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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

310–311

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Müller, Gerhard Ludwig [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Instruktion »Donum veritatis« über die kirchliche Berufung des Theologen. Dokumente und Studien der Kongregation für die Glaubenslehre. Übers. u. Red. K. Pichler.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2011. 172 S. = Römische Texte und Studien, 5. Kart. EUR 16,80. ISBN 978-3-429-03446-7.

Rezensent:

Theodor Dieter

Gerhard Ludwig Müller hat 2011, damals noch Bischof von Regensburg, seit 2012 Präfekt der Glaubenskongregation in Rom, einen Band publiziert mit dem lateinischen und deutschen Text der »In­struktion ›Donum veritatis‹ über die kirchliche Berufung des Theologen« zusammen mit zwölf Kommentaren. Die 1990 veröffentlichte Instruktion der Glaubenskongregation hat seinerzeit viele Kontroversen hervorgerufen. Die im Buch versammelten Kommentare sind von Theologen unterschiedlicher Provenienz verfasst; sie zeichnen den Gedankengang mit verschiedenen Schwerpunkten nach und werben so für ein angemessenes Verständnis der Instruktion. Es handelt sich um die Übersetzung eines schon 1993 in Rom publizierten Buches. – In der »Einführung« erinnert Joseph Ratzinger daran, dass nach dem Ersten Weltkrieg viele Bewegungen in der katholischen Kirche entstanden, die »ein neues geistiges Klima [gestalteten], in dem auch eine neue Theologie wuchs, die im Zweiten Vatikanum für die ganze Kirche fruchtbar wurde. Die Bischöfe selbst waren vom Reichtum einer ihnen zum Teil noch wenig vertrauten Theologie überrascht und ließen sich willig von den Theologen als ihren Lehrmeistern in bisher von ihnen unbetretenes Land führen, auch wenn die letzten Entscheide, was Aussage des Konzils und somit der Kirche selbst werden durfte, den Vätern überlassen blieben.« (17) In der Folge sahen sich, so Ratzinger, die Theologen »mehr und mehr als die eigentlichen Lehrer der Kirche«, während das Lehramt des Heiligen Stuhls »zusehends als ein letzter Rest eines verfehlten Autoritarismus« (ebd.) erschien. Das machte für den Präfekten der Glaubenskongregation »eine Neubesinnung auf die Stellung der Theologie und des Theologen wie auf deren Verhältnis zum Lehramt notwendig« (ebd.).
Diese Neubesinnung verdient auch nach über 20 Jahren Interesse, weil sie die heute noch gültige Vorstellung des Lehramts vom Verhältnis von Lehramt und Theologie darlegt, die freilich in großer Spannung zum Selbstverständnis vieler katholischer Theologen steht. Ausgangspunkt ist das donum veritatis, das Jesus Christus schenkt und selber ist. Der Glaube ist auf diese Wahrheit, die frei macht, bezogen und sucht sie immer tiefer zu verstehen (Theologie). Die Wahrheit eint die Glaubenden als Volk Gottes im übernatürlichen Glaubenssinn, das Lehramt legt die Wahrheit verbindlich vor; es ist darum dem Glauben nicht äußerlich. »Das lebendige Lehramt der Kirche und die Theologie haben zwar unterschiedliche Gaben und Aufgaben, aber am Ende das gleiche Ziel: das Volk Gottes in der Wahrheit, die frei macht, zu bewahren« (43). Theologie, die so im Wesen des Glaubens grundgelegt und also als unverzichtbar verstanden wird, wird erstaunlich vage in vielen Variationen beschrieben; sie soll »immer tiefer verstehen« – das Wort Gottes, die Geheimnisse des Glaubens u. a. – und dazu Elemente der Philosophie, der historischen und der Humanwissenschaften verwenden (33). Das Lehramt hingegen wird so eingeführt:
Gott »hat seiner Kirche durch die Gabe des Heiligen Geistes Anteil an seiner eigenen Unfehlbarkeit gegeben. Durch den ›übernatürlichen Glaubenssinn‹ aber erfreut sich auch [?] das Volk Gottes dieses Vorzugs, unter der Leitung des lebendigen Lehramtes der Kirche, das kraft der im Namen Christi ausgeübten Autorität die einzige authentische Instanz für die Auslegung des geschriebenen oder überlieferten Wortes Gottes ist.« (35)
Wie aber verhält sich dann die Aufgabe der Theologie, das Wort Gottes auszulegen, zu dieser Aufgabe des Lehramts? Das Proprium des Lehramtes ist seine besondere Geistbegabung. Damit es seine Aufgabe erfüllen kann, hat »Christus den Hirten der Kirche den Beistand des Heiligen Geistes verheißen. Er hat sie im besonderen in Sachen des Glaubens und der Sitten mit dem Charisma der Unfehlbarkeit ausgestattet.« (37) Angesichts dieser massiven Berufung auf die Assistenz des Heiligen Geistes wäre es wichtig zu erfahren, in welchem Sinn das Lehramt »aus der theologischen Arbeit Nutzen zieht« (43), vor allem weil ein »Grundsatz« lautet, »dass die Unterweisung des Lehramtes – dank des göttlichen Beistands – auch abgesehen von der Argumentation gilt, die zuweilen von einer besonderen Theologie übernommen ist, deren sie sich bedient« (53). Wenn die Instruktion sehr ausführlich Argumente, die zur Rechtfertigung des Dissenses mit dem Lehramt angeführt werden, zu widerlegen versucht (49–63), argumentiert sie theologisch – wie anders als theologisch sollte sie argumentieren?
Das lässt fragen: Hat ein theologisches Argument, das sich in der Instruktion findet, eine andere Autorität als ein identisches Argument, das ein Theologe, der nicht zum Lehramt gehört, vorbringt? Wenn nicht, muss es sich wie andere theologische Äußerungen kritisieren lassen; wenn ja, dann muss man nach der Rolle der Vernunft in der Darlegung des Glaubens fragen. So scheinen sowohl die theologische wie die lehramtliche Arbeit in der Instruktion unterbestimmt zu sein. Vom Verhältnis von Theologie und Lehramt zueinander wird mehr gesagt. Das Lehramt legt Wahrheiten mit unterschiedlichen Verbindlichkeitsgraden vor und erwartet den ihnen jeweils entsprechenden Grad der Zustimmung (43–49). Dissens mit einer lehramtlichen Äußerung in »an sich nicht irreformablen Dingen« (45) soll ein Theologe respektvoll aushalten und vorbringen, aber nicht über die Massenmedien austragen.
Letzteres ist durchaus plausibel, denn ein Streit um die Wahrheit auf dem Weg über die Medien wird leicht zum Machtkampf, bei dem es meist einen Verlierer gibt: die Wahrheit. Aber von einem Dialog zwischen Theologie und Lehramt zu sprechen (47), fällt angesichts der Asymmetrie schwer, entgegen den emphatischen Ausführungen Max Secklers (85–90). Walter Kasper betont, dass die Verbindlichkeit des lehramtlichen Sprechens im eschatologischen »ein für alle Mal« des Christusereignisses gründet (100). Aber nimmt das Lehramt umgekehrt den eschatologischen Vorbehalt allen menschlichen Redens und die Geschichtlichkeit des Menschen ernst? Wie verhält sich die Wahrheit, die Christus ist, zur satzhaften Vorlage der Wahrheit?
So weckt die Instruktion mehr Fragen, als sie beantwortet. Die Beiträge helfen hier nicht viel weiter; sie sind textnahe Kommentare und insofern hilfreich, um Fehlinterpretationen der Instruktion zu vermeiden, aber keine eigenständigen – theologischen – Erörterungen. Fragen wie die genannten beantworten sie nicht.