Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2015

Spalte:

300–302

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Staib, Tobias

Titel/Untertitel:

Diakonisches Hilfehandeln als Vertrauensbeziehung. Eine institutionenökonomische Analyse unter besonderer Berücksichtigung diakonischer Finanzierungsstrukturen

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. 482 S. = Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen Instituts an der Universität Heidelberg, 51. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-03349-2.

Rezensent:

Jürgen Stein

Seit Juli 2012 hat der Organspende-Skandal das in Deutschland eingerichtete System für die Gewinnung und Verwertung von »gespendeten« Organen massiv in Frage gestellt. Mediziner, Politiker und Betroffene fordern seither, »Vertrauen zurückzugewinnen«. Dies ist ein extremes Beispiel für die Bedeutung des Themas, dem sich die Heidelberger Dissertationsarbeit von Tobias Staib stellt. Sie fragt nach Bedingungen und Gefährdungen für Vertrauen in Diakonie und, wie die Analyse der Arbeit fundiert ergibt, damit auch in Kirche.
S. geht auf den »Organspende-Skandal« natürlich nicht ein und verzichtet auf Fallstudien. Die Arbeit leistet vielmehr Grundlagenarbeit, wenn sie die Fragestellung der aktuellen Wirtschaftswissenschaft, von Verhaltenspsychologie und Institutionenforschung auf Zusammenhänge befragt, die erhellen können. Dabei enthält die Arbeit auch ausführliche Analysen der diakoniewissenschaftlichen und theologischen Diskursentwicklung damit in Zusammenhang stehender Themen, welche für Fragen anderer Fachgebiete zugänglich gemacht werden. Hierbei wird weit in die deutsche Leitungspraxis der diakonischen Unternehmensstruktur hinein ausgeholt.
Die zentrale Auseinandersetzung findet statt, wo Platzierung und Annahme von Vertrauen in einem Gesamtkalkül gedeutet wird, das ohne Eigennutzinteresse nicht zu denken wäre und das gleichrangig und widerspruchsfrei auch die Option für »opportunistisches« Verhalten (also den Vertrauensbruch) enthält. Dies scheint diametral einem Verständnis entgegenzustehen, das Vertrauen als »Aufweis von Verletzlichkeit«, als »vorbehaltlosen Schritt auf den Nächsten zu« oder als Wiederspiegelung des Vertrauens Gottes in seine Schöpfung deutet. Eine Annäherung solcher Positionen versucht die Analyse von Vertrauen in einer » principalagent« Beziehung, wo Auftrag gebende und Ausführende ihre Beziehung jeweils unter einem von ihnen gesetzten Grad von Vertrauen gestalten. Ein Auftraggeber als principal kann zwar nie mit letzter Sicherheit wissen, ob sein agent den erteilten Auftrag überhaupt bzw. gegebenenfalls auch in der Weise ausführt, wie es gewünscht ist, und dem agent mag verborgen sein, ob er die Bedingungen für die Auftragserfüllung wirklich erhält – dennoch wird diese Beziehung eingegangen.
S. stellt sich diesem Fragenkomplex nach einer ausführlichen Darstellung der Entwicklung von Diakoniewissenschaft und theologischer Reflexion über Diakonie in den letzten Jahren. Kriterien für Diakonie werden dabei resümierend so beschrieben (82 f.): »Diakonie ist Dienst am Menschen und nicht Herrschaft über ihn, Diakonie bietet Hilfe […] durch Aufrichtung des Rechts, Diakonie hat schließlich als zusammenfassendes Zentralkriterium die Liebe.« Theodor Strohm et al. folgend werden von diesen Kriterien die Motive (etwa aus der Freiheit des Glaubens heraus), die Aufgaben (Anwaltschaft und konkrete Hilfe) und die Orte der Diakonie (unmittelbar zwischen Menschen, in Unternehmen und auf einer politischen Ebene unterschieden (ebd.). S.s Arbeit ist dabei zentral auf den zweiten Ort gerichtet, wo auch die Finanzierung als Herausforderung und Ausdruck von Vertrauen eine wesentliche Rolle spielt. Der Fortgang der Argumentation macht aber deutlich, dass ein Konzept, das einseitig auf per se gutem und gebotenem »Helfen« als Verwirklichung christlichen Glaubens beruht, auch von der theologischen Reflexion her in Kritik geraten ist (sogenannte »Legitimationskrise des Helfens«).
Hier leitet S. dann in das Feld der Institutionenökonomik über und zeigt (130 ff.), welche Bedeutung Institutionen bei der »Stabilisierung von Erwartungen« und der »Konstituierung von Spielregeln menschlichen Verhaltens« haben. Hier ist dann auch der Begriff »Vertrauen« einzuordnen – mit Dalferth und Rippberger, Luhmann und Giddens definiert und diskutiert, bleibt es eine »riskante Vorleistung«, die Komplexität reduziert, aber nicht aufhebt. Vertrauen ist also nicht die Voraussetzung für Abmachungen und Verträge, sondern das Setzen von Vertrauen ist selbst ein Vertrag (155). Dies gilt nach innen zwischen helfendem Personal und Klientel, zwischen Leitung und Mitarbeiterschaft und nach außen zwischen Institution und Ressourcengebern. Das Vertrauen zwischen Leitung und Mitarbeiterschaft (Leitbild Professionalität, 178 ff.) wird dabei als die zentrale Achse herausgearbeitet, für die es verschiedene Managementleitbilder und -strategien gibt. Aus ökonomischer Perspektive wird die »Funktionsweise« von Vertrauen, in der Theologie die »Frage nach Grund und Ziel«, thematisiert (so zusammenfassend 281). Eine Verständigung über die Bedeutung im praktischen Vorgehen ist durchaus möglich und kommunizierbar, diese Schritte werden aber durchaus anders ins Bezugssystem der Wissenschaft eingeordnet werden.
An diese Ergebnisse schließt S. einen weiteren Argumentationsgang an, der konkrete Bedingungen diakonischen Unternehmenshandelns in der deutschen Werte- und Rechtsordnung und den hier geltenden Grundlagen umfasst. Ein Überblick über Rechtsformen, Finanzierungswege und -instrumente von der privaten Spende/Stiftung bis zum leistungsrechtlichen Vertragsentgelt im »Dreiecksverhältnis« und subsidiärer Struktur werden unter das Kriterium gestellt werden, inwieweit sie dem Aufbau und Erhalt von Vertrauen förderlich sind. Hier dokumentiert die Arbeit an manchen entscheidenden Stellen noch einen Mangel an Grundlagenforschungen und geprüftem Material. Seine Schlussfolgerungen überprüfend weist S. insbesondere die Principal-agent-Struktur in den verschiedenen Finanzierungsvarianten diakonischer Arbeit nach. Als Besonderheit wird letztlich herausgearbeitet:
»Dem biblisch geschilderten Hilfehandeln wohnt ein spezifischer Perspektivenwechsel inne, in dem beide Akteure im Hilfegeschehen Träger und Empfänger von Barmherzigkeit sind. Jeder Hilfehandlung geht der Blick des Hilfesuchenden voraus, in ihm begegnet einem Gott, der dem Helfer seine Identität überhaupt erst verleiht. Hilfe ist eine auf dem vorgängigen Geben Gottes beruhende Gabe des Menschen, die Bedürfnisse des Nächsten zu erkennen, entsprechend zu handeln und nicht nach standardisierten Bedarfen.« (432f.)
Die Folgerungen aus S.s Überlegungen bedeuten eine »breite Aufstellung« der Finanzierungsweise diakonischer Einrichtungen, was auch eine Rücknahme des sozialstaatlichen Finanzierungsanteils und eine Zunahme der Bedeutung von Spenden, Stiftungsmittel und anderer nicht am Staat orientierter Finanzierungswege bedeutet – eine Position, die erhebliche Brisanz enthält und auf Widerspruch stoßen wird. S. schließt mit einer Bekräftigung der Bedeutung von Glaubwürdigkeit, die gerade in dem Milieu, wo das Vertrauen zu ihr am stärksten ist, der enge Bezug der Kirche verleiht (s. 439 zur Bedeutung von »Image« und »Glaubwürdigkeit« bezüglich Kirche und Diakonie).