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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

313–314

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Neumann, Burkhard, u. Jürgen Stolze[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ursprung und Sendung der Kirche. Apostolizität und Katholizität in freikirchlicher und römisch-katholischer Sicht

Verlag:

Paderborn: Boni-fatius Verlag; Göttingen: Edition Ruprecht 2011. 233 S. Kart. EUR 22,90. ISBN 978-3-89710-487-7 (Bonifatius); 978-3-7675-7155-6 (Edition Ruprecht).

Rezensent:

Dorothea Sattler

Ökumenische Gespräche im multilateralen Kontext eröffnen im­mer wieder neue Sichtweisen auf lang vertraut erachtete Themen. Ein Dialog zwischen Theologinnen und Theologen freikirchlicher sowie römisch-katholischer Prägung über Fragen der Ekklesiologie vermittelt die Erkenntnis, dass sich diese Traditionen näherstehen, als dies zunächst zu erwarten ist. Dabei ließ die selbst gewählte Aufgabenstellung einer informellen Gesprächsinitiative ein solches Ergebnis kaum erwarten: Zwar sprechen alle konfessionellen Glaubensgemeinschaften heute bei ökumenischen Anlässen ge­meinsam das altkirchliche Glaubensbekenntnis des Konzils von Konstantinopel (381 n. Chr.) und bekennen sich darin zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche, aber die Bezugnahme auf diese vier Attribute hat in den einzelnen Kirchen einen ganz unterschiedlichen Stellenwert. Dies gilt insbesondere für die beiden Kennzeichen der Kirche, über die der freikirchlich/rö­misch-katholische ökumenische Dialog geführt wurde, der in der zu besprechenden Veröffentlichung nachgezeichnet wird: Apostolizität und Katholizität. Die Wahl dieser Reihenfolge der Attribute für die Kirche, die sich in dieser Weise weder in dem die Ost- und Westkirchen verbindenden, daher »ökumenisch« genannten Nizänokonstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis, noch im (allein westlichen) Apostolischen Glaubensbekenntnis findet, ist bereits eine ökumenische Erkenntnis: Die gemeinsame Besinnung auf die Sendung der Kirche(n) von ihrem apostolischen Ursprung an eint die konfessionellen Perspektiven und lässt (erst in der Folge) danach fragen, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang die Katholizität der Kirche hat.
In diesem Band werden die Referate eines Symposions dokumentiert, das im Februar 2010 in Paderborn stattfand. Die theologischen Begegnungen zwischen dem römisch-katholischen Jo­hann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik und der Vereinigung Evangelischer Freikirchen haben eine lange und gute Tradition. Nach Auskunft der Herausgeber ist die Wahrnehmung, dass es in diesen Dialogen nun erstmals gelungen ist, eine »gemeinsam verantwortete Zusammenfassung« (8) zu bieten, als ein Zeichen des gewachsenen Vertrauens und der vertieften Gemeinschaft zu betrachten. Formal vorbildlich ist, dass jeder Einzelbeitrag mit einer kurzen Zusammenfassung schließt. Eine Präsentation dieser Abstracts sowie der Ergebnissicherung in englischer Sprache hätte die Rezeption der Erkenntnisse im weltweiten Kontext erleichtern können, da zu erwarten ist, dass insbesondere im freikirchlichen Bereich rein deutschsprachige Veröffentlichungen kaum Aufmerksamkeit erreichen können.
Die Tagungskonzeption sah vor, im Anschluss an zwei neutes­tamentliche Beiträge aus unterschiedlichen konfessionellen Perspektiven (Maria Neubrand, römisch-katholisch; Walter Klaiber, evangelisch-methodistisch), die Frage nach der Apostolizität und Katholizität der Kirche(n) aus historischer Sicht (Burkhard Neumann, römisch-katholisch; Martin Rothkegel, baptistisch) sowie unter systematisch-theologischen Aspekten zu besprechen (Peter Vogt, Herrnhuter Brüdergemeine; Wolfgang Thönissen, römisch-katholisch; Andrea Lange, mennonitisch; Markus Iff, Bund Freier Evangelischer Gemeinden). Diese Beiträge wurden durch ein Referat von Johannes Oeldemann, römisch-katholisch, über die Ergebnisse der bisherigen ökumenischen Gespräche zur Thematik (unter besonderer Berücksichtigung der multilateralen sowie bilateralen Dialoge unter freikirchlicher und zugleich römisch-katholischer Beteiligung) hilfreich ergänzt. Ökumenische Symposien sind im­mer auch geistliche Ereignisse. Dies wird im Sammelband da-durch deutlich, dass auch die beiden Ansprachen in den Morgenandachten (Michael Hardt, römisch-katholisch; Karl-Martin Un­rath, evangelisch-methodistisch) veröffentlicht wurden.
Die Lektüre der Einzelbeiträge legt offen, dass viele der allgemeinen Erkenntnisse in der ökumenischen Hermeneutik sich auch bei dem hier dokumentierten theologischen Dialog bestätigten. Zwei Beobachtungen wähle ich aus: 1. Auch bei identischer Quellenlage im Hinblick auf die biblischen Zeugnisse sind konfessionelle Interessen bei der Auslegung wirksam. So konstatieren zwar sowohl die römisch-katholische Neutestamentlerin Maria Neubrand als auch der methodistische Neutestamentler Walter Klaiber, dass in der Rede von der Kirche die Begriffe »apostolisch« und »katholisch« in den Schriften nicht vorkommen, die Gewichtung der nachbiblischen Traditionsbildung bei der Verwendung dieser Begriffe geschieht jedoch in unterschiedlicher Weise. Während Neubrand daran gelegen ist, insbesondere die »Frage nach der Sicherung der Kontinuität des apostolischen Zeugnisses in nachapostolischer Zeit« (15) zu thematisieren, setzt Klaiber Akzente im Hinblick auf die thematische Verbindung von Apostolizität und Mission der Kirche in der Verkündigung des Evange-liums. Übereinstimmend beschreiben beide Exegeten die Grundlage des neutestamentlichen Verständnisses des apostolischen Dienstes, der in aller ausgeübten personalen Vielfalt (unterschiedlich vor allem in den Konzeptionen von Paulus und Lukas) eine verbindliche Sinngebung hat: Zeugnis zu sein für den auferweckten Christus Jesus (2). In Dialogen mit kirchlichen Traditionen, die (oft nicht nur) im deutschsprachigen Raum in einer Situation sind, eine (numerische) Minderheit zu repräsentieren, werden Dialoge nicht selten zu einem Ort der Konfessionskunde. Die oft wenig bekannte Anfangs- und Folgegeschichte einer konfessionellen Gemeinschaft werden in Beziehung zur Thematik gebracht. Die in historisch konnotierten Erzählungen vorgenommenen konfessionellen Identitätsbestimmungen bewirken Sympathie, sie ersetzen jedoch nicht die Anstrengung einer ökumenischen Begriffsbildung auf dem Weg zu einer Verständigung darüber, was die Kirchen gemeinsam über ihre Apos­-tolizität und Katholizität denken.
Die in zehn Gedanken geschehende Zusammenfassung des Dialogs (215–219) belegt, dass die angestrengten Bemühungen um eine Verständigung über die Apostolizität und Katholizität der Kirche(n) auch zwischen evangelischen Freikirchen und der römisch-katholischen Kirche nicht ohne Ergebnis blieben. Unter den vielen er­kannten Konvergenzen erscheint mir eine von besonderer Be­deutung: Bei beiden Begriffen ist zwischen einer quantitativen bzw. formalen und einer qualitativen Bestimmung ihre Gehalts zu un­terscheiden. Ökumenisch zielführend ist eine im Sinne der biblischen Zeugnisse und auch der altkirchlichen Tradition vorzunehmende inhaltliche Orientierung am Christusgeschehen. »Ka­tholisch« ist die Kirche nicht (allein) aufgrund ihrer regional universalen Weite, sondern überall da, wo Jesus Chris­tus ist. Diese in vielen Beiträgen im An­schluss an Ignatius von Antiochien wiederholte Einsicht lässt sich so erweitern: »Apostolisch« ist die Kirche nicht (allein) aufgrund einer geordneten Amtsstruktur, »apostolisch« wirkt die Kirche in der Kraft des Geistes dort, wo sie das Ostergeheimnis wirksam bezeugt.