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Ausgabe:

Januar/2015

Spalte:

130–131

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Könemann, Judith, u. Norbert Mette [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Bildung und Gerechtigkeit?! Warum religiöse Bildung politisch sein muss

Verlag:

Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag 2013. 232 S. = Bildung und Pastoral, 2. Kart. EUR 23,00. ISBN 978-3-7867-2947-1.

Rezensent:

Thorsten Knauth

Dass Religionspädagogik gesellschaftliche Bedingungen religiöser Bildungsprozesse kritisch reflektiert und im Interesse an Gerechtigkeit, Freiheit und Emanzipation mitgestaltet, gehörte in den letzten Jahren nicht zu den hervorstechenden Profilmerkmalen des Faches. Im Mainstream der Religionspädagogik geriet der politische und gesellschaftliche Bezug religiösen Lernens in den Hintergrund: In Zeiten religiöser Pluralisierung und Tradierungskrise galt der kompetenzorientierten Besinnung auf die Aneignung des religiösen Propriums in binnenkirchlichen Bezugsrahmen ein größeres Augenmerk als der Frage, wie religiöse Bildung Beiträge zur Bearbeitung gesellschaftlicher Schlüsselthemen leisten könne.
Der von Judith Könemann und Norbert Mette herausgegebene Sammelband will an diese gesellschaftsbezogene Tradition von Religionspädagogik anknüpfen »und die ideologiekritische und politische Dimension religiöser Bildung« wiederbeleben.
Das Buch versammelt 14 Beiträge von 13 Autorinnen und Autoren. Eine kohärente Konzeption kann nicht erwartet werden. Aber der Band eröffnet aufschlussreiche Perspektiven zur Konzeption einer politisch dimensionierten Religionspädagogik, zu Themenfeldern und zu praktischen Überlegungen. Thematisiert werden die Gebiete einer erinnernden Religionspädagogik, geschlechterreflektierender religiöser Bildung, ästhetisches Lernen und die politische Dimension von Elementarpädagogik. In praktischer Perspektive kommt das Spannungsfeld zwischen konfessionellem Religionsunterricht und religiöser Heterogenität in der Schule genauso in den Blick wie der Ansatz einer bewusstseinsbildenden biographieorientierten Religionspädagogik, es finden sich aber auch Überlegungen zum Thema Armut, mit denen ein theolo-gisches Schlüsselthema in einer globalen Perspektive zugleich auf selbstkritische Überlegungen für eine Veränderung der eigenen Lebenspraxis bezogen wird. Der bunte Reigen dieser Überlegungen zeigt an, dass auf praktischer und thematischer Ebene auch weiterhin Bedarf an kreativen Ansätzen und Projekten besteht.
In konzeptioneller Hinsicht bestätigt sich, dass eine politisch profilierte Religionspädagogik nicht gänzlich neu begründet werden muss. Aussichtsreich ist schon eine Vergewisserung darüber, dass einer hermeneutisch arbeitenden Religionspädagogik wegen ihres Bemühens um die Korrelation verschiedener Kontexte eine politische Dimension inhärent ist (Judith Könemann). Freilich ist zu bedenken, dass die Ausweitung des Verstehens auf soziale und politische Kontexte auch eine konzeptionelle Erweiterung auf Ansätze einer politischen Hermeneutik zur Folge haben müsste. Darüber hinaus ginge es darum, bereits vorhandene religionspä­-dagogische Konzepte unter der Leitperspektive des Politischen zu rekonstruieren, auf andere Dimensionen wie Ästhetik, Urteilsfähigkeit, Sprache, Praxis zu beziehen und in ein entsprechendes Ge­samtkonzept religiöser Bildung einzubinden ( Bernhard Grümme).
Vielleicht muss aber auch das politische Profil von Religionspädagogik stärker gesellschafts- und machtkritisch geschärft werden. Als vielversprechend könnten sich hier die Cultural Studies erweisen. George Reilly weist in einem bemerkenswerten Beitrag darauf hin, dass die Potentiale der hege­moniekritischen, kultur-ethnographischen Ansätze von »Cultural Studies« in der Rekonstruktion (jugend)kultureller Lebenswelten und ihrer Verschränkung mit bzw. Opposition zu dominanten, hegemonialen kulturellen Deutungen liegen. Aus der Frage, wie Macht in den Alltag von Menschen eindringt und wie dies Möglichkeiten einschränkt, ein würdiges Leben zu führen, sowie in der Stärkung kreativer Alltagspraxen von Subjekten können Ansatzpunkte einer (Religions-) Pädagogik des Widerstandes entwickelt werden.
In diese Perspektive einer gesellschaftskritischen Religionspä-dagogik lassen sich auch Ausführungen von Viera Pierker eintragen: Ihre kritische Lektüre von Identitätstheorien dekonstruiert das Identitätskonzept als eine bürgerliche Vorstellung, deren Entwicklungslogik aus ma­teriell privilegierten Situationen plausibel ist, aber auch nicht ohne Weiteres auf andere soziale Kontexte übertragen werden kann. Abweichende, auf Abbruch, Vorläufigkeit und Fragment basierende Entwürfe jugendkultureller Selbstdefinition wären somit auf der Interpretationsfolie einer politischen Hermeneutik auch als Ausdruck sozialen Protests gegen die normative Gewalt hegemonialer bürgerlicher Lebensentwürfe zu interpretieren. In diesen machtkritischen Rekonstruktionen aus der »exkludierten« Perspektive der gesellschaftlichen Ränder liegen produktive Elemente einer gesellschaftskritischen Religionspädagogik, die weiter zu entwickeln eine lohnende Aufgabe wäre.
Insgesamt bieten die Beiträge dazu wichtige Anregungen, die Religionspädagogik aus dem Schlaf weitgehender politischer Ab­stinenz zu wecken und in die Wachheit einer kritischen und ge­rechtigkeitssensib­len praktischen Wissenschaft zu holen. Als ein solcher Weckruf für eine neue politische Religionspädagogik sollte das Buch in Wissenschaft, Fortbildung und Praxis zur Kenntnis genommen werden.