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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

296–297

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

[Gräb, Wilhelm]

Titel/Untertitel:

Religion und Gefühl. Praktisch-theologische Perspektiven einer Theorie der Emotionen. Festschrift für Wilhelm Gräb zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. L. Charbonnier, M. Mader u. B. Weyel.

Verlag:

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. 449 S. = Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie, 75. Kart. EUR 74,99. ISBN 978-3-525-62428-9.

Rezensent:

Ch. G.

Der Sammelband ist die Festschrift zum 65. Geburtstag des Berliner Praktischen Theologen Wilhelm Gräb, der in den letzten 25 Jahren durch seine vielfältigen religionstheoretischen und kulturhermeneutischen Arbeiten diesem Fach wichtige Impulse gab. Dabei stellen sich die insgesamt 29 Autoren und Autorinnen (in 27 Beiträgen) folgendem in der Einleitung formulierten Desiderat: »Dem großen Stellenwert, den Gefühle in den Religionen und öffentlichen De­batten über Religion haben, steht auf religionstheoretischer Seite ein Theoriedefizit entgegen.« (9)
In einem ersten »Philosophische und systematische Analysen« überschriebenen Teil tritt in den meisten Aufsätzen Friedrich Schleiermacher als entscheidender Gewährsmann hervor. Sein Religionsverständnis bildet demnach einen ergiebigen Bezugspunkt für die Thematik »Religion und Gefühl«. Dabei wird in un­terschiedlicher Weise auch versucht, Bezüge zum gegenwärtigen Emotionen-Diskurs herzustellen. Ein erkenntnistheoretisches Fundament legt der Berliner Philosoph Volker Gerhardt, wenn er »Glauben: Ein Gefühl, das Wissen trägt und Nichtwissen erträglich macht« (65–77) reflektiert.
Der zweite Teil offeriert »Phänomenologische Zugänge in Kultur und Gesellschaft«. Hier begegnen u. a. musikalische Popkultur, Ki­no, Cyberspace und ähnliche wichtige Stichworte heutiger kulturwissenschaftlicher Debatten. Einen besonderen Impuls geben die me­thodologischen Reflexionen des Berliner Religions- und Mis-sionswissenschaftlers Andreas Feldtkeller: »Die Bedeutung des Ge­fühls für die teilnehmende Beobachtung von Religion« (187–202).
Im dritten Teil werden schließlich »Praktisch-theologische Hand­lungsfelder« abgeschritten. Die Bedeutung der Gefühls-Thematik und zugleich deren Vernachlässigung lassen sich in allen klassischen Disziplinen der Praktischen Theologie sowie in Pastoraltheologie, Pflege und Kasualien beobachten. Einen interessanten kirchentheoretischen Akzent setzt dabei der Zürcher Praktische Theologe Thomas Schlag: »Emotion, Entwicklung und Emergenz. Gemeindeentwicklung in der Spannung zwischen in­dividueller Re­ligion und institutioneller Orientierung« (397–418).
Insgesamt liegen mit diesem Band anregende Studien zu einer in der bisherigen Theologie zweifellos unterbestimmten, in der Lebenswelt aber wichtigen Thematik vor. Die in einigen Beiträgen eingespielten Hinweise auf Einsichten aus den Neurowissenschaften – explizit ausgeführt in dem Beitrag von Georg Northoff »Religion und Gehirn – Wer beeinflusst wen?« (141–154) – eröffnen neue Horizonte. Inwieweit sie an die im ersten Teil sonst vorgeführten theologischen Reflexionen des 19. Jh.s anschließbar sind, muss wohl weiter diskutiert werden.