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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

211–212

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Werner H.

Titel/Untertitel:

Das Buch Jeremia. Kapitel 21–52. Übers. u. erklärt v. W. H. Schmidt.

Verlag:

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. X, 342 S. = Das Alte Testament Deutsch. Neubearbeitungen, 21. Geb. EUR 99,99. ISBN 978-3-525-51206-7.

Rezensent:

Christl M. Maier

Bereits fünf Jahre nach Kommentierung von Jeremia 1–20 legt Werner H. Schmidt den zweiten und abschließenden Band vor – eine angesichts der Flut neuer Studien zum Jeremiabuch bemerkenswerte Leistung. Wie schon in Band 1 tritt freilich die Auseinandersetzung mit (überwiegend deutschsprachiger) Sekundärliteratur in den Hintergrund zugunsten einer knappen, aber pointierten Kommentierung des Masoretischen Textes, der in eigener Übersetzung vorgelegt wird (vgl. die Rezension von Band 1 in ThLZ 135 [2010], 167). Dabei folgt der Vf. dem im ersten Band eingeschlagenen Modell, die Verkündigung Jeremias, ihre dtr Redaktion und weitere post-dtr Zusätze auszuweisen und mit der in Amos und Hosea vorgängigen Prophetie, die nicht literargeschichtlich differenziert wird, zu vergleichen. Hinsichtlich der Zuweisung zur jeremianisch-deuteronomistischen (= jerdtr) Redaktion folgt der Vf. weitgehend W. Thiel, versteht diese Redaktion aber als mehrschichtiges Produkt einer Schule (vgl. I, 37–39) und weist innerhalb von jerdtr Texten auf Fortschreibungen hin. Gegenüber der Bestimmung der Fremdberichte als Fortschreibung der »Urrolle« in Band I, 35 scheint der Vf. in Band II doch die These einer zunächst eigenständigen Baruchbiographie, die das Exil voraussetzt, zu favorisieren (vgl. II, 74 zu Jer 26; II,199 zu Jer 37 ff. als deren Fortsetzung). Die ab Kapitel 25 erheblichen Abweichungen der Septuaginta vom MT, besonders in der Stellung der Fremdvölkerorakel, werden als »zwei Wege« (63) der Jeremia-Überlieferung verstanden, die die vorgegebene Sammlung der Fremdvölkerorakel an verschiedenen Stellen einfügten (281). In für die Deutung relevanten Einzelfällen werden Abweichungen der LXX in Anmerkungen zur Übersetzung notiert. Danach folgen jeweils eine detaillierte Gliederung des behandelten Abschnitts und eine Auslegung, die vor allem auf Parallelen in Jer 1–20 sowie auf Hosea, Amos und Jesaja verweist und eine kurze literarhistorische Einordnung bietet. Im Fokus steht danach die Rezeption von Botschaft und Person Jeremias durch die Trägerkreise der weiteren Überlieferung. Noch stärker als im ersten Band greift der Vf. zu exegetisch strittigen Punkten auf die Frageform zurück, was er selbst als Offenheit für das Problem und Verzicht auf polemische Auseinandersetzung versteht (Vorwort). Da viele Fragen eher rhetorischer Art sind, wird die Position des Vf.s meist ersichtlich; allerdings werden strittige Punkte auf diese Weise eher umgangen als argumentativ einer Lösung zugeführt. Auf Jeremia zurückreichende Überlieferungskerne finden sich nach der vorliegenden Analyse im Bereich der Königsspruchsammlung (22,10.13–19.24–30; 23,28 f.; 24,1a.2–4.5*.8 f.*), in Jer 26,1–2a.4a.6a, in der zeitweilig eigenständig überlieferten »Kampfschrift gegen falsche Propheten« (35, Anm. 23) Jer 27–29 mit den Kernen Jer 27,2–4.11; 28,10 f. 12–14; 29,4a.5–7 [ohne 6ab]), in den Heilsworten Jer 30–32 (30,5.12–14; 31,1–5a.15–20; 32,15; 32,6b–15) und im Selbstbericht Jer 35,2–11. Die Kommentierung der Fremdvölkerorakel, die als post-dtr Zusätze verstanden werden, fällt demgegenüber sehr knapp aus. Kapitel 52 wird als geschichtlicher Anhang nur gegliedert und mit den Parallelen in Jer 39 und 2Kön 25 verglichen.
Jeder Kommentar zum Jeremiabuch weist aus Sicht der Rezipienten zwangsläufig Stärken und Schwächen auf, weil er die Perspektive nur eines Autors bietet, während die Forschung multiperspektivisch argumentiert und die Entstehungsgeschichte des Buches äußerst umstritten ist. Wenn die derzeit existierenden, zahlreichen Kommentarreihen einen Sinn haben, dann den, die biblischen Texte für unterschiedliche Adressatenkreise zu erschließen sowie verschiedene Profile hinsichtlich Methodik und theologischer Auslegung zur Geltung zu bringen. Dieser ATD-Kommentar erschließt die Texte des Jeremiabuches prägnant und gut nachvollziehbar für einen breiteren Leserkreis, da er die Kenntnis des Hebräischen nicht voraussetzt sowie Person und Botschaft Jeremias in die alttestamentliche Schriftprophetie einordnet. Innerhalb der deutschsprachigen Forschung nimmt er eine literarhistorisch konservative, um die Rekonstruktion der theologischen Botschaft des Propheten bemühte Mittelposition ein, die den von W. Ru­dolph und W. Thiel beschrittenen Weg fortführt. Da er den neues­ten Forschungsstand nicht diskutiert und die englischsprachige Forschung weiträumig ignoriert, muss die Fachdiskussion an an­derer Stelle geführt werden.