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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

290–292

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Deeg, Alexander, Garhammer, Erich, Kranemann, Benedikt, u. Michael Meyer-Blanck

Titel/Untertitel:

Gottesdienst und Predigt – evangelisch und katholisch

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie; Würzburg: Echter Verlag 2014. 141 S. = Evangelisch-Katholische Studien zu Gottesdienst und Predigt, 1. Kart. EUR 24,99. ISBN 978-3-7887-2773-4 (Neukirchener Theologie); 978-3-429-03720-8 (Echter Verlag).

Rezensent:

Christian Grethlein

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Conrad, Ruth: Weil wir etwas wollen! Plädoyer für eine Predigt mit Absicht. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie; Würz­burg: Echter Verlag 2014. 171 S. = Evangelisch-Katholische Stu-dien zu Gottesdienst und Predigt, 2. Kart. EUR 26,99. ISBN 978-3-7887-2842-7 (Neukirchener Theologie); 978-3-429-03721-5 (Echter Verlag).


Der schmale, inhaltlich aber sehr gehaltvolle Band eröffnet eine neue Reihe mit einem ambitionierten Programm. Die beiden evangelischen Praktischen Theologen Alexander Deeg und Michael Meyer-Blanck sowie der katholische Pastoraltheologe und der katholische Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann verfolgen damit vier Ziele: Der »Zusammenhang zwischen der Liturgie als ganzer und der Predigt als einem rhetorischen Akt innerhalb des Ritus« (5) ist stärker zu beachten; die Homiletik soll als Disziplin und in »ihrer Zuordnung zur Liturgiewissenschaft« gestärkt werden; homiletisch-liturgische Zusammenhänge sind näher zu erforschen; ökumenisch wird ein gegenseitiges Lernen angeregt, wobei das Schwergewicht auf dem evangelisch-katholischen Ge­spräch liegt, aber auch die weitere Ökumene und das jüdisch-christliche Gespräch im Blick sind. Es handelt sich also gleichermaßen um ein interdisziplinäres (Liturgik – Homiletik) und ein ökumenisches Projekt. Jeder der Reihenherausgeber steuert einen besonders akzentuierten Beitrag dazu bei. Diese vier Aufsätze be­wegen sich alle auf hohem Niveau, enthalten vielfältige Anregungen und eignen sich durch die jeweils gegebenen Überblicke und klaren Begriffsbestimmungen auch vorzüglich für den akademischen Unterricht.
Michael Meyer-Blanck (»Ritus und Rede. Eine Verhältnisbestimmung auf dem Hintergrund ökumenischer Theologie«) entwickelt in Fortführung seiner mittlerweile zum Standardwerk avancierten »Gottesdienstlehre« konzise den Zusammenhang und die Spannung zwischen Ritual und Predigt. Christlicher Gottesdienst ist beides: »Ritus und Rede«. Daraus folgt: »Es gilt die rituelle und rhetorische Dimension in allen Handlungsmustern wahrzunehmen.« (15) Dabei greift der Bonner Praktische Theologe nicht nur auf Schleiermachersche Argumentationen zurück, sondern würdigt besonders u. a. auch die homiletischen Passagen des Apostolischen Schreibens von Papst Franziskus »Evangelii Gaudium«.
Benedikt Kranemann, vielfältig erfahren in ökumenischen Diskursen, gibt einen materialreichen Überblick über »Ökumenische Liturgiewissenschaft. Eine Bilanz 1963–2013« (auf 29 Seiten finden sich 163 Fußnoten!). Dabei treten zum einen unterschiedliche An­sätze, zum anderen aber auch gemeinsame Problemlagen bei katholischen und evangelischen Liturgiewissenschaftlern hervor. Dazu durchmustert der Erfurter Liturgiewissenschaftler die liturgischen Standardwerke beider Konfessionen auf deren ökumenischen Gehalt hin. In fünf knappen Thesen werden die referierten vielfältigen Einsichten systematisch gebündelt (67–69) und damit wichtige Impulse zur Weiterarbeit gegeben.
Erich Garhammer (»Wider die Musealisierung von Liturgie. Pastoraltheologische Anmerkungen zum Liturgiediskurs nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil«) rückt demgegenüber noch einmal – in Anschluss an Romano Guardinis berühmten Brief 1964 zur Liturgiefähigkeit des modernen Menschen – ganz grundsätzliche Fragen ins Zentrum seiner Überlegungen. Nach einer kurzen Durchmusterung von Rezeptionen der Liturgiereform des II. Vaticanums bringt er einige literarische Stimmen (Heinrich Böll, Jan Lurvink, Peter Stamm) zu Gehör, in denen Liturgen und deren Probleme mit ihrer Gottesdienstgemeinde begegnen. Auch hier stellt sich die »bohrende Frage«: »Bleiben die Menschen der Liturgie fern oder hält sich der Liturg von den Menschen fern?« (89) Bei den anschließend kurz vorgestellten evangelischen Liturgikern beobachtet der Würzburger Pastoraltheologe (erstaunliche?) Parallelen zu den vorher referierten katholischen Kollegen. Dazu bringt er langjährige Erfahrungen aus der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Homiletik ein.
Abschließend zündet Alexander Deeg (»Fundierendes und Fundamentales im Wechselspiel von Theologie und Liturgie«) ein wahres Feuerwerk von Einsichten, Fragen und Theorieansätzen, dabei immer wieder erfreulicherweise den deutschen Sprachraum überschreitend. Nachdrücklich fordert der Leipziger Praktische Theologe »eine neue Verhältnisbestimmung von Liturgie und Theologie, die das Wechselspiel des gefeierten und bedachten Glaubens« (105) im Blick hat. Als Theorierahmen empfiehlt er dazu – wie bereits ausführlicher in seiner viel beachteten Habilitationsschrift – die epistemologische Figur der Abduktion. Denn: »Theologische Aussagen – etwa die Sätze ›Gottesdienst ist Feier des Pascha-Mysteriums‹ oder ›Gottesdienst ist Vergegenwärtigung des fundamentum Christi‹ – können so eine zentrale Stellung für die liturgische Erkenntnisgewinnung erhalten, ohne zugleich einseitig deduktiv normierend zu wirken.« (115) Hier bahnt sich in einem anderen Sprachspiel eine deutliche Nähe zu Meyer-Blancks Bemühungen um eine Liturgik und Homiletik integrierende Gottesdienstlehre an.
Auf jeden Fall liegt mit dem Band ein mehrperspektivisch angelegtes innovatives Projekt für evangelische Praktische Theologie und katholische Liturgiewissenschaft vor. Überzeugend arbeiten die Autoren die Verschränkung von ritueller und rhetorischer Perspektive heraus, die auf alle Teile des Gottesdienstes gleichermaßen zu beziehen ist. Man kann auf die Weiterführung dieses gewichtigen Impulses in den kommenden Bänden der Reihe nur gespannt sein, den Herausgebern für ihr Engagement danken und ihnen gute Manuskriptangebote wünschen.
Von einer praktisch-theologischen Theorie der Kommunikation des Evangeliums aus stellt sich allerdings eine Grundsatzfrage: Müsste für eine biblisch orientierte und zeitgemäße Gottesdienst-Theorie nicht zu rhetorischer und ritueller noch die diakonische Perspektive hinzutreten? In dieser Richtung finden sich, soweit ich sehen kann, in dem Band nur ganz nebenbei zwei Andeutungen. Knapp weist Garhammer bei der Präsentation des Ansatzes des neuen Papstes auf dessen »Primat« bei der Diakonie hin (81), ohne dies aber in seiner liturgiewissenschaftlichen Bedeutung auszuführen. Und Deeg deutet am Ende seiner Ausführungen ebenfalls nur kurz an: »Der liturgische Gottesdienst ist nicht der ganze Gottesdienst.« (135) Der Münsteraner Nestor der katholischen Liturgiewissenschaft Klemens Richter hat immer wieder Anstöße in diese Richtung gegeben (s. auch die Festschrift zu seinem 65. Geburtstag: Benedikt Kranemann, Thomas Sternberg, Walter Zahner [Hrsg.]: Die diakonale Dimension der Liturgie, Freiburg 2006 = Qaes­tiones Disputatae, 218). Sie sollten in dem vorgelegten Projekt aufgenommen werden. Damit muss keine Ethisierung des Gottesdienstes verbunden sein. Doch macht es nachdenklich, dass gegenwärtig die diakonische Dimension am kirchlichen Handeln großes Ansehen in der (auch kirchlich nicht gebundenen) Bevölkerung genießt, in der Liturgik aber kaum beachtet wird. Und biblisch ist, wenn Gottesdienst ein Ort der Begegnung mit Christus ist, Mt 25,31–40(–46) ein fundamentalliturgischer Text.
Nach diesem fulminanten Start der Reihe greift der Rezensent interessiert nach dem zweiten Band – und ist deutlich ernüchtert. Ruth Conrad legt – in Fortsetzung ihrer Habilitationsschrift (s. ThLZ 138 [2013], 1151–1153) – eine an der Geschichte der evangelischen Homiletik orientierte Untersuchung zur Predigtabsicht vor. Im ersten Teil stellt sie – überzeugend in drei Abschnitte gegliedert – die neuere Entwicklung von einer rhetorisch über eine ästhetisch orientierte zu einer beide Perspektiven integrierenden Homiletik dar. Der zweite Teil führt – wieder einmal – Schleiermachers Predigtverständnis vor, wobei die Unterscheidung von darstellendem und wirksamem Handeln erfreulich differenziert gehandhabt wird. Sie dient auch zum Überblick über diverse Vorschläge aus der Homiletik-Geschichte. So werden schließlich Religion, Kirchen- und Christusbezug als die auch heute noch – nach Auffassung der Vfn. – konstitutiven Begriffe der Homiletik entfaltet.
Trotz der soliden Durchführung enttäuscht das Büchlein in dieser Reihe. Sie trägt doch das Attribut »evangelisch-katholisch« im Namen. Und im ersten Band kündigten die Herausgeber die Konzentration auf »Diskurse zwischen evangelischer und katholischer Liturgik und Homiletik« an. Doch in dem jetzigen zweiten Band herrscht diesbezüglich Fehlanzeige. Katholische Homiletiker – wie z. B. Rolf Zerfaß – kommen nicht vor. »Religion« scheint mit Pro-tes­tantismus identisch zu sein. Auch die internationale Perspek-tive fehlt – wäre es nicht interessant, etwa den Ansatz von Charles Camp­bell einzuspielen? Schließlich erstaunt es, dass heute noch eine homiletische Theoriebildung möglich ist, die die Veränderungen der Kommunikation durch die elektronischen Medien unberücksichtigt lässt.