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Ausgabe:

Januar/2015

Spalte:

139–141

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Railton, Nicholas M.

Titel/Untertitel:

James Craig (1818–1899). Judenmissionar– Evangelist – Gemeindegründer

Verlag:

Husum: Matthiesen Verlag 2013. 320 S. = Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte, 58. Kart. EUR 20,00. ISBN 978-3-7868-5503-3.

Rezensent:

Jobst Reller

Nicholas M. Railton, Professor für deutsche Sprache und Geschichte an der University of Ulster in Nordirland, hat sich zu einem der führenden Experten für die Beziehungen der deutschen und englischen Erweckungsbewegungen im 19. Jh. entwickelt. Die Tätigkeit baptistischer und methodistischer englischsprachiger Kolporteure im Umland der Hansestädte Hamburg und Bremen nach 1815 ist weniger bekannt als die Vernetzung im Bereich von Bibel- und Missionsbewegung. Nun legt R. die Biographie eines freikirch-lichen presbyterianischen Judenmissionars, James Craig (1818–1899), vor, der ab 1845 u. a. in Hamburg tätig war.
R. gliedert seine Darstellung in eine Skizze zur religiösen Lage in Hamburg in der ersten Hälfte des 19. Jh.s (21–50), zu Craigs Judenmission in Deutschland (51–88), seine Gemeindegründung in Ham­burg (89–140), sein Einsatz für die Schriftenmission in Deutschland (141–170) und die Gemeinschaftsbewegung in Schleswig-Holstein (171–196). Der Band ist hervorragend erschlossen durch Personen-, Orts- und Bibelstellenregister (309–320). Vor allem das Personenregister bringt unmittelbar die weitreichende Vernetzung Craigs in der europäischen Erweckungs- und beginnenden Ge­meinschaftsbewegung zutage.
Craig scheint alle sich ihm bietenden Kontaktmöglichkeiten mit Erweckten genutzt zu haben. Seit 1847 wirkte er zunächst freundschaftlich mit Johann Hinrich Wichern in der Hamburger Sonntagsschulbewegung und im Hamburger Verein für Innere Mission zusammen (40). Allerdings kam es über den im staatskirchlichen Verbot allen Konventikelwesens begründeten unkirchlichen und unreligiösen Charakter des neu gegründeten Seemannsheims zu einem ersten Konflikt. Über eigene Abendmahlsfeiern Craigs kam es dann zur Trennung. Craigs Tochter Jane be­richtet von einem erfolgreichen Auftritt ihres Vaters im Mis-sionsseminar in Hermannsburg 1861 – ohne entsprechende Belege in der Hermannsburger Überlieferung (81 f.). Allerdings nimmt Ludwig Harms (1808–1865) 1861 nach dem Missionsfest im Missionsblatt zur Judenmission Stellung – was als Reaktion auf Craig gedeutet werden könnte. Nichtsdestotrotz hat es wohl eine Verbindung zwischen beiden über den Hermannsburger Missionsinspektor Theodor Harms (1819–1885), den Bruder Ludwigs, gegeben. Nach dem beigegebenen Dokumentenanhang und einer dort enthaltenen Mitgliederliste (208 ff.) gehörte auch ein »Fräulein Averdieck« von der »höheren Töchterschule« 1855 zu Craigs Gemeinde. Handelte es sich hier um Elise Averdieck, dann wäre die Beziehung zu deren Seelsorger Ludwig Harms in Hermannsburg kaum verwunderlich, eine Zugehörigkeit von Elise Averdieck zur Gemeinde Craigs angesichts theologischer Differenzen allerdings umso mehr. Craig wird auch als Pionier der schleswig-holsteinischen Gemein schaftsbewegung erinnert. So fehlt der Name des hier bedeut-samen Husumer Schuhmachers Hinrich Hieronymus Sommer (1804–1861), eines der ersten Reiseprediger der Gemeinschaftsbewegung, auch in dieser Biographie nicht. Sommer wirkte u. a. auf den rheinischen Missionar Ludwig Ingwer Nommensen, den »Apostel der Batak« in Indonesien, ein, der seinerseits seine Frau in Craigs Hamburger Freikirchengemeinde fand. Auch von Marcus Hoch, mit Taufnamen Johannes Neander, als Judenmissionar des 1839–1859 tätigen »Vereins der Freunde Israels in Lehe und Umgegend«, eines wichtigen Teilbereichs der Erweckungsbewegung zwischen Elbe und Weser, gab es Beziehungen zu Craig, der dessen Berufung nach New York in die Judenmission vermittelte (1848–1879; 69). Da­mit liefert R. ein wichtiges Mosaikstück in der Geschichte des Leher Vereins, die von Torben Rakowski in seiner Masterthese (Der »Verein von Freunden Israels in Lehe und Umgegend« [1839–1852] im Kontext der deutschen protestantischen Judenmission im 19. Jh.; Hermannsburg/Stavanger 2007: www.mhs.no; bibliotek; masteroppgaver) aufgearbeitet wurde. Diese Arbeit ist R. allerdings entgangen.
R. reißt viele Teilbereiche an, ohne sie letztlich erschöpfend darstellen zu können. Das liegt auch an der im Bereich der Erwe­-ckungsbewegungen oft sehr disparaten Quellenlage. Das leider weder auf Deutsch noch auf Englisch zugängliche grundlegende Werk des Norwegers Oskar Skarsaunes zur Ge­schichte der protes­tantischen Judenmission fehlt z. B. als Referenzwerk (»Israels venner«: norsk arbeid for Israelsmijonen 1844–1930, Oslo 1994), so dass der Kontext der deutschen Judenmission in R.s Darstellung trotz der Benutzung der klassischen Arbeit von Aring wenig deutlich wird. Nichtsdestotrotz legt R. in der Biographie eine unentbehrliche Fundgrube zur weithin vernachlässigten Ge­schichte der Er­weckungsbewegungen in Norddeutschland und damit ein unverzichtbares Hilfsmittel für alle weitere Forschung vor.