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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

201–203

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Steinhilber, Markus Georg

Titel/Untertitel:

Die Fürbitte für die Herrschenden im Alten Testament, Frühjudentum und Urchris­tentum. Eine traditionsgeschichtliche Studie

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2010. XV, 343 S. = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 128. Geb. EUR 54,00. ISBN 978-3-7887-2462-7.

Rezensent:

Hermann von Lips

Diese Dissertation von Markus Georg Steinhilber wurde im Wintersemester 2008/2009 von der evangelisch-theologischen Fakultät in Tübingen angenommen. Die von Hermann Lichtenberger betreute Arbeit widmet sich einem bisher eher vernachlässigten Thema. Zwei Fragen wendet sich die Untersuchung zu: zunächst »die Geschichte und Tradition der Fürbitte für die Herrschenden im Alten Testament, Frühjudentum und im Urchristentum nachzuzeichnen und in ihren zeitgeschichtlichen Kontext einzuordnen«, sodann dem Aspekt: »Läßt sich der Fürbitte für die Herrschenden etwas über das Verhältnis zwischen ›Stifter‹ und ›Begünstigtem‹ entnehmen?« (3 f.)
Den Beginn (I Einleitung, 3–15) macht eine – dem geringen Literaturbefund entsprechend – schmale »Forschungsgeschichte« (5–12). Am Anfang steht eine knappe Untersuchung von Wilhelm Mangold »De ecclesia primaeva pro Caesaribus ac magistratibus Romanis preces fundente dissertatio« von 1881. Einen Blick auf die jüdische Praxis wirft Emil Schürer in seiner »Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi« (1901–1909: II, 360 ff.; III, 550). Erstmals umfassender befasst sich Hans Ulrich Instinsky 1963 in seiner Schrift »Die alte Kirche und das Heil des Staates« mit dem Thema.
Als Instinskys Verdienst wird gesehen, die »Einordnung der christlichen Fürbitte für die Herrschenden in den Kontext der römischen Umwelt« vorgenommen sowie »die Verschränkung von religiöser und politischer Bedeutung dieser Praxis aufgezeigt zu haben« (7). Als mager wird der Befund bezüglich des Themas in den Kommentarwerken und Lexika festgestellt (10–12). Nach der Forschungsgeschichte werden einige grundlegende »Methodische Vorüberlegungen und Definitionen« dargelegt (13–15), wobei vor allem der Terminus »Fürbitte« geklärt wird.
Nach dem einleitenden Teil folgt der »Hauptteil« (II), der der »Quellenanalyse« gewidmet ist. Die jeweiligen Quellen werden gründlich analysiert. Es werden Einleitungsfragen geklärt und es werden der Inhalt und der jeweilige Schwerpunkt beschrieben. Ge­gebenenfalls werden historische Erwägungen angestellt. In etwa zwei Dutzend Abschnitten wird dies vollzogen.
Der erste größere Abschnitt (4) gilt der »Fürbitte für die Herrschenden im Ersten Jerusalemer Tempel« (19–56). Neben 1Sam 2,10 werden hier vor allem einige Psalmen (20; 21; 61; 72; 84) als Quellen herangezogen. Hier geht es primär um die Fürbitte für den judäischen König. Inhaltlich sind die Fürbitten bezogen auf das lange Leben des Herrschers, auf seine Funktion als Segensmittler, auf die Erfüllung seiner Pläne, auf Hilfe in Zeiten der Not (z. B. Sieg im Krieg), auf beständige und starke Herrschaft, auch allgemein auf die Zuwendung Jahwes für den Herrscher. Hintergrund dieser Für bitten ist einerseits die judäische Königsideologie, andererseits wird die altorientalische Umwelt in Blick genommen (36). Hier werden ausführlich Quellen aus dem ägyptischen, syrischen und mesopotamischen Bereich herangezogen (38–55). Wahrscheinlich ist die judäische Fürbittenpraxis auf die altorientalische Praxis zurückzuführen. Im Inhalt der Fürbitten ist eine grundsätzliche Entsprechung festzustellen: ein langes Leben (einschließlich Ge­sundheit), Erfüllung seiner Pläne, stabile und gerechte Herrschaft, Segensmittlerschaft und Erfolg im Krieg (55 f.).
Separat betrachtet wird das Vorkommen der Fürbitte in der Pentateuchüberlieferung (5). Herausgehoben wird hier die Fürbitte für den Herrscher in der Abrahamsüberlieferung sowie im Zu-sammenhang des Plagenzyklus. In Gen 20 vollzieht Abraham als Prophet Fürbitte für Abimelech, nachdem Gott dem Abimelech deutlich gemacht hat, dass er Abrahams Frau, dessen angebliche »Schwester«, nicht zu seiner Frau machen darf. »Und Abraham betete für Abimelech zu Gott, und Gott ließ Abimelech, seine Frau und seine Mägde, gesund sein, sodass sie gebaren (Gen 20,17).« In den Plagenzyklen lässt sich eine »ältere« Überlieferung feststellen, die das Motiv der Fürbitte für die Herrschenden enthält (62). Viermal, nämlich bei der Plage der Frösche, der Stechfliegen, des Hagels und der Heuschrecken, bittet der Pharao nach Eintreten und Wirkung der Plagen Mose (und Aaron), bei Jahwe für ihn einzutreten, also Fürbitte zu tun und die Plagen aufhören zu lassen (Ex 8,4–9.24–27; 9,27–29.33; 10,16–18). Diese Tradition wird dem Jahwisten zugeordnet und ins ausgehende 10. Jh. v. Chr. datiert (70). Mit der Abraham- und Mose-Tradition liegen zwei schriftliche Traditionen vor, die beanspruchen, dass bereits die »Väter« Abraham und Mose Fürbitte vor Gott für fremde Herrscher einlegten (71).
Nach den vielfältigen Einzeluntersuchungen folgt mit Teil III »Auswertung und Ergebnisse«. Der Prophet Jeremia fordert die Deportierten in Babel auf, für den neuen Herrscher fürbittend zu gedenken, somit auch für den schalom der herrschenden Bevölkerung in der fremden Stadt – daran hängt der schalom der Juden (72 ff.). Es ist als Besonderheit zu vermerken, dass in der altorientalischen Umwelt die Fürbitte für den Fremdherrscher nicht belegt ist! (285 f.)
In persischer Zeit wird durch Darius I. der Opferkult des Jerusalemer Heiligtums reorganisiert. Darius ordnet an, dass die Priester opfern »dem Gott des Himmels und bitten für das Leben des Königs und seiner Söhne« (Esra 6,10). Dies zeigt »die Wertschätzung der Achämeniden für die Unterstützung ihrer Herrschaft durch die Götter der unterworfenen Völker« sowie »die judäische Tradition, für den (Fremd-)Herrscher zu beten« (287). Daraus wird ersichtlich, dass die Fürbittetradition am vorexilischen Tempel in Anpassung an die neuen politischen Verhältnisse jetzt auf den Perserkönig übertragen wurde.
In hellenistischer Zeit wurde »die im Jerusalemer Tempel vollzogene Fürbitte für den Perserkönig auf die neuen Herrschaftsverhältnisse übertragen« (288), also auf die Ptolemäer und die Seleukiden. Dabei wurden Opfer dargebracht, die von Gebeten (des Volkes oder der Priester) begleitet wurden. Vermutlich wurde unter Antiochos IV. mit der Einstellung der nach jüdischem Ritus vollzogenen Opfer auch das Opfer für den König beendet. Nach Übernahme der Herrschaft durch die Makkabäer werden wohl die Opfer als Fürbitte für die Hasmonäer vollzogen (289).
In der Zeit römischer Herrschaft gilt die Fürbitte dem römischen Kaiser und den Römern. Die Fürbitte besteht jetzt, wie Philo bezeugt, aus zweimal täglich dargebrachten Opfern (289). Weiterhin wurde die jüdische Kaiserverehrung für das palästinische wie für das alexandrinische Judentum im Jerusalemer Tempel (bis zu seiner Zerstörung) vollzogen – finanziert durch die von allen Juden zu entrichtende Tempelsteuer (290).
Eine neue Situation ist durch die Entstehung des Christentums gegeben (26). Für das frühe Urchristentum haben wir mit 1Tim 2,2 und 1Clem 61,1–2 zwei Quellen. Der 1Tim fordert die Gemeinde (von Ephesus) auf, im Zusammenhang der für alle Menschen gebotenen Fürbitte auch die Herrschenden mit einzubeziehen. Der 1Clem bringt sogar das erste ausformulierte Fürbittengebet für die Herrschenden. Beide Belege fallen in eine Zeit, in der sich das Chris­tentum zunehmend von der Synagoge abgrenzte und eine eigene Form der Kaiserverehrung finden musste, die natürlich nur in der Form von Gebeten bestand (293).
Insgesamt gilt für die Fürbitte für die Herrschenden, dass zum Wohlergehen der Bevölkerung eine stabile Herrschaft und geordnete Verhältnisse vorausgesetzt werden. »Durch den Vollzug der Fürbitte zeigte das jeweilige Volk […] seine loyale Gesinnung gegenüber den Herrschenden« (297). Für die Christen war wichtig, dass sie der Welt zugewandt blieben und dass sie die weltlichen Ordnungen anerkannten. Nur so konnten sie im guten Einvernehmen mit der Umgebung ihre missionarischen Bestrebungen umsetzen (298 f.).
Es folgt ein Anhang (IV) mit Abkürzungen und Literaturverzeichnis sowie Stellen- und Sachindex (303–343).
Die Studie beleuchtet ein interessantes, aber bisher wenig behandeltes Thema. Wichtig ist, dass der Vf. zeigen kann, dass es in der Thematik der Fürbittengebete große Gemeinsamkeiten gibt – bei aller Verschiedenheit der politischen Gegebenheiten. Der Wert der Arbeit liegt darin, in einem konkreten Bereich die Relevanz der Verbindung von Religion und Politik aufzeigen zu können. Damit kann die Studie vielfache Anregungen für weitere Untersuchungen in diesem Themenbereich geben.