. Rowley hervorgehoben, wonach die apokalyptische Symbolsprache zur Verschleierung und Codierung der herrschaftskritischen Texte im Sinne einer Widerstandsliteratur zu begreifen sei. Zur theoretischen Fundierung einer Unterscheidung zwischen sym-bolischer und nicht-symbolischer Texte greift R. seinerseits auf antike Traumberichte und Traumdeutungen sowie -theorien zurück. So verweist R. insbesondere auf Artemidor und dessen Unterscheidung zwischen theorematischen und allegorischen Traumgesichten. Die Ersteren zeigen unverhüllt an, was dem Träumenden widerfahren wird, während die allegorischen Träume dies nur »durch anderes anzeigen« und in »verhüllten Anspielungen« aussprechen.
Für R. bietet diese Differenzierung die theoretische wie heuristische Basis zur Analyse symbolischer und nicht-symbolischer Sprache in apokalyptischen Texten (68). Symbolisch ist also ein Text, der, im Gegensatz zu nicht-symbolischen Texten, über sich selbst auf etwas anderes verweist und einer zusätz-lichen Deutung bedarf (223.376–378). Entsprechend werden dann zunächst die »symbolischen« und anschließend die »nicht-symbolischen« Apokalypsen analysiert. Am Ende eines jeden Kapitels werden schließlich in einer Tabelle die zentralen Lexeme eines apokalyptischen Textes zusammengetragen und deren jeweiliger semantischer Verweischarakter katalogisiert. Dan 2, 7, 8 werden danach als Traumberichte gelesen, die zur Kategorie der symbolischen Apoka-lypsen gehören, in denen ein bestimmtes Repertoire an Symbolelementen vorkommt, denen ein konventionalisiertes Verweissystem zugrunde liegt (»basic symbolic system«, 102). So stehen in apokalyptischen Texten Tiere für Menschen bzw. menschliche Mächte und Königreiche, Menschen hingegen repräsentieren in symbolischen Texten in der Regel Engel. Diese Konventionen entspringen einer breiten sozio-kulturellen Enzyklopädie; ihre Verwendung zielt daher also gerade nicht auf Verschleierung: »The language of the Daniel apocalypses is at very turn pregnant with elements of the socio-cultural encyclopedia of ancient Judaism. In spite of their symbolic language, these texts were not written to hide or conceal information, but to disperse it to the largest possible audience.« (159) Nach dem gleichen methodischen Verfahren werden anschließend die Tierapokalypse (161–190), 4QFour Kingdoms a–bar (191–206) und Genesis Apocryphon (207–220) analysiert. Die Untersuchungsergebnisse bestätigen den aus der Analyse des Danielbuches gewonnenen Eindruck: »despite the variation and nuance within the symbolic categories themselves (i. e. the use of various species of animals or trees), writers of ancient Jewish apocalypses used a limited and stable repertoire of symbols to construct their text« (220). Im Gegensatz zur These von H. H. Rowley dienen Symbole in apokalyptischen Texten demnach gerade nicht der Verschleierung, vielmehr bieten sie zusätzliche, das Signifikat charakterisierende Informationen, die explizite bzw. realistische Beschreibungen eben nicht zu transportieren vermögen (383). Innerhalb der nicht-symbolischen Apokalypsen werden sodann, zum Teil unter Berücksichtigung umfassender textkritischer Beobachtungen, Dan 10–11 (225–262), Apocryphon of Jeremiah C (263–325) und 4QPseudo-Danie la–bar (327–374) näher untersucht. Gegenüber symbolischen Texten sind nicht-symbolische Apokalypsen erkennbar schwieriger zu verstehen, insofern diese vermehrt eine gruppenspezifische Sprache verwenden, die mit zahlreichen codierten Lexemen operiert. Das erstaunliche Resultat der Studie ist demnach, »that the non-symbolic apocalypses might have been more difficult to interpret for their contemporary audience than the symbolic ones« (227).
Als Ergebnis lassen sich im Ganzen fünf Punkte der Studie festhalten (15 f.375 f.): 1. Neben einer ausgeprägten symbolischen Sprache finden sich in den als apokalyptisch qualifizierten Texten eben auch Partien, die keine Symbole verwenden; mit anderen Worten: Symbole sind kein ausschlaggebendes Merkmal apokalyptischer Literatur. 2. Die zum Teil in der apokalyptischen Literatur verwendete symbolische Sprache schöpft aus einem Repertoire konventionalisierter Begriffe und Wendungen, so dass 3. »symbolic language is not used to hide or obscure its referents, but to provide the reader with embedded interpretative tools« (16). 4. Umgekehrt – und dies ist zusammen mit Punkt drei eine der weiterführenden Erkenntnisse der Studie – erweisen sich historische Apokalypsen, die keine Symbole gebrauchen, als zum Teil höchst kryptisch, insofern Stichworte, Spitznamen und Wendungen verwendet werden, die eine gruppenspezifische Sprache mit Insiderwissen voraussetzen. 5. Die reiche Vielfalt apokalyptischer Sprache und Literatur impliziert einen breitgefächerten Rezipientenkreis. Es gibt soziologisch gesehen demnach nicht »die apokalyptische Gruppe«, sondern vielmehr eine Vielzahl verschiedener apokalyptischer Kreise und Strömungen.
Die Arbeit von R. überzeugt durch eine transparente Methodik und eine sachgemäße Analyse der entsprechenden Texte; ihre Ergebnisse sind insbesondere für die Frage nach Sprache, Charakter und Gattung apokalyptischer Texte weiterführend und ge­winnbringend. Die eher eklektische Auswahl der analysierten Texte muss freilich auf weitere apokalyptische Texte ausgeweitet werden. Literarkritische Beobachtungen sind dabei vermehrt in den Blick zu nehmen, so nicht zuletzt im Danielbuch selbst, wo Dan 2, 7, 8 und Dan 10–12 nicht nur sprachlich, sondern auch literarkritisch verschiedenen Entstehungsschichten zuzuordnen sind.