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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

246–247

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Vogler, Günter

Titel/Untertitel:

Die Täuferherrschaft in Münster und die Reichsstände. Die politische, religiöse und militärische Dimension eines Konflikts in den Jahren 1534 bis 1536.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2014. 520 S. = Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 88. Lw. EUR 78,00. ISBN 978-3-579-05379-0.

Rezensent:

Christian Elmo Wolff

Der renommierte Historiker Günter Vogler, von 1969 bis 1996 Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Schwerpunkt Frühe Neuzeit, legt hier eine akribische Studie zu den Entscheidungsfindungsprozessen der Reichsstände während der Belagerung der Täufer in Münster vor. Sein beeindruckendes Œuvre zeigt eine intensive Beschäftigung mit der Täuferbewegung, Thomas Müntzer und dem Bauernkrieg.
Zunächst stellt V. im 1. Kapitel grundlegende Informationen zur Täuferherrschaft in Münster und zu Täufern im Reichsgebiet zusammen und ermöglicht so auch einer interessierten, jedoch bisher mit der Thematik unvertrauten Leserschaft einen Zugang zu seiner Untersuchung. Es gelingt ihm in gebotener Kürze die Pluralität der Täufergemeinden zu erläutern, indem er neben den verbindenden Gemeinsamkeiten auch die Differenzen zwischen diesen Gruppen aufzeigt. Dem Schwerpunkt der Studie entsprechend werden folgend nur Ereignisse geschildert, die in engem Zusammenhang zur Belagerung und zur Meinungsfindung der Reichsstände stehen. Der von V. vorgenommene Verzicht auf die erneute Wiedergabe von Erkenntnissen, die der zahlreich vorhandenen Li­teratur zu den Täufern in Münster entnommen werden können, ist konsequent und sinnvoll, führt aber selten auch zu einer Informationsknappheit. So wird beispielsweise auf den Seiten 38 f. schlaglichtartig die Theologie Rothmanns in Auszügen ge­schildert, wozu aus drei seiner Schriften, die innerhalb von ungefähr vier Monaten der Jahre 1534 und 1535 verfasst und gedruckt wurden, Zitate zusammengestellt werden.
Im 2. Kapitel liegt der Fokus auf den Bemühungen des Münsteraner Bischofs Franz von Waldeck gemeinsam mit dem Kurfürsten von Köln, Hermann V., Graf von Wied, und dem Herzog von Kleve, Johann III., die begonnene Belagerung Münsters zu einem zeitnahen erfolgreichen Abschluss zu führen. Im Mittelpunkt stehen der Tag zu Orsoy im März 1534 sowie die beiden Zusammenkünfte in Neuss im Mai und Juni. Auch die Einschaltung König Ferdinands und das Scheitern des ersten Sturmangriffs auf die Stadt werden thematisiert. Schon in diesem Abschnitt der Veröffentlichung werden das gegenseitige Misstrauen der Fürsten und ihre unterschiedlichen Interessen deutlich. Diese Hinderungsgründe für ein gemeinsames zielgerichtetes Vorgehen gegen die Täufer sollten auch bis zum Fall Münsters nicht überwunden werden.
Die folgenden sechs Kapitel zeigen die Beiträge der unterschiedlichen Reichsstände zu den Bemühungen Franz von Waldecks, Münster einzunehmen und die Stadt der Herrschaft der Täufer zu entreißen. Neben der Darstellung des Kurfürstentages in Mainz (1.–5. Oktober 1534) und des Tags zu Essen (5.–8. November 1534) richtet V. sein Hauptaugenmerk auf den Tag zu Koblenz (13.–26. Dezember 1534) und die reichsständische Versammlung in Worms (4.–27. April 1535). Wiederkehrende Probleme sind die Bezahlung der Söldner, die unterschiedlichen (konfessionellen) Interessen der einzelnen Fürsten und der selbstbewussten Reichsstädte. Die Desorganisation der Verantwortlichen ist bemerkenswert; so ist die Errichtung von durch Gräben verbundenen Blockhäusern ein Dauerthema für viele Monate, allein durch Regen können langwierige Verzögerungen eintreten. Die Angst, dass unbesoldete, vor Münster lagernde Söldner für kriegerische Handlungen abgeworben wer den könnten, schafft ein Klima des Misstrauens, die mangelnde Bereitschaft als unpassend angesehene Beschlüsse umzusetzen, Zeiten der Stagnation. Durch die wiederholt getroffene Feststellung, dass Münster bald fallen werde, wird der unzureichende Informationsstand vieler Beteiligter deutlich. Ein weiteres Problem ist formaler Art und betrifft den Status der Versammlungen und dadurch die Frage, wer zur Teilnahme und zur Einladung berechtigt ist. Als Reichstag sollen die Treffen der Reichsstände nicht angesehen werden, da die im Nürnberger Anstand (Juli 1532) getroffene Vereinbarung über einen Religionsfrieden vorerst nur bis zum nächsten Reichstag gesichert war und nicht parallel zu den gegenwärtigen Problemen diskutiert werden sollte. Als Ausweg wurde zu einer Reichskreisversammlung, einer allgemeinen Versammlung aller Kreise des Reichs, geladen.
V.s Wiedergabe der Meinungen der Räte der verschiedenen Städte, der Instruktionen, die den Botschaften und Gesandten der Fürsten und Städte mitgeteilt wurden, sowie der Beratungen während der Versammlungen ermöglichen neue, äußerst aufschlussreiche Einblicke in die Ansichten und Interessen der Reichsstände. Durch die sorgsame Darstellung, der eine Jahrzehnte währende Archivrecherche V.s vorausging, werden bisher nicht zu­gängliche Mosaiksteine für die Entstehung der auf den Versammlungen vereinbarten Abschiede präsentiert und interpretiert. Trotz des langen Entstehungsprozesses der Veröffentlichung wurde, wie durch das umfangreiche Literaturverzeichnis verdeutlicht wird, auch neueste Literatur zur Täuferherrschaft in Münster zur Kenntnis genommen.
Durch die detaillierten Schilderungen der komplexen Verhandlungen sind Wiederholungen unvermeidbar, da bei einer Entscheidung für dieses Vorgehen auch gleiche und ähnliche Meinungen verschiedener Reichsstände genannt werden müssen. Doch selbst mehrfache Nennungen erschweren den Lesefluss nicht, denn die den bisher unerschlossenen Quellen entnommenen Zitate sorgen für eine äußerst lebendige Präsentation der Verhandlungspositionen. Durch viele Namensnennungen wird hingegen höchste Konzentration von der Leserschaft verlangt, eine kurze Kommentierung aller Personen im Register wäre hilfreich gewesen, die generelle Ergänzung von kirchlichen Fest- und Feiertagen durch ein Datum ferner eine willkommene Erleichterung.
Der Verzicht auf einen Wiederabdruck dieser aufschlussreichen Quellen im Rahmen der vorgelegten Studie ist verständlich, ein Projekt, wodurch diese in digitaler Form frei zugänglich gemacht würden, wäre wünschenswert.
In den Kapiteln 9 bis 11 stehen der Verrat Münsters und die dadurch ermöglichte Einnahme durch die Belagerer am 25. Juni 1535, die zweite und dritte Versammlung in Worms im Juli und im November sowie der Tag zu Münster im März 1536 im Mittelpunkt. Thematisiert werden in besonderem Maße die sinkende Zahlungsmoral verschiedener Reichsstände sowie das Ignorieren der Wormser Beschlüsse durch den Münsteraner Bischof. Erneut können die abweichenden Verhandlungsziele durch die Präsentation und Analyse bisher unerschlossener Quellen und deren zielführender, teils wortgetreuer Wiedergabe erschlossen werden.
Das 12. und letzte Kapitel dient als Rückblick auf den Konflikt und stellt nur selten eine Bündelung der Studie dar. Sicherlich ist eine Zusammenfassung der Ergebnisse eine sehr komplexe Aufgabe, da das Neue die Darstellung der unterschiedlichen, ähnlichen und identischen Verhandlungsvorstellungen der Reichsstände ist. Ein häufigeres Eingehen auf die neu gewonnenen Einsichten statt eines Fazits aufgrund einschlägiger Sekundärliteratur hätte einen fulminanten Abschluss dargestellt. Abgerundet wird diese äußerst lesenswerte und mit neuen Forschungsdetails gespickte Veröffentlichung neben einem kurzen Register und dem bereits thematisierten Literaturverzeichnis durch eine hilfreiche chronologische Übersicht.