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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

748 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Buschmann, Gerd

Titel/Untertitel:

Das Martyrium des Polykarp. Übers. u. erklärt.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998. 452 S., 1 Falttab. gr.8 = Kommentar zu den Apostolischen Vätern, 6. Lw. DM 158,-. ISBN 3-525-51681-9.

Rezensent:

Hans Reinhard Seeliger

Man kann darüber streiten, ob es das Ziel eines wissenschaftlichen Kommentars sei, die Diskussion der in der bisherigen Forschung zu den laufenden Textstellen vertretenen Interpretationen, Thesen und Meinungen gewissenhaft zu referieren, oder ob zusätzlich eine durchgängig eigene Interpretationslinie entwickelt und verfolgt werden soll. B. hat sich für letzteres entschieden und er zieht, was man ihm kaum verargen kann, dabei die Linien aus, die bereits in seiner Diss. (Martyrium Polycarpi- eine formkritische Studie = BZNW 70, Berlin-New York 1994) und einigen daran anknüpfenden Aufsätzen vorgezeichnet sind. Dies bedeutet, daß er entsprechend dem Ergebnis seiner bisherigen Arbeiten das Martyrium Polycarpi (MPolyc.) als betont antimontanistischen Text interpretiert, dessen Adressaten in Philomelium (MPolyc. praescr.) er "an der Grenze des montanistischen Kernlands" wohnen sieht (71). Die deutliche Tendenz des Textes, Polycarps Martyrium mit der Passion Jesu zu parallelisieren und es auf diese Weise als evangeliumsgemäßes Geschick darzustellen, welche vor vierzig Jahren Anlaß zu von Campenhausens vieldiskutierter These der Interpolation durch einen "Evangeliumsredaktor" gab, erscheint inzwischen nicht allein in der Sicht Buschmanns als überholt. Die Darstellung des evangeliumsgemäßen Martyriums des Polycarp, das von Gott allein gewollt ist, ist nach B. aber zugleich Paränese und Apologie gegenüber montanistischer Martyriumsbegeisterung.

So überzeugend die dafür vorgebrachten Argumente (vgl. 49-58) und Interpretationen B.s im einzelnen sind, so hat doch sein Ansatz einen entscheidenden Haken: Das MPolyc. wird auf diese Weise zum frühesten Zeugnis des Montanismus, gegen den es sich wendet. Dies ist B. durchaus bewußt (vgl. 124). Eine zirkuläre Beweisführung versucht B. nun dadurch zu vermeiden, daß er die gegen den Montanismus gerichtete Tendenz durch formkritische Analysen abzustützen versucht. Dabei arbeitet B. mit den von K. Berger (Hellenistische Gattungen im Neuen Testament = ANRW II 25, 2, Berlin 1984, 1031-1432. 1831-1885; Formgeschichte des Neuen Testaments, Heidelberg 1984) entwickelten Kategorien, jedoch ohne sie zu diskutieren (vgl. 43 f.; 92; 94 u. ö.). Könnte er nun zeigen, wie sich Martyriumsparänese und Apologetik gegenüber dem Montanismus im MPolyc. gegenseitig bedingen und durchdringen, hätte er zweifellos den Beweis für seine These erbracht, doch muß er zugeben, daß sich nur wenige apologetische Formen im MPolyc. auffinden lassen (vgl. die "Formanalytische Gliederung" 43-45): "Polykarp ist dargestellt als Vorbild für Christen, nicht als argumentierender Apologet gegenüber Heiden" (163)- aber auch nicht gegenüber Montanisten.

Für die Beweisführung bleibt deshalb hauptsächlich "das negative Beispiel des Phrygiers Quintos" (MPolyc. 4,1-3), der sich selbst zum Martyrium drängte. Ch. Butterweck ("Martyriumssucht" in der Alten Kirche = BHTh 87, Tübingen 1995, 113 f.) bewertete jüngst die Stelle ähnlich wie B. als antimontanistisch - freilich in Übereinstimmung mit von Campenhausen als "nachträglich ... eingefügt". Da die Antike das Martyrium allgemein - was ebenfalls aus Butterwecks Studie zu lernen ist - als abstoßend wirkender, unüberlegter, sinnloser Selbstmord und als tragische Verfehlung durch Verblendung bewertete, kann die Ablehnung des Quintos-Martyriums hingegen auch auf anderen Tendenzen als antimontanistischen beruhen.

Ob sich B.s Sicht des MPolyc. als eines antimontanistischen, frühkatholischen, rückwärts gewandten und gegenüber der "neuen Prophetie" wenig aufgeschlossenen Textes (vgl. 87) durchsetzt, bleibt abzuwarten. Auch wenn der Kommentar etwas redundant geschrieben ist (was für die gewöhnliche "steinbruchartige" Benutzung von Kommentaren allerdings kein Mangel ist) und an einigen Stellen Auskünfte schuldig bleibt (so z. B. in MPolyc. 2,3 zu den Jenseitsvorstellungen und zur Eschatologie, sowie zur Kälte des Feuers, in dem die Märtyrer verbrannt werden sollen, und die auf Dan 3,50 zurückgeht), wird man ihn wegen der abundanten Verarbeitung der Literatur - vor allem auch der älteren - in Zukunft kaum entbehren können.