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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

302–304

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Baier, Klaus A.

Titel/Untertitel:

»Ökumene ist kein Konzept. Sie ist eine Lebensart.« Grundzüge einer Religionsdidaktik in ökumenischer Perspektive. Vorlesungen

Verlag:

Oldenburg: Didaktisches Zentrum (diz) der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg 2010. XIII, 531 S. Kart. EUR 20,00. ISBN 978-3-8142-2224-0.

Rezensent:

Gottfried Orth

Das aus 35 Vorlesungen hervorgegangene Buch des Oldenburger Systematischen Theologen und emeritierten Theologischen Oberkirchenrates der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg Klaus A. Baier, der bereits eine ganze Reihe von sehr beachteten Publikationen zum ökumenischen Lernen vorgelegt hat, ist weit mehr, als der Titel verrät. Dabei kann die Rezension auch nicht ansatzweise die gesamten Argumentationslinien der immer wieder neu ansetzenden Reformulierungsversuche ökumenischen Lernens nachzeichnen. Ich setze deshalb meine Akzente.
Die »1. Abteilung« des Buches unter dem Titel »Geistesgeschichtliche und historische Hintergründe des ökumenischen Lernbegriffs« (1–216) ist zunächst ein Kompendium und Fundort zu Themen und Konzeptionen sowie Autorinnen und Autoren ökumenischen Lernens von der 1. Weltmissionskonferenz 1910 in Edinburgh bis in die 90er Jahre des letzten Jh.s. Dabei gelingt B. eine ebenso präzise wie kritische Zusammenschau der eher institutionellen Überlegungen zum ökumenischen Lernen, wie sie im ÖRK und seinen Vorgängerorganisationen Gestalt gewonnen haben, und der wissenschaftlichen Diskussion zum Thema insbesondere seit den grundlegenden Entwürfen von Ernst Lange. B. hat hier nicht weniger als ein Stück Ökumenegeschichte unter dem besonderen Blickwinkel des Lernens im Welthorizont vorgelegt, die dort ihre Zäsur erfährt, wo B. den ökumenischen Lernbegriff in den 90er Jahren des 20. Jh.s. in eine Krise geraten sah. Diese Krise sieht B. im Kontext der Fragen nach einer tragfähigen ökumenischen Vision und ihrer missions- und ökumenetheologischen Begründung nach dem »für viele unbefriedigenden Ausgang des konziliaren Prozesses« (217), nach dem didaktischen Ort ökumenischen Lernens, nach der mit der Individualisierung des Glaubens neu zu bedenkenden »Frage von (ökumenischer) Persönlichkeit und Persönlichkeitsbildung« (210) und schließlich nach der fragwürdig gewordenen »Verwurzelung des ökumenischen Lernens im westlich-abendländischen Bildungsideal« (211).
Damit sind auch die Ausgangspunkte der in der 2. Abteilung des Buches angestellten »Überlegungen zur Reformulierung des ökumenischen Lernens und seiner Didaktik« (217–401) formuliert. Die Überlegungen beginnen mit dem m. E. zentralen Punkt: der Frage nach dem »Weg zu einem gemeinsamen Verständnis und einer gemeinsamen Vision des Ökumenischen Rates der Kirchen«, in die sodann Kernaufgaben einer Weiterentwicklung ökumenischen Lernens eingezeichnet werden. Doch bevor dies ausführlich in Angriff genommen wird, geht es um den »globalen Raum« als Lernort. Besonders bedeutsam erscheint mir nach dem Zusammenbruch der großen tragenden »Meta-Erzählungen« (265) hier »eine bisher wenig beachtete Aufgabe ökumenischen Lernens: es muss sowohl hinsichtlich von Glauben und Bekenntnis als auch im Blick auf ethisches Verhalten in der konkreten Situation zu Differenzbereitschaft und Differenzkompetenz beitragen« (263). Die Wahrnehmung von Differenz findet sodann ihren Ort in ökumenischen Erzählgemeinschaften, die B. mithilfe des Story-Konzeptes entfaltet (282 ff.). Die Mitte der Überlegungen zur Reformulierung ökumenischen Lernens sehe ich in den beiden theologischen Kapiteln zu dessen spirituellem Horizont und pneumatologischer Perspektivierung. In Aufnahme von Bonhoeffers reflektierter spiritueller Erfahrung – »Gott lässt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist Gott bei uns und hilft uns« – und einem Gedanken Welkers – »Sensibilität für ungerechte Differenz, für Benachteiligte, Schwächere, Ausgegrenzte ist charakteristisch für das Wirken des Heiligen Geistes« – deutet B. eine »ökumenische Ethik des Pathischen« und ein dementsprechendes ökumenisches Lernen in der »Perspektive der Schwachheit« an (300–330, besonders 317 ff.). Damit wird ein gegenüber den bisherigen Perspektiven neuer, theologisch hermeneutischer Rahmen »einer Didaktik im Kontext der ökumenischen Bewegung« anvisiert, der »das Leiden und das Kreuz als Zeichen der Hoffnung der Gegenwart Gottes im Leid und in der (leiblichen und geistlichen) Schwachheit« thematisiert (331 f.). Diese zweite Abteilung schließt mit den anthropologischen Aspekten einer Didaktik in ökumenischer Perspektive, die insbesondere Anleihen bei der Gestaltpsychologie nimmt, die B. weiterführt zu Fragen des Gewissens und der Gewissensbildung (als Persönlichkeitsbildung [403]) und der Reichweite der Verantwortung im Blick auf ›fernethische‹ Erfahrungen und Fragestellungen (392 ff.).
Das Buch schließt mit einer 3. Abteilung zu den »Prolegomena zu einer Didaktik in ökumenischer Perspektive« (402–508). Deren Leitthema sind zunächst Überlegungen zu der Frage, »welchen Beitrag Erziehung und Bildung zur ›Entparchialisierung‹ des Gewissens leisten können« (403). Dabei geht es B. um inter- und transreligiöse Kommunikationsprozesse, er nimmt also die Überlegungen zur Anders- oder Fremdheit wieder auf und wendet sie auf die Frage an, wie Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit einander ihre Heilserfahrungen mitteilen können; in diesem Zusammenhang betont er die Heilsexklusivität gegenüber einer dogmatischen Exklusivität oder in meiner Sprache: einen doxologischen gegenüber einem dogmatischen Absolutheitsanspruch. Damit verbunden ist die Frage nach dem Umgang mit Wahrheit(en), was B. als zentrale Lernaufgabe einer ökumenischen Didaktik sieht. Der Band schließt mit Anregungen zu einer religionspädagogischen Fachdidaktik in ökumenischer Perspektive. Hier hätte ich mir gewünscht, dass B. stärker ausgeht von seinen theologisch grundlegenden Überlegungen des spirituellen Horizontes, der pneumatologischen Perspektivierung und mit beidem zentral verbunden einer kreuzestheologischen Perspektive, die Gottes Ohnmacht am Kreuz zum Kern einer Didaktik in ökumenischer Perspektive macht und diese nicht lediglich – in meiner Wahrnehmung – additiv anderen pädagogischen, anthropologischen und theologischen Überlegungen zuordnet.
Trotz dieser kritischen Anmerkung am Schluss sehe ich in dem Buch einen großen Wurf. B. macht deutlich, dass es bei ökumenischem Lernen weniger um Fragen der Didaktik oder Methodik geht (auch wenn er diese Begrifflichkeit bis zum Schluss beibehält) als um das Wahrnehmen, Erlernen und Einüben einer Haltung, eben: Ökumene als Lebensart.