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Ausgabe:

Januar/2015

Spalte:

137–139

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Holslag, Jane

Titel/Untertitel:

Berlin Fellowship. East German Perspectives and Missional Encounter 1961–1989

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2013. 288 S. = ContactZone. Explorations in Intercultural Theology, 14. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-643-90387-7.

Rezensent:

Klaus Roeber

Jane Frances Holslag legt ihre Dissertation vor, mit der sie an der Protestantse Theologische Universiteit te Amsterdam-Groningen (Promotoren M. M. Jansen und H. Noordegraf) promoviert wurde. Als Bachelor of Arts in English der University of Colorado (USA) bekam sie später leitende Ämter in der First Presbyterian Church, sie wurde Associate Pastor der Irvin Presbyterian Church und koordinierte im Auftrag der Presbyterian Church (USA) den International Global Mission Service. Sie bekam Verbindungen nach Mittel- und Osteuropa, nach Westberlin und zur DDR und übernahm 1980 Aufgaben in der »Berlin. Fellowship« (BF). H. blieb nach Abschluss des Programms 1990 bzw. 1996 als Vermittlerin ökumenischen Denkens und Handelns in Mittel- und Osteuropa tätig. In Litauen lehrt sie derzeit in den Fachbereichen Englische Sprache und Theologie. H. ist Vorsitzende des Akademischen Rates der LCC International University.
Der Titel des Buches verweist auf eine Fallstudie in einem abgeschlossenen Kapitel der kirchlichen Zeitgeschichte (Gründung und Ende der DDR). Eigentlich handelt es sich um die Beschreibung eines Wesenszuges der ökumenischen Bewegung, eine Lerngemeinschaft und Lebensgemeinschaft zu bilden. BF steht paradigmatisch für diese ökumenische Vision. H. reflektiert ihre Erfahrungen auf dem ökumenischen Weg zur gelingenden Kommunikation und Kooperation untereinander und mit den Anderen angesichts der Konfrontation der unterschiedlichen Systeme in Ost und West während des Kalten Krieges. Die Mitglieder der Gruppe fragten angesichts der vielen Widrigkeiten: Was motiviert die ökumenische Bewegung und wie gewinnt der Geist der missio dei eine aussagekräftige Gestalt? Aus diesem Leitmotiv der BF entsteht die Ausgangsfrage der Untersuchung: Is fellowship encounter a missional experience? (1) In fünf Kapiteln eröffnet H. Zugänge für eine positive Antwort: Gemeinschaftsbildung und -bindung ist die missionale Basis der Begegnungen. Sie gibt die Kraft (vgl. 213) der missio dei weiter, die als Wesensgrund der Existenz (221) erkannt und als Hoffnung für die Welt miteinander geteilt werden kann. Das Wort »missional« weist auf die latente Möglichkeit des Geschehens an sich selbst, an anderen, in Kirche und Gesellschaft, in Ost und West.
Zur Einführung erläutert H. im 1. Kapitel (1–20) die Fragestellungen, beschreibt ihre Rolle und Vorgehensweise und gibt Auskunft zu den Quellen ihrer Untersuchung. Aufschlussreich erhellen die Angaben das Entstehen und die Ausformung der BF angesichts der Konfrontation der Machtblöcke in Ost und West nach dem Zweiten Weltkrieg, mit der Gründung der DDR und deren Abschottung durch die Grenzbefestigungen der DDR. Das Jahr 1961 markiert für eine lediglich historische Weltbetrachtung die Eskalation der Bedrohungsängste durch den Bau der Berliner Mauer, für die BF ist es die Bewährungsprobe für die Botschaft der ökumenischen Bewegung als ein Angebot zur Verständigung und Versöhnung durch Zeugnis, Dienst und Einheit der Kirchen weltweit (ÖRK New Delhi 1961). Dabei wurde die internationale Missionsbewegung integriert als Teil des Ökumenischen Rates der Kirchen und inspirierte die Mitgliedskirchen zu einer weltweiten Studienarbeit über Mission als Strukturprinzip.
Im 2. Kapitel (20–74) regt H. zu einer Neubesinnung auf die Dynamik der konstitutiven ekklesiologischen Begriffe an: koinonia/fellowship/life together; recognition/reconciliation/partnership; mission/missio dei/missional hermeneutic. H. lehrt den Leser einen neuen Umgang mit überkommener ekklesiologischer Wortmächtigkeit. Sie präsentiert den Aufbruch der Missionswissenschaft zitatenreich und ermutigt zu einer »hermeneutic of the gospel« (Newbegin, 73), um mit der »voice of the other/to the other« sich als »Kirche für andere« neu zu artikulieren. Es geht nicht um eine an­dere Kirche, sondern um ökumenische Gemeindeerneuerung. Im Hintergrund der spannungsreichen Debatte stehen kontroverse Fragen um eine ekklesiologische Akkreditierung der experimen-tierenden Paragemeinden, denen BF zugeordnet werden konnte.
Das 3. Kapitel (75–135) beschreibt den einsetzenden Lernprozess bei den Begegnungen der BF in den Zeitabschnitten von 1950–1966; 1967–1970; 1971–1978; 1979–1989. Diese Periodisierung ist aufschlussreich und regt an zur Ergänzung der vorhandenen Literatur über die Geschichte des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR und sein wachsendes Selbstverständnis als »Lerngemeinschaft« in einem Lernprozess als Zeugnis- und Dienstgemeinschaft.
Das 4. Kapitel (137–179) dokumentiert Interviews als missionales Zeugnis mit den DDR-Teilnehmern, wie diese BF erlebten und ihre Impulse aufgenommen und verarbeitet haben. Sie bilden den Testfall, ob die Verschiedenheit der BF zu einer Beobachterdelegation, Missionsmannschaft, einem Ökumenischem Teamvisit bewusst geworden ist.
Das 5. Kapitel (181–192) bringt zum Ausdruck: »Fellowship as an missional experience«. Mithin kann die vorliegende Arbeit nicht nur der Abschlussbericht eines Fallbeispiels sein, sondern als bleibende Ermutigung und Lebenszeichen der in der missio dei lebendigen Kirche. »In Gemeinschaft wie auch in anderen kirchlichen Merkmalen erinnert die BF sich selbst und die Anderen an den lebendigen Herrn Jesus Christus […] eine ›Wohnung im Geist‹«. Mit dieser Erkenntnis hat BF zwischen abwartenden Kirchenämtern und argwöhnischen Behörden ihre Bewährungsprobe bestanden.
Folgende Anhänge vervollständigen den Band: I. Das Ministe-rium für Staatssicherheit der DDR/MfS. II. Worterklärungen und Erläuterungen zum unterschiedlichen Sprachgebrauch. III. Erläuterungen zu wiederkehrenden sprachlichen Wendungen. IV. Informationen über maßgebliche Gewährsleute der BF. Die Bibliographie enthält 181 Namen mit insgesamt 259 Publikationen, Angaben zu 21 digitalen Quellen sowie Hinweise auf zwölf Archive.
Die Würdigung dieser Publikation über die Teilnahme von Christen aus der DDR und den USA, geschrieben aus dem Blickwinkel der Anderen, kann in mehrfacher Hinsicht erfolgen: als Zu­gang zu bisher verstreutem Quellenmaterial und Ergänzungen durch Dokumente der ökumenisch-missionarischen Einrichtungen der DDR, für die Zuordnung ökumenischer Einsichten und historischer Ereignisse, vor allem aber als Impuls, der »die Kirche auf ihrem geschichtlichen Weg nicht zur Ruhe kommen [lässt], auch da nicht, wo sie ihre jahrzehntelange gesellschaftliche Um­welt, auf die sie sich dialogisch eingelassen hatte, untergehen sieht, und sich in neu-altem Kontext abermals besinnen muss auf den Auftrag der Kirche Jesu Christi in der Nähe und in der Ferne« (H. Balz, einleitend zu: »Mission – Gerechtigkeit – Partnerschaft. Ge­sichtspunkte zur Neubesinnung auf den ökumenisch-missionarischen Auftrag der evangelischen Kirchen in der DDR«, 1987, in: Mission erklärt. Ökumenische Dokumente 1972–1992, Leipzig 1993, 405; hier auch weitere Literatur zum Verständnis der kontextuellen Theologie in der DDR und Osteuropa für und »zum Umlernen bei gleichzeitigem Festhalten des einmal von der Geschichte Begriffenen, das allen in der Kirche aufgegeben ist«; ebd.).