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Ausgabe:

Januar/2015

Spalte:

133–135

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Buß, Gregor, u. Markus Luber [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Neue Räume öffnen. Mission und Säkularisierungen weltweit

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2013. 224 S. = Weltkirche und Mission, 3. Kart. EUR 29,95. ISBN 978-3-7917-2539-0.

Rezensent:

Marion Grau

Mit Neue Räume öffnen liegt der dritte Band von Pustets Serie über Weltkirche und Mission vor. Er sammelt katholische Betrachtungen zum Thema Säkularisierung und Mission in globaler Vielfalt. Markus Luber SJ ist Direktor des Instituts für Weltkirche und Mission an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Ge­orgen in Frankfurt (Main), Gregor Buß Wissenschaftlicher Mitarbeiter. In insgesamt zwölf Kapiteln tragen die Herausgeber interdisziplinäre Beiträge aus verschiedenen deutschen und globalen Kontexten zusammen. Die Kapitel sind aus verschiedenen Perspektiven geschrieben: Es finden sich Artikel vom Weihbischof über die Pastoraltheologie, Fundamentaltheologie, Religionswissenschaft, Kulturwissenschaft bis zum einzigen protestantischen Beitrag einer Journalistin.
Diese Sammlung von Essays referiert und reagiert auf die sehr aktuelle gegenwärtige Diskussion über die verschiedenen Säkularisierungsformen und Theorien der Säkularisation. Die Beiträge sind bemüht, Säkularisierung als positiv und chancenreich für die katholische Kirche darzustellen, als Dynamiken, die sich im Einklang mit dem – doch inzwischen eher verschütteten – Zweiten Vatikanischen Konzil befinden. Die Beiträge weisen zumeist recht differenzierte Zugänge zum Thema auf und versuchen die Chancen der verschiedenen Formen von Säkularisation (multiple secular-ities) in verschiedenen Erdteilen und Gesellschaften wahrzunehmen. Charles Taylors Beiträge zur Diskussion werden hier sowohl zum Teil zusammengefasst und referiert als auch kritisch beleuchtet. Für Leser, die mit der Thematik vertraut sind, finden sich in einigen Essays kaum neue Aspekte und die interessantesten, durch die Inklusion von konkreten, kontextuellen Forschungsprojekten, werden die sein, die der Vielfalt der Säkularisierung in anderen Kontexten nachspüren.
Knapps Essay liefert eine gute Problembeschreibung, während Burchardt und Wohlrab-Sahr die Diversität der Prozesse beschreiben und in Erinnerung rufen, dass der Säkularisierungsprozess in Europa ein Sonderweg ist, der zum Prototyp hochstilisiert wurde (39). Da sind jedoch gerade die Idealtypen, die die beiden Autoren beschreiben, eher problematisch und wenig einleuchtend, da verschiedene Gesellschaften wie die Türkei und die Niederlande kaum differenziert betrachtet werden. Knapp setzt diese Betrachtungen fort und weist auf den Eurozentrismus vieler Erklärungsmodelle hin, die die verlorene kulturelle Dominanz des Christentums im Westen mit einem Niedergang von Religion weltweit verbinden. Zugrunde liegt für ihn die verlorene Einheit zwischen Glauben und Wissen, für die seit dem spätmittelalterlichen Nominalismus keine neue Synthese erfolgt ist. Der Glaube wird immer mehr zum Fremdkörper für ausgrenzende Formen des Humanismus, während die Theodizeeproblematik virulent wird (108–110). Wenzels Zugang zur Thematik geschieht über Karl Rahners Neubestimmung der Ekklesiologie (89) und der Sakramente. Rahner hatte schon im Zweiten Vatikanum die Chancen der Kirche ausgelotet: in der Würdigung von Augustins civitas terrestris, einer Kirche in der Diaspora mit einem neuen Verständnis von Katholizität, getragen von Hoffnung und Heilsrealismus, anstatt einer Illusion der Wiederherstellung der Christlichkeit der Gesellschaft (95). Bhargavas Artikel empfielt das indische Säkularisierungsmodell, es gelingt ihm aber nicht – angesichts dieser Empfehlungen – zu erklären, wie der Rechtsstaat, Frieden zwischen ethnoreligiösen Gruppen und Ge­schlechtern durch dieses Modell vorangetrieben werden. Casanovas Beitrag deutet an, dass die Vereinigten Staaten weiterhin ein Sonderfall mit hoher Religionsbeteiligung und hohem Kirchgang sind. Casanova lässt hier die neuesten Umfragen außen vor, zum Beispiel die Pew Studien, die andeuten, dass in den USA inzwischen ähnliche Dynamiken wie auch in Europa eingetreten sind: Kirchenschwund, weniger Gottesdienstbesuche und aufgelöste Gemeinden. Dies be­deutet jedoch nicht, dass Religion aus der Lebenswirklichkeit der Menschen verschwunden ist, wohl aber, dass die Zahl derer, die sich nicht als Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft sehen, auch in den USA immer mehr ansteigt. Neue Studien zeigen, dass die Mitgliederzahlen der katholischen Kirche in den USA nur deshalb nicht sinken, weil die Einwandererzahl von Katholiken den Schwund ausgleicht. Bambu und Silber konstatieren variierende Säkularisierungsmuster auch für Afrika, den stereotypisch »religiösen Kontinent«, und eine Art von Pluralisierung eher als Säkularisierung in verschiedenen Regionen in Lateinamerika.
Schließlich betonen einige der Autoren und Autorinnen die Chancen für Mission, die in pluralistischen Formen des Säkularismus zugänglich sind, aber wie eine Konkretion aussehen könnte, wird zumeist nur angedeutet. Kellers ethnographisch-journalistischer Zugang bringt eine lebendige, konturierende Perspektive ein, die die überwiegend theoretisch fokussierten Aufsätze gut kontrastiert. Am konkretesten und zugänglichsten im Bezug auf den Ort der Kirche in entkirchlichten Zusammenhängen ist m. E. der Beitrag von Hauske zur sakramentalen Praxis in einer nichtchristlichen Umwelt, der fantasiereiche und einfühlsame kreative Ritualpraxis beschreibt.
Weiterführende Fragen, die der Sammelband unberücksichtigt ließ, wären: Wie können diversity issues in diese Thematik eingebracht werden? Wo wäre es möglich, die unterschiedlichen Körperlichkeiten der Gesellschaften differenzierter zu diskutieren? Und welche Rolle spielen eigentlich die Missbrauchsskandale und ähnliche Identitäts- und Autoritätskrisen der katholischen und anderer Kirchen, wenn es um das Schrumpfen von Gemeinden und Denominationen geht? Ist es angemessen, die Kirchen lediglich als passive Rezipienten von Säkularisierung zu sehen und nicht auch als Handelnde oder Versagende?