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Ausgabe:

April/2015

Spalte:

346–348

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schwöbel, Christoph [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gott – Götter – Götzen.
XIV. Europäischer Kongress für Theologie (11.–15. September 2011 in Zü­rich).

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. 960 S. = Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, 38. Geb. EUR 68,00. ISBN 978-3-374-03047-7.

Rezensent:

Martin Kirschner

Religion hat sich im 21. Jh. als ein öffentlich wirkmächtiges und zutiefst zwiespältiges Phänomen erwiesen: In die religiös-gesellschaftliche Gemengelage von neuer Spiritualität, Terror und Ge­walt im Namen Gottes, »postmodernem« Pluralismus und Neuem Atheismus hinein stellt der hier vorgestellte Tagungsband die Gottesfrage als eine nach Zusammenhang und kritischer Unterscheidung von »Gott – Götter – Götzen«. Die Publikation umfasst 55 Aufsätze der verschiedenen theologischen Disziplinen; sie spiegelt die Diskurslage der deutschen evangelischen Universitätstheologie wider. Als katholischer Theologe möchte ich mit einer gewissen Außenperspektive vor allem die Gesamtkonzeption und einige ausgewählte Beiträge besprechen.
Die Themenstellung des Bandes erlaubt es, die ganze Breite religiöser und religionsgeschichtlicher Phänomene in den Blick zu nehmen, verpflichtet aber zugleich darauf, in der Vielzahl von Gottesvorstellungen Kriterien zur Unterscheidung von Gott und Götze zu benennen und kritisch zwischen befreiend-heilsamen Formen von Gottesglauben und fehlgeleiteten Formen entfremdender Religiosität zu differenzieren. Die klare Unterscheidung von Glauben und Unglauben, Gott und Abgott kann an spezifische Stärken protestantischer Theologie anknüpfen, etwa an die prägnanten Auslegungen des Ersten Gebots bei Martin Luther, auf die sich zahlreiche Beiträge beziehen.
Dass dementsprechende Klärungen von großer öffentlicher Be­deutung sind für eine pluralistische Gesellschaft, im Gespräch der Religionen, für Wissenschaft und Politik, macht der Herausgeber C. Schwöbel in der Einleitung deutlich. Gerade in der Verbindung einer transparenten bekenntnisorientierten Perspektive mit einem offenen Dialog, der sich von anderen Sichtweisen herausfordern lässt, und mit der kritischen, wissenschaftlichen Reflexion leistet konfessionelle Theologie einen unverzichtbaren Beitrag für die Verständigung über Gott in der Öffentlichkeit. Damit vollzieht sie ein Stück kritische Selbstaufklärung von Religion: »Erst im Horizont der Frage nach dem Verhältnis von Gott, Göttern und Götzen werden die religiösen Basisorientierungen in ihrer durchaus ambivalenten Dynamik verstehbar und kritisierbar.« (18) Eine kritische Funktion der Theologie gegenüber Gesellschaft, Politik und zu­nehmend ökonomisierter Wissenschaft kommt dagegen weniger in den Blick. Wo dies geschieht, bezieht sich die Kritik sehr allgemein auf Kapitalismus und Finanzwirtschaft, so in den Beiträgen von W. Huber und A. von Scheliha.
Die große disziplinäre wie methodische Breite der Beiträge schlägt einen Bogen von religionsgeschichtlichen und biblischen Problemstellungen über geschichtliche Einzelstudien zu systematischen und praktisch-theologischen Fragen der Gegenwart. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem interreligiösen und interkulturellen Feld: in den Hauptvorträgen zum Verständnis der Einzigkeit Gottes aus muslimischer (M. Siddiqui) und jüdischer Sicht (W. Homolka) ebenso wie in den Fachgruppenbeiträgen »Interkulturelle Theologie«. Deutliche Grenzen zeigen sich dagegen, wenn man nach der innerchristlichen Vielfalt und den kulturellen wie konfessionellen Differenzen christlicher Theologien fragt. Wenn ein »Europäischer Kongress« (außer der islamischen Theologin M. Siddiqui) ausschließlich von deutschsprachigen Teilnehmern be­stritten wird, so bildet das die Diversität der Glaubenskulturen, der konfessionellen Traditionen und theologischen Stile nicht ab und bringt auch im wissenschaftlichen Diskurs eine Blickverengung mit sich. Die verschiedenen Stile, Erfahrungshintergründe, kirchlichen und wissenschaftlichen Traditionen der deutschsprachigen, angelsächsischen, romanischen, skandinavischen und osteuropäischen Theologien finden sich in dem Band nicht wieder. Insbeson dere kommt der ökumenische Dialog nicht ausdrücklich vor; das Gespräch mit der Orthodoxie fehlt ganz. Vielleicht hängt es hiermit zusammen, dass die doxologische Ausrichtung der Gottesrede, ihre pneumatologische Grundlegung und liturgische Ge­stalt kaum eine Rolle spielen? Die katholische Theologie wiederum dient allzu oft als Kontrastfolie zur evangelischen Position, ähn-lich die evangelikale Theologie und Esoterik. So identifiziert z. B. M. Ohst »das katholische Denken« (im Singular) in der Auseinandersetzung mit dem Atheismus mit einer antimodernen und antireformatorischen Indienstnahme von natürlicher Theologie und Autoritätsglaube (101 f.). Die Schwierigkeiten, sich den Herausforderungen des Anderen zu stellen, wo die eigene Identität betroffen ist, zeichnet der Beitrag von C. Lepp am Verhältnis des deutschen Protestantismus zur New-Age-Religiosität nach.
Besonders aufschlussreich ist der Umgang mit Phänomenen des Dämonischen, an dem Differenzen im theologischen Ansatz sichtbar werden, was sich auch auf die Konstruktion des konfessionell Anderen auswirkt. So identifiziert R. Sommer in ihrem Beitrag über »Dämonenaustreibung und Krankenheilung in evangelischer Sicht« die eigene Position mit einem zugleich rational-aufgeklärten, christlichen und evangelischen Standpunkt; Phänomene der »Dämonenfurcht und Teufelsvorstellungen« dagegen findet die Autorin u. a. in »evangelikal-charismatischen und esoterischen Kreisen, in der Volksfrömmigkeit und populären Religion, aber auch in der katholischen Glaubenslehre« (871). M. Hailer dagegen macht deutlich, wie die Auseinandersetzung mit Phänomenen des Dämonischen gerade nicht in eindeutige Zuordnungen aufgehoben werden kann (639–642). Stattdessen sei die »Rede von Götzen, Mächten und Gewalten« kritisch auf die eigene Religion zu wenden: Der Abfall zum Götzendienst ist »Möglichkeit und Wirklichkeit mitten in der Kirche« (640); wer sie nur bei »Anderen, Früheren, Primitiveren« diagnostiziert, befindet sich selbst bereits »im Status der Hybris« (641). Es braucht nicht nur die »Selbstanwendung der […] Göttertheorie auf die Theologie«, sondern radikaler ihre theozentrische Wendung, so dass »Götzen und Dämonen als Gottes eigenes Problem« (649) verstanden werden, dessen »Lösung« in die Eschatologie verweist.
Theologie kann sich in einem solchen Ansatz weder auf einen abstrakten Monotheismus noch auf ein Aufklärungspathos mo­derner Vernunft zurückziehen, sondern ist rückgebunden an eine »Lebensform, die gelebt sein will – zuversichtlich inmitten des Getümmels, in dem sie sich vorfindet« (656). Ein solches Theologieverständnis formuliert der Beitrag von I. U. Dalferth. Er deutet das Verhältnis von vernünftiger Kriteriologie und gelebtem Glauben in der Pluralität der Religionen in der Linie der fides quaerens intellectum und bringt dies auf die Formel: »Theologie, die ihren Namen verdient, versucht Gott zu denken: An diesem Punkt trifft sie sich mit einer am Denken Gottes interessierten Philosophie. Aber sie tut das nur, wenn sie nicht nur Gott denkt und Gott nicht nur denkt …« (197).
In der Unterscheidung Gottes vom Götzen muss Theologie zu­gleich die ganze Wirklichkeit neu in den Blick nehmen; dies erfordert den nur gedachten Gott zu überschreiten, so dass sie den Zu­sammenhang von Gott und Welt (und des eigenen Denkens) »von dort her denkt, wo er als kreative Stiftung Gottes in Erscheinung tritt, der die Einstellung von Menschen zum Leben von Grund auf verändert, sodass Gott und alles andere auf umfassende Weise anders gedacht und verstanden werden als zuvor« (198). Ins Zentrum rückt damit die existentielle Situation des Menschen als Sünder coram Deo. Wo protestantische Theologie in dieser Perspektive die allein von Gott her mögliche Umkehr und Rechtfertigung in Erinnerung ruft, leistet sie m. E. einen spezifischen und unverzichtbaren Beitrag im Dialog der Konfessionen und Religionen: Die kritische Unterscheidung von Gott und Götze schließt dann die je eigene Position ein und eröffnet so ein gemeinsames Ringen darum, den je größeren Gott und seinen Heilswillen öffentlich zur Geltung zu bringen.