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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

220–222

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Harding, Mark, and Alana Nobbs [Eds.]

Titel/Untertitel:

All Things to All Cultures. Paul Among Jews, Greeks, and Romans

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2013. XX, 406 S. Kart. US$ 50,00. ISBN 978-0-8028-6643-1.

Rezensent:

Stefan Krauter

Anders, als der Titel zunächst vermuten lässt, handelt es sich bei dem zu besprechenden Werk nicht um einen thematischen Sammelband, sondern letztlich um ein Paulushandbuch. Auf einen einführenden Beitrag zur Forschungsgeschichte (Murray J. Smith: Paul in the Twenty-First Century) folgen Aufsätze über seine Biographie (David L. Eastman: Paul: An Outline of His Life) und Missionstätigkeit (Cavan W. Concannon: The Archaeology of the Pauline Mission), über die handschriftliche Überlieferung der Paulusbriefe (Brent Nongbri: Pauline Letter Manuscripts), über den kulturellen Hintergrund des Paulus (Paul McKechnie: Paul among the Jews, Christopher Forbes: Paul among the Greeks, James R. Harrison: Paul among the Romans) sowie über die einzelnen Paulusbriefe bzw. Briefgruppen (Michael F. Bird: The Letter to the Romans, L. L. Welborn: The Corinthian Correspondence, Greg W. Forbes: The Letter to the Galatians, Murray Smith: The Thessalonian Correspondence, Ian K. Smith: The Later Pauline Epistles: Ephesians, Philippians, Colossians, and Philemon, Mark Harding: The Pastoral Epistles). Den Abschluss bildet der Beitrag über die Theologie des Paulus (Timothy J. Harris: Pauline Theology).
Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bandes sind mit der Abteilung für Alte Geschichte der Macquarie University und/oder dem Australian College of Theology verbunden. Das prägt den Band dahingehend, dass der hellenistische und der römische Kontext des Paulus stark im Fokus stehen. Dennoch haben die Beiträge auch ihren jeweils ganz eigenen Charakter – und sind auch durchaus von unterschiedlicher Qualität. Im Folgenden sollen nur einige exemplarisch herausgegriffen werden.
Einen gründlichen und erhellenden Überblick über die Geschichte der Auslegung der Paulusbriefe seit Ferdinand Christian Baur bietet Murray J. Smith. Sehr ausführlich geht er dabei natürlich auf die New Perspective on Paul ein. Dabei ist hervorzuheben, dass er zwischen den verschiedenen Vertretern dieser Perspektive fein differenziert und dass sowohl ihre bleibenden Einsichten als auch Modifikationen, Kritik und Alternativen ausgewogen dargestellt und diskutiert werden.
Ein erster herausragender Beitrag ist der von Cavan W. Concannon. Methodisch äußerst reflektiert und kritisch gegenüber früherer Exegese zeigt er auf, was es bedeutet, archäologische Erkenntnisse in die Auslegung der paulinischen Briefe einzubeziehen. Von den drei Beiträgen, die den kulturellen Hintergrund des Paulus behandeln, überzeugt hingegen leider nur der von Christopher Forbes. Er beleuchtet kenntnisreich und differenziert die Position des Paulus innerhalb der griechisch-hellenistischen Kultur. Eine Einordnung des Paulus innerhalb der Vielfalt des antiken Judentums leistet hingegen Paul McKechnie gerade nicht, bietet vielmehr wenig weiterführende Schlüsse aus Texten der Apostelgeschichte, die als Quellen zu Paulus verwendet werden. Die Schwäche dieses Beitrages ist symptomatisch dafür, dass dieser Aspekt des Paulus im ganzen Band etwas in den Hintergrund tritt. Problematisch ist auch der Beitrag von James R. Harrison. Die Wiederentdeckung des römischen – und das heißt: politischen – Kontextes der Paulusbriefe ist begrüßenswert. Harrison aber stempelt alles, was Römer je geschrieben haben – von Inschriften über historiographische Werke bis zu Dichtung –, als »imperiale Propaganda« ab und wertet alles, was in paulinischen Texten ähnlich klingt, als bewussten Protest gegen Rom. Das ist ein methodisch fragwürdiges Vorgehen. Andere Beiträge im Band, die ebenfalls intensiv auf römische Einflüsse in bestimmten paulinischen Texten eingehen, tun dies deutlich differenzierter.
In den Beiträgen zu einzelnen Briefen und Briefgruppen fällt auf, dass alle Texte des Corpus Paulinum außer den Pastoralbriefen als echt paulinisch betrachtet werden. Während allerdings Murray J. Smith die doch berechtigten Anfragen hinsichtlich der Authentizität des 2. Thessalonicherbriefes gerade einmal in einer kurzen Fußnote erwähnt, diskutiert Ian K. Smith die Echtheit der späten Paulusbriefe (Epheser, Philipper, Kolosser, Philemon) mit weiterführenden und plausiblen Argumenten. Hervorzuheben sind auch die beiden Beiträge zum Römerbrief (Michael F. Bird) und zum Galaterbrief (Greg W. Forbes). Sie gehen intensiv auf die Debatten über die New Perspective on Paul ein, versuchen aber, in kritischer Auseinandersetzung mit ihr auch die Wahrheitsmomente der klassischen protestantischen Paulusdeutung herauszuarbeiten. Be­merkenswert sind auch die den Band beschließenden Ausführungen von Timothy J. Harris über »Pauline Theology«: Er geht mit der Frage, inwieweit eine Systematisierung von Aussagen in Briefen möglich und sinnvoll ist, methodisch reflektiert um und bietet eine innovative Zusammenschau verschiedener Aspekte der religiösen Gedankenwelt des Paulus.
Insgesamt leistet der Band, was der Titel verspricht: Die Paulusbriefe werden in ihren historischen Kontexten – jüdisch, griechisch, römisch, religiös, philosophisch, politisch, rhetorisch, epis­tolographisch – untersucht und so in vielfältiger Weise als profilierte Beiträge zu antiken Diskursen erschlossen. Obwohl dies nicht im Fokus steht, wird von vielen der Autoren auch angedeutet, inwiefern und in welcher Weise diese antiken Äußerungen auch heutige Menschen noch ansprechen können. Ungeachtet der Anfragen an manche Beiträge ist der Band in Konzeption und Durchführung gelungen. Er macht deutlich, welche Qualität und welche innovative Kraft die Exegese in Australien und insgesamt im pazifischen Raum erreicht hat.