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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

222–224

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Henten, Jan Willem van, and Joseph Verheyden[Eds.]

Titel/Untertitel:

Early Christian Ethics in Interaction with Jewish and Greco-Roman Contexts

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2013. 305 S. = Studies in Theology and Religion, 17. Geb. EUR 99,00. ISBN 978-90-04-23700-1.

Rezensent:

Friedrich W. Horn

Das Buch ist ein Ertrag eines recht weiträumig angelegten wissenschaftlichen Projektes, das die Netherlands School for Advanced Studies in Theology and Religion (NOSTER) gemeinsam mit der Theological Faculty of the Catholic University of Leuven/Belgium zwischen 2004 und 2008 durchführte. Unter dem Oberthema »Orthodoxy and Adaption as Conflicting Religious Identities« formierten sich vier Arbeitsgruppen/clusters. Maarten Menken/Tilburg, Jan Willem van Henten/Amsterdam und Joseph Verheyden/Leuven leiteten die erste Gruppe zum Thema »Early Chris-tianity in Its Jewish and Hellenistic Contexts«. Ausgangspunkt war die Bedeutung der jüdischen und hellenistischen Kultur für frühchristliche Texte, und die Leitfrage lautete: »Is there a specific context that can be considered a key for the interpretation of these documents within their cultural environment« (2)?
Drei Expertentreffen diskutierten: a) »The interconnections be-tween the New Testament and Rabbinic passages and the relevance of Rabbinic literature for the interpretation of early Christian passages«. Die Beiträge dieses Treffens sind bereits publiziert: R. Bieringer, F. García Martínez, D. Pollefeyt and P. J. Tomson (eds.), The New Testament and Rabbinic Literature, JSJSup 136, Brill, Leiden 2010. b) »Methodological issues concerning the various aspects of the Jewish and Greco-Roman contexts of Early Christianity«. Drei der dort gehaltenen stark forschungsgeschichtlich ausgerichteten Beiträge sind in den hier zu besprechenden Band aufgenommen worden (Oegema, Feldmeier, Tobin). c) In Abkehr von einer rein forschungsgeschichtlich und methodologisch ausgerichteten Arbeit wählte das dritte Treffen den Weg »by focusing upon a specific topic rather than solely to concentrate on definitions and other more abstract approaches« (3).
Gleichwohl standen die methodologischen Fragen stets im Raum. Der Blick ins Inhaltsverzeichnis zeigt schnell, dass aber nicht topics im Sinne von ethisch relevanten Themen, sondern vorwiegend Schriften behandelt wurden. Manchen Beiträgern er­scheint der Begriff Ethik bzw. Moral im Blick auf die frühchrist-lichen Quellen anachronistisch und nicht hilfreich. Der Begriff der impliziten Ethik möchte sich manchen als Ausweg anbieten, aber auch das mit diesem Begriff verbundene Modell findet Kritik.
Grundsätzlich stellte die Arbeitsgruppe forschungsgeschichtlich immer noch bestimmende Modelle in Frage, die etwa dem Judentum oder dem Hellenismus die Rolle eines »Hintergrundes« frühchristlicher Gedanken zuweisen, aus dem heraus sich dann christliche Vorstellungen formierten. Gleichzeitig werden in solcher Sichtweise Judaistik und Altertumswissenschaft zu Hilfsdisziplinen »for the greater glory of New Testament scholarship« abgewertet (4). Die Autoren öffnen sich demgegenüber für ein dynamisches Modell, das auf Interaktion, Transformation und gegenseitige Befruchtung achtet. Die Herausgeber äußern in der Einleitung allerdings die Sorge: »one might have the impression that ›variety‹ has overtaken completely, and obscured what ulti-mately binds and holds together the Christian answer to some ›universal‹ questions« (10). Eher grundsätzlich behandelt der Beitrag von Anders Klostergaard Petersen das Problem mithilfe der Einführung eines Venn-Diagramms, das die starren Abhängigkeits-postulate mit Blick auf die vielfältigen kulturellen Interaktionen und sozialgeschichtlichen Bedingtheiten überwindet: Finding a Basis for Interpreting New Testament Ethos from a Greco-Roman Philosophical Perspective. Man wird also bei der Lektüre des Bandes vornehmlich auf die Stichworte Interaction und Contexts, die im Titel angezeigt sind, achten müssen und fragen, was die jeweiligen Autoren in dieser Hinsicht an neuen Einsichten bieten. Diese Frage stellt sich umso dringlicher, als alle Beiträger ausgewiesene Experten ihres jeweiligen Themas sind und bereits vielfach dazu publiziert haben. Der griechisch-römische Kontext wird allerdings, das sei gleich einleitend bemerkt, in den Beiträgen fast nur insofern thematisiert, als die jüdische Ethik Teil dieses Kontextes ist, was zweifelsfrei eine nicht unerhebliche Eingrenzung dieses Kontextes darstellt. Dies belegt auch der umfangreiche Index, der nur neun Verweise auf griechische und römische Autoren notiert.
In den forschungsgeschichtlichen Beiträgen zum 20. Jh. besprechen Reinhard Feldmeier das frühe Christentum in seinem hellenistischen Kontext (mit acht abschließenden Thesen), Gerbern S. Oegema das frühe Christentum in seinem jüdischen Kontext (mit acht abschließenden Fragen) und Thomas H. Tobin die Bedeutung des hellenistischen Judentums für das Studium der Ethik des Paulus. Auch George J. Brook, Some Issues behind the Ethics in the Qumran Scrolls and their Implications for New Testament Ethics, setzt mit einer ausführlichen Forschungsgeschichte ein, um dann nach sogenannten background issues auf foreground issues zu sprechen zu kommen. Brooks ist weit davon entfernt, Qumran im Verfahren einer Parallelomania für das Neue Testament auszuschlachten. Nach eingehender Beschreibung der bestimmenden Theologie in Qumran, die ganz bei den Primärquellen verbleibt, fragt er ab­schließend, ob gegenwärtige Ethik von Qumran lernen könne. Er spricht den Wunsch aus, in den Texten zwischen den Zeilen zu lesen und dort universale moralische Prinzipien zu entdecken. Deren Darstellung in den vergangenen Texten könne eventuell helfen, eine gegenwärtige Ethik zu formulieren (106). Andrew Chester analysiert The Relevance of Jewish Inscriptions for the New Testament Ethics. Zunächst kommen viele Inschriften (originalsprachlich und in Übersetzung) ausführlich zu Wort, und zwar im Blick auf civic virtues, personal virtues, family virtues, Jewish communal virtues und Jewish Charity and Poverty. Es schließt sich ein knapper Vergleich an, in dem bei Paulus ein zeitlich begrenzter Kompromiss mit säkularen Tugendwerten erkannt wird (134). Weitere ebenfalls nur knapp angedeutete Vergleichspunkte beziehen sich auf die Haustafeln, die Pastoralbriefe und die Apostelgeschichte sowie auf die eschatologische Perspektive. Chester unterscheidet zwei »very different and contrasting ethical typologies«, einerseits in den jüdischen Inschriften sowie in den Pastoralbriefen und in der Apostelgeschichte den Weg einer ethischen Assimilation, andererseits im weiteren frühen Christentum den Weg einer Abgrenzung. Abschließend betont Chester auch mit Blick auf die grundsätzlich unterschiedliche soziale Stellung und Verfasstheit von Diasporasynagoge und christlicher Hausgemeinde in der Gesellschaft »the very deeply different and incompatible ethical perspectives that the inscriptions and much of the New Testament present us with« (145).
Vom Neuen Testament ausgehend sprechen Jörg Frey über »Ethical Traditions, Family Ethos, and Love in the Johannine Liter­ature«, Hermut Löhr über »Good as a Moral Category in the Early Jesus Tradition«, Karl-Wilhelm Niebuhr über »Ethics and Anthropology in the Letter of James: An Outline« und Huub van de Sandt über »Essentials of Ethics in Matthew and the Didache: A Comparison at a Conceptual and Practical Level«. Die im Buchtitel angekündigte Interaction with Jewish and Greco-Roman Contexts war in diesen Beiträgen nicht durchgehend, auf jeden Fall nicht stets als Programm ersichtlich, da manche dieser Titel doch überwiegend auf der Textebene ihrer jeweiligen Schrift verbleiben und einer synchronen Analyse verpflichtet sind.