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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

751–754

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Studer, Basil

Titel/Untertitel:

Schola Christiana. Die Theologie zwischen Nizäa (325) und Chalzedon (451).

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1998. XIV, 335 S. gr.8. Kart. DM 88,-. ISBN 3-506-78758-6.

Rezensent:

Jörg Ulrich

Im Kreise der Darstellungen über die Theologiegeschichte des "goldenen Zeitalters der Kirchenväter" zwischen Nizäa (325) und Chalkedon (451) will die vorliegende Arbeit von Basil Studer insofern einen eigenständigen Akzent setzen, als sie das Augenmerk auf die Frage der theologischen Methode jener Zeit legen will; untersucht werden soll, "wie die Seelsorger der kirchlichen Gemeinden, die Prediger der großen Städte und vor allem die Theologen, Lehrer und Wissenschaftler im vierten und fünften Jahrhundert die theologische Arbeit konzipiert und durchgeführt haben" (10). Es geht dem Vf. um die Geschichte der Art und Weise, Theologie zu treiben, ein Gebiet, auf dem die Forschung noch nicht weit gediehen sei (11).

Nach einer knappen Erörterung der Möglichkeiten und Grenzen von terminologischen, literarischen und kirchenhistorischen Zugriffen auf die Thematik, welche zwar je auf ihre Weise es "erlauben, die Eigenart und Bedeutung des theologischen Denkens zu erfassen", die aber doch "für sich allein nicht zum Kern des Problems" (26) führen, unternimmt der Vf. es, sich dem "inneren Zusammenhang der damaligen Theologie" durch das Herausstellen der Tatsache zu nähern, "daß jegliche christliche Theologie auf der Bibel, der norma normans des christlichen Glaubens, gründete" und "die bekanntesten Theologen jener Zeit auch hervorragende Exegeten der Heiligen Schrift gewesen sind" (27). Dieser "Biblizismus der Kirchenväter" ist der Kernpunkt der vom Vf. vorgelegten Geschichte der reichskirchlichen Theologie, wobei der historische, sozio-kulturelle und politische Kontext selbstverständlich mit bedacht werden sollen (31). - Demgemäß gliedert sich das Buch in zwei Hauptteile, deren erster eben jenen Kontext erarbeitet (35-194), während der zweite die theologische Arbeit als solche in ihren Grundzügen analysiert (195-313).

Der erste Hauptteil bietet zunächst Beobachtungen zur Lage der mehr und mehr zur Trägerin der "Volksreligion" aufsteigenden Kirche und zu den aus der "Christianisierung des Alltags" erwachsenden neuen Aufgaben pastoraler und spiritueller Art. In den instituta veterum von den Kaisern bis zur römischen Familie boten sich Paradigmen an, die die reichskirchlichen Theologen und Prediger bei der Ausformung ihrer Theologie auf inhaltlicher und formaler Ebene rezipierten (79-82). Die eruditio veterum, Denken, Bildung, Sprache, Kultur der Antike prägt die Theologie der Reichskirche in ihren Denk- und Ausdrucksformen (zur Übernahme literarischer Formen einige schöne Beobachtungen 100-127, auf die Exegese bezogen 128-134), wobei das kulturell vorherrschende antike Ideal des orator sapiens mit der Ausrichtung des christlichen theologischen Denkens auf Texte, auf das Wort Gottes als des größten Redners korrespondierte (135). In der sapientia veterum schließlich, in der antiken Philosophie, liegt unübersehbar eine gedankliche Voraussetzung und ein methodisch und inhaltlich gestaltgebendes Element auch christlicher Theologie (mitunter bei gleichzeitiger verbaler Abgrenzung) vor, wodurch sich den Christen einerseits die Chance bot, "gewisse Aspekte des Evangeliums klarer zum Ausdruck" (193) zu bringen (der Vf. nennt den Universalismus, den Freiheitsbegriff, aber auch Gotteslehre, Kosmologie, Anthropologie und Ethik), andererseits auch Gefahren ergaben (die für den Vf. etwa in der Entwicklung der Theologie hin zu einem gewissen Intellektualismus, Rationalismus und Dogmatismus konkret werden, 193). Bei aller Enge der Beziehung bahnt sich aber in dieser Zeit, namentlich bei Augustin, zugleich auch eine "gewisse Unterscheidung zwischen Theologie und Philosophie in der heutigen Bedeutung an", eine "Unterscheidung zwischen dem, was aus der Bibel bekannt ist und dem, was ohne Bibel zu erkennen ist" (194).

Der zweite Hauptteil des Buches widmet sich nun der theologischen Arbeit im engeren Sinne. Der Vf. bietet zunächst eine instruktive Analyse der christlichen Indienstnahme vorfindlicher exegetischer Gattungen; im Anschluß an die antike Schule erörtern die Kirchenväter des vierten und fünften Jahrhunderts die biblischen Schriften sowohl auf der Ebene der res als auch auf der der verba/signa. Insofern die vorausgesetzten Gegebenheiten einerseits selbst biblischer Herkunft sind, andererseits aber auch mit Hilfe biblischer testimonia neu entfaltet werden, kann bei der altkirchlichen Exegese in einem doppelten Sinne von biblischer Theologie gesprochen werden. Diese biblischen Entfaltungen christlich-biblischer Wirklichkeiten vollziehen sich, wie der Vf. mit Recht unterstreicht, ganz im Stil der antiken Rhetorik und stehen zugleich im engen Zusammenhang kirchlicher Kontexte: Unterweisung, Synodalentscheidungen, Vätertestimonien und "in etwa schon die Entscheidungen des Apostolischen Stuhles" (233; 261-265) bringen die Heiligkeit der Bibel (hierzu bringt der Vf. einige Beobachtungen zur Frage der auctoritas der Schrift, zu Textgrundlage und Kanonbildung und zum theologischen Gefälle im Gebrauch der Texte, 233-245) erst eigentlich zur Geltung. Dabei werden die Glaubenswahrheiten der Schrift nun gerade nicht unter Absehung von Verstehen und Vernunft entfaltet: Daß und wie bei der Schriftauslegung ratio und fides einander sowohl widerstreiten als auch wechselseitig erhellen, zeigt der Vf. v. a. am Beispiel Augustins (267-287). Bei Anerkenntnis der Tatsache, daß im exegetischen Vorgehen einzelner Autoren durchaus Unterschiede zu diagnostizieren sind, betont der Vf. am Schluß seines Buches die relative Geschlossenheit und Einheitlichkeit der nachnizänischen Schriftauslegung, die er auch in der kulturellen Einheitlichkeit der Kaiserzeit begründet sieht (290 f.). Für diese Einheitlichkeit spricht auch die Ausbildung erster Ansätze zu schriftlich fixierter methodologischer Reflexion, wie sie in den Texten eines Hilarius und v. a. eines Augustinus anklingen bzw. vorliegen (307-313).

Eigentlich Neues bietet Studers Buch nicht. Nun ist dies auch von einer Monographie, die wenigstens unter einem Aspekt, nämlich dem der theologischen Methodologie des "goldenen Zeitalters", den Anspruch einer Gesamtdarstellung erhebt (und dabei in vielem auf ältere Detailuntersuchungen des Vf.s zurückgreift), nicht unbedingt zu erwarten. Es ist dem Vf. in jedem Falle zu danken, daß er die zahlreichen für die Frage nach den Voraussetzungen und der Durchführung altkirchlicher Schriftauslegung relevanten Quellen sowie einen größeren Teil der hierfür wichtigen Sekundärliteratur einer zusammenfassenden Durchsicht unterzogen hat. Indem er die Theologie zwischen Nizäa und Chalkedon unter dem von ihm gewählten Aspekt dargestellt hat, ist ihm eine eigene Akzentsetzung zweifellos gelungen. Auf der anderen Seite bleibt gegenüber der eingangs des Buches aufgestellten These ein zwiespältiger Eindruck: Wenn die Aussage, "dass jegliche christliche Theologie auf der Bibel, der norma normans des christlichen Glaubens, gründete", besagen soll, daß die Christen jener Zeit sich und ihre Rede von Gott im Horizont der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments verstanden, dann ist damit zunächst nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit benannt. Wenn hingegen die Auffassung, "dass jegliche christliche Theologie auf der Bibel, der norma normans des christlichen Glaubens, gründete", besagen soll, daß die Schriftauslegung im "goldenen Zeitalter" gegenüber allen anderen, von dem Vf. ja keineswegs ausgeblendeten Aspekten das dominierende, das die theologische und kirchliche Entwicklung wesentlich steuernde Moment gewesen sei, dann hätte man sich genau dies nun auch an den beiden die Zeit in besonderem Maße bewegenden Problemstellungen exemplifiziert gewünscht: Wie ist es zu verstehen, daß die Hypostasendebatte im arianischen Streit so dominierend wird, obwohl sie ja gerade nicht "biblische Theologie" repräsentiert? Wie steht es mit der Logos-Sarx - Logos-Anthropos Debatte, die die christologischen Streitigkeiten doch zweifellos massiv prägt und bestimmt? Wie ist hier die Verhältnisbestimmung von Schriftauslegung und philosophischer Spekulation zu sehen, gerade unter methodologischen Aspekten? Jedem, der St.s Buch zur Hand nimmt, wird sofort auffallen, daß die theologischen Debatten und Entscheidungen zu den dogmatischen Hauptproblemen der Zeit, dem trinitarischen und dem christologischen, daß die Entscheidungen von Nizäa-Konstantinopel und der Weg nach Chalkedon, in seiner Darstellung kaum eine Rolle spielen. Damit ist aber nicht nur der Untertitel des Buches als einigermaßen irreführend erwiesen; vor allem steht dann auch die eingangs aufgestellte These offensichtlich in Frage.

Zuletzt der Hinweis auf einige Marginalien: Die Aussage, daß man "selbst die Inschriften nicht übersehen" dürfe (21), mutet angesichts der Entwicklung der Forschung in den letzten Jahren kurios an. Die apologetisch motivierte Abgrenzung des "Biblizismus der Kirchenväter" vom "protestantische(n) Prinzip der scriptura sola" oder der "übertriebene(n) Vorrangigkeit ..., welche die Humanisten dem Text zukommen liessen" (30), wirkt in einer historischen Untersuchung zum vierten und fünften Jahrhundert deplaziert. Die erstaunlich hohe Identifizierung der Christen mit dem Römischen Reich und den Kaisern, die der Vf. mit Recht für die nachnizänische Zeit bemerkt, ist schon weit vor der "Konstantinischen Wende" anzusetzen (59, 61). Die vom Vf. gewählte Kategorie "aufklärerische Toleranz" ist zur Kennzeichnung der Politik Kaiser Julians (69) problematisch, weil anachronistisch. Elemente der Häresiologie sind in der Tat (im Sinne einer Abgrenzung) für die Synthesenbildung von Theologie wichtig, wie der Vf. schön beobachtet (298-306); diese hätten aber kritischer auf ihre Leistungsfähigkeit für die historische Rekonstruktion hin befragt werden müssen (hierzu findet sich nur ein knapper Hinweis, 300).

Das Buch enthält unerfreulich viele Druckfehler. Das Register ausgewählter Quellenzitate ist sehr knapp geraten, was gerade angesichts des beeindruckenden Materialreichtums der Arbeit zu bedauern ist. Hierbei handelt es sich durchweg um kleinere Mängel oder Versehen, die bei einer durchaus wahrscheinlichen zweiten Auflage mit leichter Hand zu beseitigen wären.