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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

353–355

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wazana, Nili

Titel/Untertitel:

All the Boundaries of the Land. The Promised Land in Biblical Thought in Light of the Ancient Near East. Transl. by L. Qeren.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2013. XIV, 352 S. Lw. US$ 59,50. ISBN 978-1-57506-283-9.

Rezensent:

Stefan Timm

Die Studie von Nili Wazana ist aus ihrer Dissertation an der He­bräischen Universität in Jerusalem hervorgegangen, die von Sara Japhet betreut worden war. W. hatte aber auch starke Impulse be­kommen von H. Tadmor, I. Singer, P. Machinist u. a., was schon im Titel (vgl. … in Light of the Ancient Near East) und auch in der Anlage und Durchführung der Arbeit überall zu spüren ist. Ein Thema »Grenzen« ist äußerst heikel, nicht nur wegen der im heutigen Staat Israel allgegenwärtigen Problematik, sondern auch weil es unvermeidlich scheint, sich in ungelösten Lokalisierungen zu verlieren, wenn denn in altorientalischen oder alttestament-lichen Quellen Topographica als Grenzen benannt sind. W. hat alle solche Untiefen klug umgangen. Sie hat ganz andere Wege be­schritten.
Die Studie ist in drei Teile gegliedert, einen ersten Hauptteil: »Borders and the Concepts of the Border in the Bible and Ancient Near East« (Grenzen und das Konzept von Grenzen im Alten Testament und im Alten Orient, 11–82), einen zweiten: »The Promised Land« (Das Verheißene Land, 85–182) und einen dritten Hauptteil 3: »The Fulfillment of the Promise« (Die Erfüllung der Verheißung, 185–295). Eine »Conclusion« (Zusammenfassung) schließt das Ganze ab (296–302); ihm sind eine Bibliographie beigegeben, Indizes der modernen Autoren, der Schriftzitate, der erörterten Sachen, der Topographica und der Personennamen.
Alle drei Hauptteile sind noch in einzelne Kapitel unterteilt. Sie haben folgende Überschriften: Kapitel 1: »›Border‹ versus ›Frontier‹« (11–57), Kapitel 2: »Spatial Merisms« (58–82), Kapitel 3 »The Land Promised to the Patriarchs« (85–96), Kapitel 4 »The Promise of World Dominion« (97–126), Kapitel 5 »The Land of Canaan with Its Vari-ous Boundaries« Document (Numbers 34,1–12) (127–166), Kapitel 6 »Ezekiel’s Vision of the Ideal Land« (167–182), Kapitel 7 »The Dimensions of the Land in the ›Book of Conquest‹« (Joshua 1–12) (185–206), Kapitel 8 »The Land That Yet Remains« (Joshua 13,1–6) (207–240), Kapitel 9 »The ›Book of Settlement‹: The Land of the Tribal Portions« (240–276) und Kapitel 10 »The Dimensions of the Land according to Biblical Historiography« (277–295).
Die Kapitelüberschriften machen zwar deutlich, wie groß das Spektrum von Themen und Texten ist, das hier verhandelt wird, doch ist daraus der methodisch neue Weg, den W. beschritten hat, noch nicht zu erkennen. Ihr methodisch neuer Zugang ist zwar schon in allen Erörterungen ab Kapitel 1 implizit präsent, wird aber erst viel später explizit ausgebreitet. So liest man diese Studie am besten wie einen guten Kriminalroman von hinten, beginnend mit dem Abschnitt »Hittite and Israelite Borders« (263–276). W. erörtert hier den Vertrag, den der hethitische König in der zweiten Hälfte des 13. Jh.s v. Chr. mit Ulmi-Te ššub von Tarh-untašša abgeschlossen hatte (H. Otten, Die Bronzetafel aus Boğazköy, StBoT Beiheft 1, Wiesbaden 1988; Th. van den Hout, Der Ulmitešub-Vertrag, StBoT 38, Wiesbaden 1995). In ihm werden die Grenzen des Reiches Tar-h-untašša genau definiert. Dabei geht es W. nicht um die Identifizierung der genannten Örtlichkeiten, sondern um die Weise, wie die Grenze hier sprachlich beschrieben wird.
Eine lange Reihe sprachlich vergleichbarer Phänomene findet sich nämlich so auch in den Beschreibungen der Stammesgrenzen im Josuabuch. Dazu gehört schon, dass die Grenze nicht durch eine »nackte« Aneinanderreihung von Orten definiert wird, sondern die einzelnen Topographica mit Verben verbunden sind – ein Generalangriff auf die These M. Noths mit seinen »Grenzfixpunkten«, der bis heute viele folgen.
Dazu gehört weiterhin die Merkwürdigkeit, dass zwar bisweilen Berge, Orte oder Quellen in der Grenzbeschreibung aufgeführt werden, es aber nicht deutlich ist, ob sie nun innerhalb des eigenen Gebietes oder außerhalb davon liegen (vgl. zum Stein des Bohan, Jos 15,5 f.; 18,17). Besonders bei Quellen musste den im Umkreis Wohnenden sehr daran gelegen sein, zu wissen, ob sie allein die Nutzungsrechte hatten oder auch die jenseits der Grenze Wohnenden (vgl. die Unschärfen bei ῾En Schemesch (Jos 15,7; 18,7), ῾En Rogel (Jos 15,7; 18,16) Me Nephthoach (Jos 15,9; 18,15) u. a. Aber solche Grenzverzeichnisse waren sichtlich aus übergeordneten, administrativen Gründen angelegt. Die hethitischen Verträge garantierten jeweils dem Vertragspartner von höchster Stelle, vom hethitischen König, die Thronfolge und, dass er und die Bewohner seines Reiches in diesen Grenzen unbehelligt und sicher wohnen dürften, wobei, – nicht weniger wichtig! – das auch für die jenseits der Grenze Wohnenden galt. W. behauptet keineswegs, dass die Beschreibungen der Stammesgrenzen im Buch Josua auf hethitische Vorlagen zurückgehen, sondern sie nutzt die hethitischen Grenzverträge als Strukturparallelen für die alttestamentlichen Grenzbeschreibungen. Sie ermöglichen es ihr, die Eigenheiten der alttestamentlichen Texte besser als bislang zu verstehen, wie sie das ein ums andere Kapitel exemplifiziert.
Ebenso neu im Zugang ist schon Kapitel 1: »Border« versus »Frontier« (11–57). Hier wird darüber nachgedacht, wie weit bis in die Ge­genwart gebräuchliche Begriffe wie englisch »Border« oder »Fron­tier« hilfreich sind, um zu begreifen, was jeweils als Konzept noch »hinter« den altorientalischen oder alttestamentlichen Grenzbeschreibungen stand. Mit »Frontier« war in der frühen Geschichte der USA jener Bereich bezeichnet, ab dem der »Wilde Westen« begann. Indem die weißen Siedler die Indianer permanent weiter zurückdrängten, hat sich dieses »Frontier« zwar ständig gen Wes­ten verschoben, blieb aber im amerikanischen Englisch etwas qualitativ anderes als eine staatsrechtlich anerkannte »Border«. Der Unterschied zwischen »Frontier« und »Border« hängt damit zu­sam­men, ob die Akteure von der Vorstellung geprägt waren, sich geistig-politisch in einer monozentrischen Welt zu befinden oder in einem multizentrischen System. M. Liverani hat die Unterscheidung zwischen einer monozentrischen Weltsicht und einem multizentrischen System, einen Vorschlag von K. Polanyi (Origins of Our Time, London 1945) aufgreifend, auf die altorientalischen Staaten angewandt. Von den monozentrisch agierenden Ägyptern ist nie eine Beschreibung ihrer »Frontier« in Kanaan gegeben worden; es konnte sie aus ihrer monozentrischen Sicht nicht geben. Wenn aber im 18. Jh. v. Chr. Yarim Lim von Yam h-ad bekennt, sein Vater Šumu-epuh- sei für seinen Feldzug ins assyrische Gebiet mit einem vorzeitigen Tod bestraft worden, so galt noch ihm, seinem Sohn, die »Border« zwischen Yamhad und Assur als unantastbar (23); vergleichbar bekannte Jahrhunderte später der hethitische König Muršiliš im sogenannten Pestgebet, dass sein Vater Šuppiluliuma, als Strafe für seinen Einfall ins ägyptische Hoheitsgebiet, sich die Pest ins Hethiterreich geholt habe (24). So sei es eben nicht zufällig, dass die Hethiter, sofern sie sich mit Nachbarn in einem multizentrischen Weltsystem verstanden, Verträge geschlossen haben, in denen die »Border« genau fixiert wurden (s. o.; weitere Belege 30 ff.; 172, Anm. 14). Das besagt für die alttestamentlichen Grenzbeschreibungen: Von einer multizentrischen Weltsicht ausgehend, erkennen sie grundsätzlich auch das Recht der anderen an, in je­weils ihrem genau beschriebenen Territorium ungestört und sicher leben zu können.
Kapitel 2 ist »von-bis«-Aussagen gewidmet, etwa einer bekannten Formel wie »von Dan bis Beerscheba«. Weder war damit eine ideelle Linie zwischen den genannten Orten anvisiert, noch waren es die äußersten Punkte eines Gebietes, obwohl das mal mitgemeint ge-wesen sein mag, sondern es sind räumliche Merismen (»spatial Me­risms«), die eine Gesamtheit in ihrer Vollständigkeit umschreiben. Die Verfasser setzen diesen sprachlichen Ausdruck je und dann ganz bewusst ein. Einer »von-bis«-Formel kann noch ein Element mit »und« angehängt werden, es kann auch mal ein Element fehlen, ohne dass der Sinn damit verdunkelt würde oder ein Textfehler zu postulieren sei (vgl. 66 zu Dtn 11,24; 171 zu Ez 47,17.18).
Kapitel 3 untersucht zuerst, was für ein Bereich mit dem Verheißenen Land gemeint gewesen ist, das den Erzvätern zugesagt war (85–96; vgl. unter einem anderen Gesichtspunkt früher schon Y. Kaufmann). Dazu werden zehn Belege erörtert: Gen 12,7; 13,14–17; 15,7; 15,18–21; 17,8; 24,7; 28,4; 28,13; 35,12; 48,4. Ein Ergebnis der Erörterung ist hier, dass dieses Verheißene Land zwar eine bestimmte geographische Größe meinte, ohne sie jedoch präzis zu definieren, ein anderes, dass dieses Verheißene Land aus einer multizentrischen Sicht beschrieben wird, in der anderen Völkern ihr Land zugestanden ist (91.93 und schon 11 der Verweis auf Dtn 32,8 nach 4QDeutj und LXX). – Kapitel 4 wendet sich Texten zu, die den Nachkommen der Patriarchen eine Weltherrschaft verheißen (97–126). Fünf Belege mit einer »von-bis«-Formel werden hier besprochen: Gen 15,18–21; Ex 23,28–31; Dtn 1,7–8; 11,24; Jos 1,3–4a. So verschieden die Texte sind, die Endpunkte für das Gebiet, das sie jeweils benennen, lehnen sich nicht an eine historische Größe wie Kanaan an, sondern führen Gegebenheiten auf wie das Meer (107 f.), Flüsse (108 f.), die Wüste (113 ff.) oder Berge (116 ff.). Hinter so benannten »Grenzen« ist noch erkennbar, dass nach altorientalischer Vorstellung ein Weltreich sich von einem Ende der Welt bis zum anderen erstreckte. Die Texte orientieren sich also nicht historisch am davidischen Großreich (so: A. Alt mit vielen Nachfolgern), das nie bis zum Nil gereicht hat, sondern an der Ideologie der assyrischen Könige, die in solchen, zwischen Realität und Mythus os-zillierenden Begriffen ihren monozentrischen Anspruch auf die Weltherrschaft literarisch niedergelegt oder bildlich-plastisch verdeutlicht haben. So seien diese weitgehend deuteronomistisch ge­prägten Texte die alttestamentliche Antwort gegen den assyrischen Anspruch auf die Weltherrschaft, die vielmehr schon den Nachkommen der Erzväter zugesagt worden sei (125).
Wenn etwa M. Noth (Josua, Tübingen 21953, 76) zu Jos 13,2–6 noch meinte, es liege darin eine »Anhäufung von sekundären Zutaten ersten, zweiten und dritten Grades vor«, so kann W. in einem Gang durch die sprachlichen Einzelheiten plausibel machen, dass der Text von einer Hand als ein Konzept entworfen worden ist (207 ff.).
Gewiss gibt es auch Anfragen an W., so z. B. ob denn für die mehr oder weniger deuteronomistisch (was genau ist damit gemeint?) geprägten Texte, in denen den Nachkommen der Patriarchen eine Weltherrschaft verheißen ist, wirklich die Weltherrschaftsansprüche der assyrischen Könige die literarischen Vorlagen gewesen sind, zumal in der Zeit, in der die alttestamentlichen Texte – nach W. – konzipiert wurden, sich das assyrische Reich im rapiden Niedergang befand oder gar schon untergegangen war. – Für die Annahme, dass das Tote Meer in alttestamentlicher Zeit nur im nördlichen Teil Wasser enthalten habe, der südliche Teil damals jedoch trocken lag, hätte man gern mehr als nur einen Verweis auf einen Lexikonartikel als Beleg (153, Anm. 75). Aber das sind Nörgeleien.
Ohne dass hier alle Kapitel der Arbeit besprochen werden können, sei gesagt, dass W. einen innovativen, neuen Zugang zu viel erörterten Texten gefunden hat. Sie hat eine feine Arbeit vorgelegt. Aus chronologischen Gründen konnte noch nichts davon debattiert werden auf dem Colloquium Biblicum Lovaniense vom 26.–28. Juli 2010; vgl. dazu E. Noort (Ed.), The Book of Joshua, BEThL 250, Leuven 2012.
Obwohl klassische Studien in deutscher Sprache etwa von A. Alt, M. Noth u. a. von W. oft herangezogen worden sind (löblich!), ist ihr einiges an neueren einschlägigen Studien entgangen. Genannt seien: zu Kapitel 5: Num 34: H. Seebaß, Numeri, Biblischer Kommentar IV/3,5–6, Neukirchen 2007; E. Noort, Das Buch Josua. Forschungsgeschichte und Problemfelder, Erträge der Forschung 292, Darmstadt 1998; J. C. de Vos, Das Los Judas. Über Entstehung und Ziele der Landbeschreibung in Josua 15. VT.S 95, Leiden u. a. 2003; E. A. Knauf, Josua, Zürcher Bibelkommentare 6, Zürich 2008.