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Ausgabe:

März/2015

Spalte:

184–187

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Buber, Martin

Titel/Untertitel:

Werkausgabe. Bd. 14: Schriften zur Bibelübersetzung. Hrsg., eingel. u. kommentiert v. R. HaCohen.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2012. 363 S. Geb. EUR 118,00. ISBN 978-3-579-02690-9.

Rezensent:

Martin Leiner

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Buber, Martin: Werkausgabe. Bd. 3: Frühe jüdische Schriften 1900–1922. M. e. Vorwort versehen, überarb. u. hrsg. v. B. Schäfer-Siems. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007. 498 S. Geb. EUR 108,00. ISBN 978-3-579-02678-7.


Obwohl Martin Buber bereits 1936 die meisten der in diesem Band versammelten Schriften unter dem Titel »Die Schrift und ihre Verdeutschung« herausgegeben hat, verdient der vorliegende Band aus mehreren Gründen Aufmerksamkeit: Zum einen werden Texte über diese erste Ausgabe hinaus publiziert. Diese sind: »Zu Luthers Übertragung von Ruach« und »Der heutige Mensch und die biblische Geschichte« (Zürcher Vortrag von 1928), beide bislang unveröffentlicht, sowie der persönlichste Aufsatz, den B. zur Verdeutschung der Schrift verfasst hat: »Warum und wie wir die Schrift übersetzten« (verfasst um 1938), sowie die den Übersetzungen beigegebenen Texte nach 1936, wie »Zur Verdeutschung der Gleichsprüche« (1938), »Zu einer neuen Verdeutschung der Schrift« (1954) und »Zur Verdeutschung des Buches Ijob« (1962). Zum anderen enthält die Ausgabe einen sehr sorgfältigen wissenschaftlich-editorischen Kommentar und eine aufschlussreiche Einleitung.
Um das Entstehen der Buber-Rosenzweigschen Bibelübersetzung wissenschaftlich behandeln zu können, muss man freilich auch den umfangreichen Briefwechsel zwischen den beiden Übersetzern mit einbeziehen. Ran HaCohen beschreibt treffend die Buber-Rosenzweigsche Übersetzungsmethode durch die Kolometrie (Einheit von Atemeinheit und Sinneinheit), Leitworttechnik (bestimmte Wörter und Wortstämme wiederholen sich in einem Abschnitt und bestimmen seinen Sinn des Gesamttexts) und philologische Methode (konkordante Übersetzung mit besonderer Beachtung der Wortwurzeln). Auch die Verbindung zur dialogischen Philosophie, B.s Vorliebe für Oralität mit gleichzeitiger Abwertung von Schriftlichkeit, der Anredecharakter der Bibel sowie die Kontroverse mit Siegfried Kracauers sehr kritischer Rezension werden im Vorwort anregend rekonstruiert. Eine Art zweiten Kommentar zu Band 14 der MBW stellt der von Daniel Krochmalnik und Hans-Joachim Werner herausgegebene Band »50 Jahre Martin Buber Bibel. Beiträge des Internationalen Symposiums der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg und der Martin-Buber-Gesellschaft« (Berlin 2014) dar. Aus diesem Band wird wie aus MBW 14 deutlich, dass die Buber-Rosenzweig-Übersetzung eine der reflektiertesten und innovativsten Übersetzungsleistungen in der Geschichte der Menschheit ist. Auch wenn sie an manchen Stellen für den des Hebräischen Unkundigen schwer verständlich ist, steckt sie voller anregender und tiefsinniger Details.
Im Rahmen der Buber-Werkausgabe enthält der Band »Frühe jüdische Schriften 1900–1922« diejenigen Texte, die am meisten dazu geeignet sind, kritische Anmerkungen zu diesem Denker zu machen. An diesen Texten entscheidet sich für das Buber-Bild nicht wenig. Die Herausgeberin hat sehr geschickt die Schriften dieses Bandes in fünf Kategorien unterteilt: 1. Frühe literarische und literarkritische Arbeiten, 2. Zionismus, 3. Jüdische Renaissance und Kultur, 4. Erster Weltkrieg und 5. Palästina.
1. Die frühen Arbeiten zur Literatur wirken sehr pathetisch und unklar, auch wenn sie sich für zweifellos große jüdische Schriftsteller wie Agnon und Jitzchak Leib Perez aussprechen. Bereits Gershom Scholem war nicht deutlich, was etwa ein Satz wie »Agnon hat die Weihe zu den jüdischen Dingen« aussagen wollte (62, vgl. 18 f.). Auch dass »das jüdische Volksleben […] das Worpswede der Nationen« (55) sei, ist Ausdruck eines undifferenziert idyllischen Bildes.
2. In den Schriften zum Zionismus begegnet ein B., der sich in Auseinandersetzung mit Theodor Herzl für einen Kulturzionismus, für die Wiederbelebung der hebräischen Sprache und für die »Demokratische Fraktion« mit ihrem Projekt einer jüdischen Hochschule (vgl. den im Anhang [363–391] abgedruckte Text von B., Feiwel und Weizmann) eingesetzt hat. Andere Texte, wie die Antworten B.s auf eine Umfrage des Berliner Vereins Jüdischer Studenten, zeigen, dass auch er die »Höherentwicklung des nationalen Charakters des Judentum« (69) wünschte und die Gründung eines jüdischen Nationalstaates befürwortete (70). Interessant an diesem Text ist auch, dass B. hier sagt, dass er als irreligiöser Mensch durch den Zionismus zur jüdischen Religion geführt worden sei.
3. Die Begründung des Kulturzionismus findet sich in den Texten zur Jüdischen Renaissance. Die wirkungsvollsten dieser Texte sind die 1911 vor dem jüdischen Studentenverband Bar Kochba gehaltenen »Drei Reden über das Judentum«. Insbesondere die erste Rede hat immer wieder Anstoß dadurch erregt, dass B. die Abstammung und »das Blut als die tiefste Machtschicht der Seele« (224) als gemeinsames Kennzeichen der Juden betont. Die »Gemeinschaft des Blutes«, von der B. auch öfter sprach (z. B. 284), nehmen heutige Leser natürlich anders wahr als vor dem Nationalsozialismus. Ähnliches gilt etwa auch von B.s Rede von »Führerschaft«. Mit Recht weist die Herausgeberin darauf hin, dass B. 1951 im Vorwort zur hebräischen Übersetzung der »Drei Reden« sich vom Rassismus abgegrenzt hat und diese Aussage auf die Folge von Zeugungen und Geburten bezogen wissen wollte (38), in die Rhetorik der europäischen Nationalismen stimmt er freilich dennoch ein. Relativierend tritt hinzu, dass die »Drei Reden« und andere Schriften des Bandes eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Gedanken zum Judentum miteinander in Verbindung bringen, die teilweise in Spannung zur Argumentation mit dem Blutszusammenhang stehen. So betont B. in der Kontroverse mit Hermann Cohen, die der Band ebenfalls hervorragend kommentiert, die Bedeutung des Bundes, der gerade keine Naturtatsache ist (298). Ein anderes kontroverses Moment ist die Bedeutung Nietzsches für B.s Auffassung von jüdischer Renaissance. Jacob Golomb hatte die weitreichende Bedeutung Nietzsches für den Zionismus unterstrichen. Noch in einem Text von 1918, »Die Eroberung Palästinas«, spricht B. in der Tat davon, im Heiligen Land »die Diktatur des schöpferischen Geistes aufrichten« (361) zu wollen. B. hat also noch lange Zeit einen der »gefährlichsten« Gedanken Nietzsches, den über moralische und demokratische Rücksichten erhabenen Vorrang des Schöpferischen, in einer politischen Programmschrift zum Ausdruck bringen können. Deutlich wird aus den Texten freilich auch, wie viel B. von Nietzsche trennte. B. strebte zum Beispiel kein Übermenschentum, sondern »eine Wiedergeburt des Menschentums« (145) an. Hinzu kommt, dass B. den ohnehin mehr von Jacob Burckhardt als von Nietzsche stammenden Ausdruck jüdische Renaissance unterschiedlich verstanden und schließlich ab 1918 durch den Ausdruck »Hebräischer Humanismus« ersetzt hat (28).
4. Auch B.s Begeisterung für den Ersten Weltkrieg hat vielfach Anlass zur Kritik an ihm gegeben. Im Mai 1916 hatte Gustav Lan-dauer B. in einem Brief scharf wegen seiner Äußerungen zum Krieg angegriffen. In diesem Jahr vollzog sich auch eine Wandlung von B.s Einstellung. Der Weltkrieg erschien ihm immer mehr eine Katastrophe für das in einander bekämpfende Armeen aufgeteilte jüdische Volk (285). Antijüdische Fehlgriffe wie die Judenzählung vom November 1916 verstärkten die Entfremdung B.s vom Krieg Deutschlands (323). In den Texten zu Palästina macht B. schließlich sehr problematisch Ansprüche auf das Land geltend, indem er schreibt, dass »dem Juden allein« die Fähigkeit innewohne, »das Land zu erlösen« (363) und Produktivität zu erzielen. Diese angebliche Tatsache sei allen Besitzansprüchen und historischen Rechten übergeordnet; jeglicher Versuch, das Land durch Kauf rechtmäßig zu erwerben, wird als »elender Trug« bezeichnet (361).
B. hat sich später anders zum Zusammenleben von Arabern und Juden in einem Land geäußert, auch das nationalistische Denken tritt zugunsten eines menschheitlichen zurück. Die Herausgeberin Barbara Schäfer sagt mehrfach, dass B. noch auf der Suche war. Sie geht davon aus, dass der Erste Weltkrieg selbst das zentrale Ereignis (41) war, das B. zu dem Wandel veranlasste, der ihn zu dem Denker machte, als der er weltweite Wirkung erzielte. Der 3. Band der MBW ist ausgezeichnet kommentiert und liefert eine Fülle von Informationen, die zum besseren Verständnis von B.s Texten anleiten.