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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

275–277

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ziegler, Roland

Titel/Untertitel:

Das Eucharistiegebet in Theologie und Liturgie der lutherischen Kirchen seit der Reformation. Die Deutung des Herrenmahles zwischen Promissio und Eucharistie

Verlag:

Göttingen: Edition Ruprecht 2013. 504 S. m. 7 Tab. = Oberurseler Hefte. Erg.bd. 12. Geb. EUR 62,00. ISBN 978-3-8469-0114-4.

Die zu besprechende Studie von Roland Ziegler reiht sich ein in die Diskussion, inwiefern der lutherische Gottesdienst den Eucharistiecharakter der Alten Kirche bewahrt hat bzw. dieser möglicherweise gegen das reformatorische Gottesdienstverständnis wieder zur Geltung gebracht werden muss. Liturgiepraktischen Niederschlag fand die »eucharistisierende« Korrektur in der Einführung eines eucharis­tischen Hochgebetes. Z. nimmt sich zum Ziel zu ergründen, »ob ein derartiger Wechsel in Kontinuität oder im Kontrast zur Theologie Luthers steht« (Klappentext). Z., Pfarrer der SELK, ist Assistenzprofessor für Systematische Theologie am Concordia Theological Seminary Fort Wayne (USA). 2011 wurde Z. mit dieser Untersuchung an der Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen promoviert, auffälligerweise fehlt ein Vorwort mit dem üblichen dankenden Hinweis auf den Erstgutachter Oswald Bayer.
Z.s Leitfrage lautet: »Ist das Eucharistiegebet eine angemessene oder gar gebotene Form der Feier des Herrenmahles?« (11) Dabei geht es ihm um die Bestimmung des Zentrums des Herrenmahls: »Ist es primär Zusage Gottes, ein reines Geschenk, oder ist es Danksagung, ein Akt der Kirche im Heiligen Geist, in der sich im Gebet zu Gott die gnadenhafte Zuwendung Gottes ereignet« (12). In elf Kapiteln unterschiedlichen Umfangs geht Z. dem nach. Zunächst unternimmt er eine »Problemanamnese im Kontext lutherischer Theologie« (12). Beinahe ein Drittel des gesamten Werkes füllt die Darstellung der »Lehre und Feier des Herrenmahls bei Luther« (Kapitel 1, 14–159). Z. kommt zu dem kaum überraschenden Ergebnis, dass »Luthers Sicht der Einsetzungsworte als zentrale Bestimmung des Herrenmahles […] die Konzeption des Herrenmahles als promissio [unterstützt]« (22). Die Frage, ob Luthers Formula Missae et Communionis eine rudimentäre Form eines Eucharistiegebets beinhaltet, verneint Z. und sieht in den Einsetzungsworten trotz relativischem Anschluss und Rezitation auf Vaterunserton keinen Gebetscharakter, sondern versteht sie »wie die Tradition […] als Zusage« (143). Das anschließende Kapitel zu »Theologie und Feier des Herrenmahls in den Bekenntnisschriften« (Kapitel 2, 160–198) zeigt auf, dass die Bestimmung des Herrenmahls als Zusage der Sündenvergebung die Bekenntnisschriften durchzieht. Eucharis­tie benenne »nicht das Zentrale der Feier, […] sondern die Folge des rechten Empfangs im Glauben, den Dank der Christen« (196). Am Beispiel Julius Muethels (Kapitel 3, 199–223), eines Vertreters der »melanchthonisierenden Sicht der unio sacramentalis und der Konsekration« (222), wird die im 19. Jh. aufkeimende Diskussion um das Eucharistiegebet beleuchtet. Hier bahne sich ein »Paradigmenwechsel« (468 u. ö.) an, der eine positive Aufnahme der altkirchlichen Eucharistiegebete mit sich bringe. Die beiden folgenden Kapitel widmen sich der »Theologie des eucharistischen Hochgebetes« bei Peter Brunner (Kapitel 4, 224–241) und dessen Schüler Hans-Christoph Schmidt-Lauber (Kapitel 5, 242–265).
Mit der Rezeption des Repräsentationsgedankens, einer positiven Aufnahme der Epiklese und dem Verständnis der Einsetzungsworte als Konsekrationsworte gelinge es Brunner, »ein vollständiges Eucharistiegebet zu entwerfen und damit den Anschluß der lutherischen Kirche an das altkirchliche Beten zu begründen und zu vollziehen« (468). Sein Schüler Schmidt-Lauber führe dies zum Verständnis des Herrenmahls als Eucharistie, der Wiederholungsbefehl ziele auf die Danksagung als das eigentlich Gebotene. Der Abschnitt zur »Theologie der Repräsentation« (Kapitel 6, 266–283) beschreibt die ökumenische Verbreitung von Odo Casels »Motiv der Repräsentation des Heilsereignisses in der Liturgie« und der »Heilsvermittlung durch Partizipation«, was Z. als Kontrast zur lutherischen Tradition herausarbeitet. Ob diese Entwicklung sachgerecht ist, könne »nur im Rückgang auf das biblische Zeugnis geklärt werden« (283). Zuvor wird aber ein Abschnitt zu den lutherischen Kirchen in den USA eingeschaltet (Kapitel 7, 284–343). Die Diskussion um die Einführung eines Eucharistiegebetes ent-wickelte sich parallel zu der in Deutschland, durch die Rezeption der Anliegen Brunners seien Verbindungslinien zu ziehen und der »Trend zum Eucharistiegebet« (469) setze sich bis in die Agendenwerke der letzten Jahre fort.
Um der Frage nach »Kontinuität oder Diskontinuität des liturgischen Lebens der Kirche« (13) nachzugehen, wird dann das neu-tes­tamentliche (Kapitel 8, 344–390) und kirchenhistorische Zeugnis der ersten vier Jahrhunderte (Kapitel 9, 391–415) aufgerufen. Die Hervorhebung der Einsetzungsworte gegenüber dem Dankgebet sei vom Neuen Testament her zu rechtfertigen. Die Entwicklung der Alten Kirche nachzeichnend greift Z. die Diskussion auf, ob die lutherische Messreform mit der Fokussierung auf die Einsetzungsworte bei Verlust des altkirchlichen Eucharistiegedankens eine westliche Verfallsgeschichte an ihr Ende gebracht habe oder als sachgemäße Entfaltung dessen zu gelten habe, was schon immer in der Abendmahlsfeier angelegt war. Recht vage räumt er der letzteren Position ihr Recht ein, ohne aber zu eigenen Begründungen des historischen Befundes zu gelangen.
Der erhobene Traditionsbestand wird dann anhand materialdogmatischer Fragen reflektiert (Kapitel 10, 416–464). Die Anamnese, deren Wiedergewinnung Ziel der Einführung des eucharistischen Hochgebetes war, versteht Z. als »Erinnerung, die gleichzeitig zusagende Verkündigung ist«; das Herrenmahl als zugesagte Geschichte könne damit als »identitätsstiftendes Handeln« verstanden werden (426). Das Herrenmahl als Promissio stelle die Spendeworte als Zusageworte ins Zentrum, deren angemessene liturgische Form sei die Anrede, die Christus als den Handelnden und die Christen als Empfangende herausstellt. Das eucharistische Hochgebet als ein »konfessorischer Akt« (456) verbalisiere die Aneignung Christi im Lob. Z. schlussfolgert (Kapitel 11, 465–470): Das Herrenmahl ist Eucharistie und Promissio, Empfang im Glauben und Dank in der Antwort; die liturgische Unterscheidung von göttlicher Rede und menschlicher Antwort hat bleibendes Recht. Damit holt Z. das reformatorische Abendmahlsverständnis ein. »Der Autor meint gezeigt zu haben, dass, obwohl die Kritiker der ›Eucharistisierung‹ des Gottesdienstes eine Minderheit insbesondere unter den Liturgiewissenschaftlern darstellen, sie dennoch eine vertretbare Position haben« (469).
Die Frage, ob die Einfügung des Eucharistiegebetes Kontrast oder Kontinuität zum liturgischen Leben der lutherischen Kirche bildet, wird nicht beantwortet. Auf eine Reflexion der methodischen Gesamtanlage des Werkes muss man leider verzichten. Eine Begründung der Auswahl der Diskussionsbeiträge zur »Eucharistisierung« wird allenfalls angedeutet, die Zusammenstellung unterschiedlicher Quellengattungen bleibt unkommentiert. Auch die Vorordnung der »Anamnese« lutherischer Tradition vor die scheinbar normativ-biblische Grundierung irritiert und lässt fragen, welche Erkenntnisprinzipien hier eigentlich leitend sind. Inwiefern der transatlantische Blick für die Bestimmung des Herrenmahls zwischen Promissio und Eucharistie neue Erkenntnisse liefert, wird nicht recht plausibel. Ein abschließendes Sachregister vermag die Erschließung des Werkes nur begrenzt zu befördern.
Inwiefern die Studie die Diskussion um die Einordnung lutherischer Abendmahlstheologie und Gottesdienstreform mit neuen Impulsen bereichert, bleibt der weiteren Fachdiskussion vorbehalten. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass die gottesdienstpraktische Umsetzung theologischer Einsichten, ihre historische Verortung und theologische Bewertung sowie ihre Bedeutung für die Gegenwartstheologie ein lohnendes Untersuchungsfeld darstellen.

Münster (Westf.)Martha Nooke