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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

212–214

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Utzschneider, Helmut, u. Wolfgang Oswald

Titel/Untertitel:

Exodus 1–15. Deutschsprachige Erstausgabe.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2013. 372 S. = Internationaler Exegetischer Kommentar zum Alten Testament. Kart. EUR 69,90. ISBN 978-3-17-022222-9.

Rezensent:

Eckart Otto

Der hier anzuzeigende Exoduskommentar ist einer von zwei Pilotbänden der neuen, von W. Dietrich, D. Carr u. a. herausgegebenen Kommentarreihe zum Alten Testament, die, so die Herausgeber, von internationalem Rang, ökumenischer Weite und auf der Höhe der Zeit sein soll. Der internationale Rang soll dadurch gewähr-leis­tet werden, dass die Kommentarbände parallel deutsch und englisch erscheinen, und für die ökumenische Weite sollen christliche und jüdische Autoren aus Europa, Nordamerika und Israel einstehen. Auf der Höhe der Zeit soll die Kommentarreihe dadurch sein, dass sie zwei Strömungen der alttestamentlichen Forschung, die als diachrone und synchrone Forschung bezeichnet werden, miteinander verbindet und vermittelt. Die synchrone Textbeschreibung soll dabei nach Meinung der Herausgeber in die diachrone einbezogen werden, wobei der Schwerpunkt der synchronen Arbeitsweise aber auf der kanonischen Endgestalt liegen soll. Es wird von den Herausgebern sehr weit gefasst, was unter einem synchronen Textzugang verstanden werden soll. So sollen auch nicht-historische, narratologische, leserorientierte und andere literarische Zugänge in der synchronen Textarbeit zur Anwendung kommen, während die diachrone Textarbeit sich um das »Werden eines Textes über die Zeit« bemühen soll.
Die Herausgeber formulieren damit ein Programm, das bereits vor mehr als 20 Jahren der katholische Alttestamentler Erich Zenger für die von ihm auf den Weg gebrachte und inzwischen mit 30 Bänden christlicher und jüdischer Autoren vorliegende Reihe Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament (HThKAT) skizziert hatte. Erich Zenger entwarf das Programm einer »diachron reflektierten Synchronie«, die in der Kommentierung anzustreben sei. Dass nunmehr ein Vierteljahrhundert später eine zweite von Deutschland ausgehende Kommentarreihe in Erich Zengers Fußstapfen treten will, zeigt, wie prophetisch weitblickend er schon im letzten Jahrhundert war. So kann man dem Programm, das die Herausgeber für den IEKAT entworfen haben, nur zustimmen und ihm Respekt zollen, »but eating is the proof of the pudding«. Das gilt für jeden einzelnen Band beider Kommentarreihen.
In dem hier anzuzeigenden Band soll das Programm der Vermittlung von Diachronie und Synchronie so realisiert werden, dass sie auf zwei Autoren, die nebeneinander schreiben, verteilt werden und dann am Ende einer jeden Perikope in einer Synthese die beiden Autoren beide Perspektiven miteinander ins Gespräch bringen sollen. Die Autoren erhalten so die Chance, eine sich in synchrone und diachrone Lager aufspaltende Methodendiskussion durch einen Dialog auf neue Wege zu führen.
H. Utzschneider, der die synchrone Auslegung in diesem Exoduskommentar verantwortet, begreift sie nicht a-historisch, insofern sie an Gattungskritik und -geschichte gebunden sei, doch verzichtet er auf eine Autorenhypothese und damit auf jede Autorenintention. Mit G. Fischer (SBAB 49, 2011,138–167) begreift U. Ex 1–15 als narrative Einheit mit einem Erzählungsanfang in Ex 1,1–7 und doppeltem Schluss in Ex 12,21–42 und Ex 15 (siehe G. Fischer, a. a. O., 160), die durch Leitworte wie »kämpfen«, »befreien«, »dienen« etc. zusammengehalten, aber in Szenen und Episoden gegliedert werde und eine »politisch-theologische Lehrerzählung« sei. Sie verdichte die langen Erfahrungen, die Israel mit seinen assyrischen, babylonischen, persischen und hellenistischen Zwingherren machen musste, und konfrontiere sie mit JHWHs Rettungshandeln, um Hoffnung zu begründen.
Während U. sich auf Ex 1–15 beschränkt, entwirft W. Oswald eine knappe Literaturgeschichte des Exodusbuches im Rahmen des ge­samten Pentateuchs, wobei er sich von der Urkundenhypothese verabschiedet. Stattdessen rechnet er für den Anfang der Literaturgeschichte des Pentateuchs mit einer vordtr Exoduserzählung in Ex 1, 11–14,31* im Rahmen einer Fragmentenhypothese. Diese Erzählung des 7. Jh.s habe die Rebellion gegen die Fremdherrschaft der Assyrer im 7. Jh. legitimieren sollen. Die Exoduserzählung werde im 6. Jh. durch Ex 3–4; 15–24* zu einer Exodus-Gottesbergerzählung als Verfassung eines judäischen Personalverbandes nach Verlust der Staatlichkeit erweitert und in einem deuteronomistischen Geschichtswerk in Ex 1 bis 2Kön 25 mit einer Landnahmeerzählung in Dtn 1–Jos 22,6* verbunden. Eine priesterliche Komposition formiere daraus in nachexilischer Zeit einen Hexateuch in Gen 1,1–Jos 24,33, der postpriesterschriftlich in pentateuchischer Perspektive überformt werde. Diesen Entwurf einer Literaturgeschichte des Exodusbuchs im Rahmen des Pentateuchs entnimmt O. weitgehend seiner Studie zur Staatstheorie (Stuttgart 2009), die in ThLZ 135 [2010], 824–826 besprochen wurde. Der Rezensent stimmt sowohl dem Ausgangspunkt der Literaturgeschichte des Exodusbuches in einer Exoduserzählung des 7. Jh.s zu wie auch ihrer Integration in einen nachexilischen Hexateuch und Pentateuch. Auch wird man der These, es habe eine Erzählung des 6. Jh.s gegeben, die aus Deuteronomium und Josuabuch redigiert worden sei, zustimmen. Zu diskutieren bleibt, wieweit dtr Redaktion in die Sinaiperikope eingegriffen hat – O. notiert den Widerspruch in der Forschung – und wie dtr Redaktion von postpriesterschriftlicher Redaktion, die sich in der Sinaiperikope des Exodusbuches wie in Levitikus (cf. C. Nihan) und Numeri (cf. R. Achenbach) zeigt, abzugrenzen ist.
O. geht es in der diachronen Textarbeit nicht primär um die Rekonstruktion der literarischen Schichten »im Wortlaut«, sondern um die »Aussageabsicht des jeweiligen Werkes als Ganzes«, also um die Intention von Autoren. U. will dagegen in seiner synchronen Textarbeit auf Autorenhypothesen und Autorenintentionen zugunsten des Textes als eines »literarisch-ästhetischen Subjekts« verzichten. Die jeweiligen »Synthesen« am Ende der Perikopen, auf denen die Last der Vermittlung von Diachronie und Synchronie liegt, zeigen die Schwierigkeit, diese beiden in diesem Band so unterschiedlich konzipierten Arbeitsweisen so miteinander ins Gespräch zu bringen, dass das historische Verstehen des Textes befördert wird. Paradigmatisch sollte die Synthese zu Ex 13,17–15,21 eingesehen werden, die kaum über die Einsicht hinausführt, dass die Anliegen politischer Theologie, die die diachrone Exegese herausgearbeitet habe, in der synchronen Exegese zurücktreten zugunsten einer politischen Theologie, »die einen gewissen Grad an Verallgemeinerung aufweist« (343). Eine methodische Vermittlung von Diachronie und Synchronie fällt in den Abschnitten zur Synthese weithin zugunsten der Zusammenfassung von schon Gesagtem und allgemein bleibenden hermeneutischen Feststellungen aus. Das von den Herausgebern im Vorwort formulierte Programm, »wir verstehen als ›synchron‹ solche exegetischen Schritte, die sich mit dem Text auf einer bestimmten Stufe (kursiv im Zitat) seiner Entstehung befassen«, also des Bemühens, der »synchronen Logik diachroner Transformationen« (cf. BZAR 7, 2007) des Textes nachzugehen, ist nicht zur Durchführung gekommen, was angesichts von U.s Verzicht auf eine Autorenintention als regulative Idee auch synchroner Textarbeit nicht verwundert. Die Vermittlung kann wohl eher gelingen, wenn die synchrone Textarbeit als regulative Idee die Intentionen von Autoren/ Redaktoren/Bearbeitern, die für den synchron zu beschreibenden Text, »die letzte kanonisch gewordene Textgestalt«, um mit den Herausgebern zu reden, verantwortlich sind, in Rechnung stellt.
Der Alttestamentlichen Wissenschaft ist zu wünschen, dass die weiteren Bände der Kommentarreihe, der mit der Vermittlung diachroner und synchroner Textarbeit eine wichtige Aufgabe gestellt ist, zügig erscheinen können.