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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

257–259

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Nyíri, Kristóf

Titel/Untertitel:

Zeit und Bild. Philosophische Studien zur Wirklichkeit des Werdens

Verlag:

Bielefeld: transcript Verlag 2012. 203 S. m. zahlr. Abb. = Sozialphilosophische Studien, 4. Kart. EUR 25,80. ISBN 978-3-8376-1904-1.

Rezensent:

Malte Dominik Krüger

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Arens, Edmund [Hrsg.]: Gegenwart. Ästhetik trifft Theologie. Freiburg u. a.: Verlag Herder 2012. 225 S. m. Abb. = Quaestiones disputatae, 246. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-451-02246-3.
Hoeps, Reinhard [Hrsg.]: Handbuch der Bildtheologie. Bd. III: Zwischen Zeichen und Präsenz. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh 2014. 648 S. m. Abb. Geb. EUR 88,00. ISBN 978-3-506-76853-7.
Alloa, Emmanuel: Das durchscheinende Bild. Konturen einer medialen Phänomenologie. Zürich: Diaphanes 2011. 350 S. m. zahlr. Abb. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-03734-119-3.


Dass im Anschluss an kulturwissenschaftliche und kulturphilosophische Neuorientierungen die Bildtheorie sich nach vorlaufenden Entwicklungen besonders in den USA und Frankreich auch in Deutschland akademisch etabliert, ist ein offenes Geheimnis. Entsprechende Schlagwörter wie von dem »iconic turn« (im Zusammenhang medientheoretischer Reflexionen), von der »Bilderflut« (im Rahmen zeitdiagnostischer Analysen) und von einer »Bildphilosophie« (als neuer Richtung in der Philosophie) sind inzwischen einschlägig prominent. Das Interesse an einer Bildtheorie schlägt sich nicht nur in einer zunehmenden Anzahl von Sammelbänden, sondern auch in Einzeluntersuchungen nieder, die entweder theologische Schnittfelder berühren oder inzwischen auch direkt aus theologischer Perspektive vorgenommen werden.
Hierbei liegen nicht nur zunehmend Beiträge aus der protes­tantischen Theologie vor, sondern auch die seit jeher bildaffinere katholische Theologie ist aktiv. Dafür steht der von dem Luzerner Fundamentaltheologen Edmund Arens herausgegebene Sammelband Gegenwart. Ästhetik trifft Theologie, der sich der Tagung der Arbeitsgemeinschaft der katholischen Dogmatiker und Fundamentaltheologen des deutschen Sprachraums aus dem Jahr 2010 verdankt. Allein das Erscheinen dieses Bandes zeigt den Stellenwert an, welcher der Ästhetik für die Vermittlung des christlichen Glaubens in der Gegenwart und ihrer Lebenswelt zugeschrieben wird, und verdeutlicht auch die zentrale Stellung der Bildthematik. So unterschiedlich die Beiträge im Einzelnen ausgerichtet sind, so klar wird insgesamt die Offenheit für kulturtheoretische An­schlussplausibilitäten und insbesondere eine Zuwendung zu dem, was man als Einbildungskraft und Inspiration sowie das Imaginäre, Poetische und Ekstatische bezeichnen kann. Damit kann ein performativitätstheoretischer und präsenztheologischer Zu­gang zur symbolischen Prägnanz der Liturgie verbunden werden (vgl. 25.27.39.68–72.85.129–133.147 f.150.215–221 u. ö.).
Wird hier durchaus römisch-katholisches Profil deutlich, das aber auch von anderen Konfessionen zumindest in bestimmten Annahmen geteilt werden kann, so lenkt der dritte Band des von dem katholischen Münsteraner Systematiker Reinhard Hoeps herausgegebenen Handbuchs der Bildtheologie Zwischen Zeichen und Präsenz das Augenmerk auf die fundamentale Frage, was ein Bild ist – und wie sich diese Frage wiederum theologisch einordnen lässt. In einer stattlichen Anzahl von differenzierten Einzelbeiträgen werden nicht nur mitunter unterschiedliche Herangehensweisen und Lösungsvorschläge deutlich. Es kristallisieren sich insgesamt auch basale Gemeinsamkeiten heraus: Zum einen legt es sich wohl nahe, Bildlichkeit als genuinen Ort der – auch religiös und sprachhermeneutisch – gern gebrauchten Dialektik von Anwesenheit und Abwesenheit bzw. Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit zu verstehen (vgl. besonders 23–182); und zum anderen ist diese Konzeption von dialektischer Bildlichkeit religionsgeschichtlich an das christliche Erbe zurückgebunden, wenn Jesus Christus als fleischgewordener und sichtbarer Logos des unter dem Bilderverbot stehenden Gottes bekannt wird (vgl. besonders 80–182.263–284.419–466). Zumindest für den Raum der christlichen Religion avanciert damit die Bildlichkeit zu einem signifikanten Medium, dessen Überschneidungen mit Wort und Sakrament eindimensionale Abgrenzungen und Unterordnungen von Bild, Wort und Sakrament im Verhältnis zueinander problematisch machen, wie umgekehrt Imagination und Fiktionalität, Virtualität und Realität eng und komplex verschränkt werden. Diese Verhältnisse lassen sich wiederum geschichtlich und modernitätsspezifisch, gegenwartsdiagnostisch und phänomenologisch kontextualisieren (vgl. besonders 183–217.244–262.311–604).
Von philosophischer Seite aus nähert sich verständlicherweise der Budapester Philosoph Kristóf Nyíri in seiner Studie Zeit und Bild. Philosophische Studien zur Wirklichkeit des Werdens der Bildthematik, deutet sie jedoch religiös aus. M. E. lässt sich diese Studie, die insbesondere mit Ernst Gombrich, Rudolf Arnheim und (in einer unorthodoxen Deutung) Ludwig Wittgenstein argumentiert, in drei Leitthesen zusammenfassen: Erstens ist das menschliche Denken wesentlich durch äußere und innere Bildlichkeit (und dann durch Sprachlichkeit) vermittelt, wobei die Bildlichkeit ihrerseits wieder auf motorischen Akten beruht (vgl. 25–97, besonders 99 f.125 f.128 f. u. ö.), und zweitens ist in diesen bildlich vermittelten Leiberfahrungen ein ursprüngliches, nicht-objektives Zeitverständnis fundiert, das seinerseits die Bildlichkeit beeinflusst (vgl. 25–97.142–171). Drittens kann schließlich der Mensch im religiösen Gebet den sprachlich nicht einholbaren »Überschuss« der Welterschließung sprachlich paradox in eine Anschaulichkeit bringen, wie es sich in entsprechenden Sprachbildern (»Metaphern«) zeigt (vgl. 99–139). Dieses – in den drei Leitthesen zusammengefasste Programm – führt Nyíri zur Würdigung einer »konservativen Zeitauffassung« (141), die sich auf die kulturelle Bewahrung des Lebens und seiner religiösen Deutung fokussiert (vgl. 141–194). Grundlegend für Nyíris Bildbegriff ist die – bildtheoretisch allerdings strittige – Annahme Ernst Gombrichs, es bei Bildern mit natürlichen Bedeutungsträgern zu tun zu haben (vgl. besonders 47–71).
Anders positioniert sich der Baseler Philosoph Emmanuel Alloa in der Studie Das durchscheinende Bild. Konturen einer medialen Phänomenologie. Alloa argumentiert vor allem mit einem vor dem platonischen Hintergrund erschlossenen Aristoteles und Edmund Husserl und deutet sie – über die Zäsur der neuzeitlichen Subjektphilosophie hinweg – als letztlich konvergierende Bildtheoretiker (vgl. 15–122.179–235). In dieser unorthodoxen Fluchtlinie der Deutung kommt Alloa zu der Einsicht: Wenn etwas erscheint, ist dieses Erscheinen an ein Medium gebunden, das dafür durchsichtig und daher selbst anders ist. Insofern fallen Transparenz und Opazität bildtheoretisch zusammen. Das heißt konkret: Das Sichtbare bedarf zu seinem Erscheinen des Unsichtbaren, Bildlichkeit wird entsprechend zu einer Vollzugsform medialer Phänomenologie. Als theoretisches Konzept entzieht sich die Bildlichkeit einer Fixierung (vgl. 10 f.166–175). Damit verbindet Alloa die These einer Ge­schichte der Medienvergessenheit (vgl. 123–178) und den Ansatz, (s)eine mediale Phänomenologie (auch im Blick auf einzelne Bildkunstwerke) zu konkretisieren (vgl. 237–327).
Bilanzierend lässt sich m. E. dreierlei festhalten, wenn man die thematisch sich überkreuzenden Diskurse in den dargestellten Veröffentlichungen berücksichtigt. Erstens dürfte es sinnvoll sein, grundlegend zu klären: Welche Bedeutung hat die Frage nach dem Bild kulturhermeneutisch und religiös? Oder zugespitzt: Ist die Frage nach dem Bild eine postmoderne Überspanntheit oder fundamental für das (religiöse) Selbstverständnis des Menschen? Zweitens dürfte es sinnvoll sein, grundlegend zu klären: Welche Antworten werden typologisch auf die Frage »Was ist ein Bild?« gegeben und in welcher Beziehung stehen sie zueinander? Oder zugespitzt: Entzieht sich die Frage nach der Eigenart des Bildes allein deswegen einer sprachlich fassbaren Form, weil Bilder mehr als 1000 Worte sagen können? Drittens dürfte es sinnvoll sein, grundlegend zu klären: Wie steht die (christliche) Religion geltungstheoretisch zur Frage nach dem Bild? Oder zugespitzt: Ist (christliche) Religion ohne (äußere wie innere) Bildlichkeit realisierbar? Nicht nur angesichts des Themenjahres 2015 »Bild und Bibel« der Lutherdekade sind diese Fragen aktuell, sondern vor allem deswegen, weil sie die Theologie in ihrer kulturtheoretischen Anschlussfähigkeit auf den Plan rufen. Die dargestellten Veröffentlichungen können dabei eine wichtige, wegweisende Hilfe sein.