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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

231–232

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Thatcher, Tom, and Cathrin H. Williams [Eds.]

Titel/Untertitel:

Engaging with C. H. Dodd on the Gospel of John. Sixty Years of Tradition and Interpretation

Verlag:

Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2013. X, 297 S. Geb. US$ 99,00. ISBN 978-1-107-03566-9.

Rezensent:

Walter Klaiber

60 Jahre nach dem Erscheinen von C. H. Dodds epochemachenden Werk The Interpretation of the Fourth Gospel (1953) und 50 Jahre nach der zweiten großen Arbeit des Cambridger Neutestamentlers zum Johannesevangelium, Historical Tradition in the Fourth Gospel (1963), will dieser Band die Bedeutung beider Werke würdigen, aber auch die weitere Entwicklung der Forschung darstellen. Leider ist keines der beiden Werke ins Deutsche übersetzt worden, und so hat Dodd sicher stärker die englischsprachige Forschung beeinflusst.
Das Buch beginnt mit der Einführung eines der Herausgeber, Tom Thatcher, »The semiotics of history: C. H. Dodd on the origins and character of the Fourth Gospel« (1–28), in dem die Methodik Dodds in Historical Tradition dargestellt wird.
Ein erster Teil ist überschrieben: »Approaching the Problem: Reflections on Dodd’s Context and Method«. Er beginnt mit R. Alan Culpepper, »C. H. Dodd as a precursor to narrative criticism« (31–48), ein Aufsatz, dessen Titel ziemlich genau seinen Inhalt beschreibt. Craig R. Koester, »Progress and paradox: C. H. Dodd and Rudolf Bultmann on history, the Jesus tradition, and the Fourth Gospel« (49–65), bietet eine sehr instruktive Gegenüberstellung der Arbeit der beiden Gelehrten. Jan van der Watt, »Symbolism in John’s Gospel: an evaluation of Dodd’s contribution« (66–85), untersucht die Behandlung von Symbolen und symbolischen Erzählungen bei Dodd und kommt zu dem Ergebnis, Dodd habe wichtige Impulse für die weitere Forschung gegeben, sei aber inzwischen in vielem überholt. Mit Gilbert van Belle und David R. M. Godecharle, »C. H. Dodd on John 13:16 (and 15:20): St. John’s knowledge of Matthew revisited« (86–106), stellen zwei Vertreter der »Leuven School« die Überzeugung Dodds, Johannes sei unabhängig von den Synoptikern, vorsichtig in Frage. Die zweite Herausgeberin Catrin H. Williams kommt in »John and the rabbis revisited« (107–125) zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass Dodds Methodik bei der Verwendung rabbinischer Quellen nicht mehr heutigen Standards entspricht. Und Jaime Clark-Soles, »Characters who count: the case of Nicodemus« (126–145) zeigt mit Instrumenten narrativer Exegese die Bedeutung dieser von Dodd etwas vernachlässigten Figur auf.
Der zweite Teil trägt den Titel »History and Tradition in the Fourth Gospel«. Zunächst behandelt Urban C. von Wahlde C. H. Dodds »The historical Jesus and realized eschatology« (149–162). Ausgehend von Dodd bietet er eine sehr klare, wenn auch eigenwillige Sicht der verschiedenen eschatologischen Modelle im Neuen Testament und löst die Spannungen bei Johannes literarkritisch auf. Hellen Mardaga, »Historical tradition(s) and/or Johannine redaction?« (163–175), möchte anhand des Pilatusverhörs zeigen, dass sich bei Johannes vorgegebene mündliche Tradition und theologische Prägung nicht so klar trennen lassen, wie Dodd das meinte. Paul Anderson, »Incidents dispersed in the Synoptics and coher-ing in John: Dodd, Brown, and Johannine historicity« (176–202), ist wie Dodd (und R. E. Brown) überzeugt, dass das Johannesevangelium unabhängige Traditionen mit Anspruch auf Historizität benutzt. John Ashton, »Reflections on a footnote« (203–215), vertritt ausgehend von Dodds Vermutung, in Joh 5,19 f. stecke ein verstecktes Gleichnis, die These, das Johannesevangelium kenne eine Tradition vom Aufstieg des irdischen Jesus zum Vater (vgl. 3,13)! Nach Wendy E. S. North, »The anointing in John 12,1–8: a tale of two hypotheses« (216–230), ist Joh 12,1–8 – gegen Dodd – von den Versionen der Salbungsgeschichte bei Markus und Lukas abhängig. Und Michael Theobald, »Eucharist and Passover: the two ›loci‹ of the liturgical commemoration of the Last Supper in the early church« (231–254), entwickelt – ausgehend von Vermutungen Dodds – die These, dass Markus, Lukas und Johannes unabhängige Passionsberichte kannten, wobei in keinem von ihnen schon die Kultätiologie des Abendmahls stand.
Ein dritter Teil ist überschrieben »Future Directions«, enthält aber nur den Beitrag von John Painter, »The Fourth Gospel and the founder of Christianity: the place of historical tradition in the work of C. H. Dodd« (257–284). Er bietet eher ›Erinnerungen an die Zukunft‹ und analysiert die unterschiedliche Behandlung dieser Themen bei Dodd, Bultmann und Hoskyns und in deren Gefolge bei C. K. Barrett und J. D. G. Dunn. Das wird sehr kundig referiert, aber entspricht nicht dem, was Leser und Leserinnen aufgrund der Hauptüberschrift erwarten.
Das ist ein wenig symptomatisch für den ganzen Band, den der Rezensent etwas enttäuscht aus der Hand gelegt hat. Vieles ist hochinteressant und manches auch einleuchtend; aber allzu oft werden in den Beiträgen – in zustimmender oder kritischer An­knüpfung an Dodd – vor allem die Forschungsergebnisse der Autoren zu diesem oder jenem Thema dargelegt. Ob in dem Werk Dodds noch eine Herausforderung an die heutige Johannesexegese liegt und worin diese besteht, wird weniger deutlich. Dass der Band durch seine Thematik einen wichtigen Impuls gibt, die Arbeit dieses großen Gelehrten nicht einfach ad acta zu legen, ist jedoch dankbar zu vermerken.