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Ausgabe:

Januar/2015

Spalte:

122–126

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Wenz, Gunther

Titel/Untertitel:

Schöpfung. Protologische Fallstudien

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. 418 S. = Studium Systematische Theologie, 7. Kart. EUR 49,99. ISBN 978-3-525-56711-1.

Rezensent:

Tom Kleffmann

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Wenz, Gunther: Sünde. Hamartiologische Fallstudien. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. 363 S. = Studium Systematische Theologie, 8. Kart. EUR 49,99. ISBN 978-3-525-56712-8.


Gunther Wenz, Jahrgang 1949, Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in München, hat die Bände 7 und 8 seiner Reihe »Studium Systematische Theologie« vorgelegt (vgl. Rezensionen der Bände 1 bis 3 [ThLZ 131/2006, 1331 ff.], Band 4 [ThLZ 134/2009, 612 ff.], Bände 5 und 6 [ThLZ 137/2012, 727 ff.]). Es handelt sich jedoch nicht nur um Fallstudien. Vielmehr wird eine gründliche Orientierung in die Problemgeschichte der Schöpfungs- und Sündenlehre gegeben, die stets den Gesamtzusammenhang der Dogmatik, aber auch der Theologie überhaupt im Blick behält. Die Bücher sind ausgezeichnet lesbar, und zwar auch jedes Kapitel für sich (was mitunter den Preis einer gewissen Redundanz hat). Den Einstieg geben oft im besten Sinne geistreiche Bezüge aus der akademischen oder kirchlichen Lebenswelt. Ab und zu blitzt ein schöner Humor auf.
Im Schöpfungsband finden sich nach längeren Prolegomena ein biblisch-theologischer Teil, sieben philosophie- und theologiegeschichtliche Beiträge, zwei zentrale Kapitel zu Barth und Pannenberg sowie fünf Beiträge zur aktuellen Schöpfungstheologie.
Nach einer lockeren theologischen Einstimmung im Vorwort, und noch bevor W. sich der Schöpfungslehre im Besonderen zu­wendet, stellen die »Dogmatischen Perspektiven« (22–40) dar, wie er die Aufgabe der Systematischen Theologie versteht. Dieser Abschnitt gilt für beide Bände. Er ist breit theologiegeschichtlich fundiert. In Auseinandersetzung mit der Barthkritik der Rendtorffschule be­gründet er die theologische Notwendigkeit, eine Selbsterschließung Gottes anzunehmen – dies auch als organisierende Mitte des enzyklopädischen Zusammenhangs der theologischen Disziplinen. Gegenüber einer herrschenden Tendenz in der Religionsphilosophie wird der theologische Primat des Widerfahrnischarakters des Glaubens vor menschlicher Deutung betont. Die Perspektive des Glaubens unterscheidet sich »von allen innerweltlichen Selbstorientierungen« (29) – eine theologische Religionstheorie müsse voraussetzen, dass das religiöse Verhältnis »keine bloße Setzung des religiösen Bewusstseins« (33) oder nur der Ausdruck von Selbstdeutung ist (schön wäre hier eine mutigere Auseinandersetzung ge­wesen, die auch Ross und Reiter benennt). Natürlich will W. dies nicht als offenbarungspositivistische, sondern als dialektisch fundierte Position verstanden wissen. Eine Theologie der Offenbarung gilt es mit der Religionstheorie des Deutschen Idealismus und auch noch mit Schleiermacher zu vermitteln. Die hier ebenfalls schon projektierte christologische und auch hamartiologische Fundierung der Schöpfungslehre führt die Einleitung (41–64) in studentengemäßer, schöner Verständlichkeit aus und ergänzt sie durch einen allgemein religionsgeschichtlichen Horizont sowie Überlegungen etwa zum Naturbegriff, zum Verhältnis von Anfang und creatio continua, sehr schön auch zum Begriff des Himmels (56 f.). Die Probleme eines modernen Verständnisses der Welt als Schöpfung bleiben zunächst ausgeklammert.
Der biblisch-theologische Teil bietet eine exzellente Einführung in die religionsgeschichtlichen Voraussetzungen und den klassischen Problembestand, die auch relevante exegetische Forschungen einbezieht. Zwei folgende Abschnitte beschäftigen sich angemessen präzise mit dem Einfluss des Platonismus auf die altkirchliche Logoschristologie und Schöpfungslehre (Platons Timaios, Philo, Plotin, Origenes werden einführend dargestellt) sowie mit der dramatischen Überformung des christlichen Platonismus durch den theologischen Aristotelismus (besonders die Summa contra gentiles des Thomas kommt zu Wort: 122–133). Anschließend soll »Luthers Auslegung des ersten Glaubensartikels im Kontext scholastischen Erbes« dargestellt werden. Als Grundlage dienen vor allem die Katechismen und Auslegungen des Dekalogs. Zu Recht wird der konstitutive Bezug von Luthers Schöpfungstheologie zum einen auf die Rechtfertigungs- und Sündenlehre (und damit das pro me auch der Schöpfung), zum anderen auf die Christologie hervorgehoben. Der Ansatz Luthers, Schöpfung als Rede Gottes zu verstehen, kommt etwas kurz (147 f.). Anders als sonst wirkt die Darstellung hier bisweilen auch etwas dogmatisch harmonisierend. Fraglich ist z. B. die starke Betonung der Entsprechung von »sich im Gewissen zu Bewusstsein« bringenden »Schöpfungsgesetzen« und Dekalog bei Luther (149). Der Abschnitt über die altprotestantische Orthodoxie führt in maßgebliche Grundbegriffe und Grundunterscheidungen ein und verdeutlicht die Rückkehr zu aristotelischen Denkformen. Es folgt eine sehr grundsätzliche Einführung in »Kants kopernikanische Wende«, in der die Durchsetzung des heliozentrischen Weltbildes mit der zentralen Stellung des Er­kenntnissubjekts parallelisiert wird. Auch zu Schleiermacher verbinden sich eine präzise Einführung in Grundgedanken sowie Architektonik der Dogmatik mit der Explikation seiner Schöpfungs- und Gotteslehre. Der »schöpferische Geistprozess nach Hegel« erfährt eine Würdigung, die auch geeignet ist, gängige theologische Vorurteile Hegels Gedanken des Absoluten gegenüber zu widerlegen. Im Mittelpunkt steht die Dialektik der Entwicklung des Organischen, die in die Geschichte des Geistes bis hin zu Religion und Christentum übergeht, wo das Absolute zu seinem versöhnten Selbstbewusstsein kommt. Hilfreich wäre gewesen, das Potential dieser Gedanken für die Diskussion der Gegenwart zu verdeutlichen.
Es folgen zwei Beiträge zur neueren Theologiegeschichte, nämlich zu Barth und – in präziser Abgrenzung – Pannenberg. Auch das Pannenbergkapitel ist als werkgeschichtlich orientierte, exakt referierende Einführung in seine Dogmatik zu lesen, insbesondere was Trinitätslehre und Geschichtsbegriff angeht. Ob Pannenberg das bekämpfte Verständnis der Theologie als Sprachlehre des Glaubens (269) richtig verstanden hat, muss freilich offen bleiben. Ausführlich und klar werden sodann Pannenbergs Überlegungen zum Geist als Feld und seine Auffassung der Emergenz dargestellt. Die Stärken werden deutlich, etwa die Verbindung von Schöpfung als Geschichte und Christologie. Absehbar ist aber auch, dass der Begriff des die Welt ordnenden Logos nicht recht konkret wird.
Den Übergang zu den vier eher systematischen Abschnitten macht eine Bilanzierung der Probleme gegenwärtiger Schöpfungslehre (»Protologische Grundlegungsprobleme«) auf Grundlage der Beiträge Pannenbergs und Moltmanns: das Problem, im Naturprozess von einem Handeln Gottes zu reden, die Frage, wie eine eschatologische Vollendung im Blick auf die Schöpfung zu denken ist, und überhaupt das theologische Sprachproblem, das sich aus dem Bild der totalen Dynamisierung der Wirklichkeit ergibt.
Auch um das Verhältnis von Schöpfungstheologie und Naturwissenschaft darzustellen (309 ff.), wählt W. einen reichhaltigen theologiegeschichtlichen Einstieg. Insbesondere im Ausgang von Husserls Auseinandersetzung mit der Mathematisierung der Natur sowie dem Bewusstsein der Lebenswelt wird eine wissenschaftstheoretische Fundierung der Naturwissenschaft eingefordert, die der Tendenz zur absoluten Naturalisierung der Wirklichkeit widerspricht. Aber was ist mit dem Bewusstsein der Konstruktivität aller Verstandeserkenntnis eigentlich für die Theologie ge­wonnen? Die Frage gilt ähnlich für das Referat der »physikalischen Grundlagen« eines jeden Verständnisses der Kosmogenese (334 ff.). Was folgt aus der Relativierung von Raum und Zeit, aus der Auflösung des Materiebegriffs und der mechanischen Vorstellung von Körper und Bewegung, aus der Annahme von Fermionen und Bosonen für das Denken der Schöpfung? Hat Entropie etwas mit Eschatologie zu tun? Auch bei dem Versuch, die Einsicht in »Biologische Evolutionen« schöpfungstheologisch aufzugreifen, kommen das biologische Referat und der Rekurs auf die biblischen Schöpfungsberichte nicht ganz zusammen. So bleibt auch der Satz, dass »Schöpfungstheologie und Theorien biologischer Evolution« keinen Gegensatz bilden (381), richtig, aber irgendwie abstrakt. Außerdem wäre es fruchtbar gewesen, die Phänomene biologischer und physikaler Evolution enger verzahnt zu sehen – etwa im An­schluss an einen weiten Begriff von Selbstorganisation, wie er sich bei Prigogine oder auch Jantsch findet. Der letzte Abschnitt führt gründlich in die klassischen theologisch-anthropologischen Probleme ein und bezieht sie auf die biblischen Schöpfungsberichte zurück. Systematisch wird im Anschluss an Pannenberg die Exzentrizität zum Schlüsselbegriff – sie »erschließt durch Gottoffenheit menschliche Selbsttranszendenz und Weltoffenheit« (392). Außerdem überzeugt die Fundierung der Anthropologie in der Trinität.
Band 8 zur Sünde ist ähnlich aufgebaut wie Band 7: Auf eine biblisch-theologische Grundlegung folgen elf theologiegeschicht-liche Studien. Den Abschluss machen vier eher systematische Beiträge zu Sündenlehre und Theodizee, einschließlich eines geistreichen Exkurses zur Theologie des paradigmatisch heillosen Sünders Judas.
Bereits die Einleitung (7–32) diskutiert zunächst ausführlich Schellings Offenbarungsphilosophie und ihren Sündenbegriff, da hier die Probleme neuzeitlicher Hamartiologie paradigmatisch zum Ausdruck kämen, wie sich bei Kierkegaard, Tillich und Barth zeigen ließe. Außerdem finden sich eine klare Einführung in Begriffe und Grundfragen der Sündenlehre sowie eine systematische Grundbestimmung: Die Sünde des incurvatus in seipsum Seins ist eine Verkehrung des Gottesverhältnisses, die sich im Selbstverhältnis konstituiert. Nachdem in religionsgeschichtlicher Perspektive die biblische Überlieferung vorgestellt wurde – mit einem Schwerpunkt auf einer Interpretation von Röm 7 und einem Ausblick auf Ricœurs Verständnis von Gen 3 –, folgt eine Darstellung der Erbsündenlehre Augustins und der altkirchlichen Rezeption seines Kampfes gegen den Pelagianismus. Zentral ist der Lutherteil. Hauptsächlich auf Grundlage der Katechismen wird mit bestem Überblick in die Grundbestimmungen eingeführt – etwa die auch Vernunft und Willen umfassende Radikalität der Sünde betreffend, das Verhältnis von Vergötterung und Selbstvergötterung, die Bedeutung des Gesetzes (allerdings scheint W. Luther die regelmäßige Annahme eines tertius usus legis zu unterstellen). Zur Frage des liberum arbitrium finden sich hilfreiche Differenzierungen des Freiheitsbegriffs. Die anschließende gründliche Exegese zur tridentinischen und thomanischen Sündenlehre dient nicht zuletzt zur Profilierung des Sündenbegriffs der BKS und altlutherischen Orthodoxie (121 ff.) und damit auch der sehr differenzierten Erarbeitung der theologiegeschichtlichen Kategorien, die notwendig sind, um den alten evangelisch-katholischen Dissens in Sünden- und Rechtfertigungslehre zu verstehen. Für ein gegenwärtiges Verständnis ist es sodann unerlässlich, die Kritik der Erbsündenlehre in der Aufklärungstheologie zu beleuchten – im Kontext des Kantschen Anspruchs einer Vernunftreligion sowie einer Würdigung seiner tiefen Lehre vom radikalen Bösen. Auch Hegel und nicht zuletzt Ritschl werden von hier aus betrachtet; im Grunde gehört aber auch noch die Darstellung Schleiermachers (159 ff.) hierher. Eine Schlüsselstellung nimmt dann (neben dem Lutherteil) das Schellingkapitel ein, da in seiner Philosophie der Offenbarung die Aporien der Aufklärungstheologie paradigmatisch bearbeitet scheinen. Allerdings wird die grundlegende Idee, in Gott Exis­tenz und Grund zu unterscheiden, zwar verständlich dargestellt, kaum jedoch für das theologische Gespräch der Gegenwart vermittelt. Aber zu Recht wird die Fruchtbarkeit von Schellings Verständ nis des Zusammenhangs von Angst und Sündenfall herausgestellt– was zum einen zu einem schönen Kierkegaardkapitel führt (Angst als Erfahrung der Sinnlosigkeit einer gottlosen Welt und eines gottlosen Ich), zum anderen in Tillichs Lehre von Sünde als Entfremdung einführt.
Ausführlich wird hier der Übergang von Essenz und Existenz als Interpretation des Falls diskutiert, jedoch nicht die Wirklichkeit der Entfremdung in Unglaube, Hybris und Konkupiszenz. Auch Barth und Dalferth ist eine Studie gewidmet, wobei die stets mitgeführte Frage nach der Sündenerkenntnis durch Gesetz und Evangelium sehr umsichtig und jenseits plakativer Konfrontationen einer Vermittlung angenähert wird. Bei Dalferths Auffassung des Bösen und der Sünde wird der Gedanke hervorgehoben, dass das unbegreifliche Leid der Opfer zur Unbegreiflichkeit der Sünde beiträgt. Warum allerdings die Bestimmung der Sünde allein im Kontext von Rechtfertigung und Vergebung einen anthropologischen Horizont der Sündenlehre ausschließen soll, wird nicht ganz deutlich. Eine kritische Stellungnahme findet man nur implizit, indem im Folgenden Pannenbergs Sündenlehre als Gegenposition starkgemacht wird: Das Evangelium ist erst durch ein vorläufiges Sündenbewusstsein relevant, und die durch das Evangelium vollendete Sündenerkenntnis muss auch anthropologisch ausweisbar sein. Ist der Mensch als selbstzentriertes Wesen zu exzentrischer Selbsttranszendenz bestimmt, so bedeutet Sünde, die im Gottesverhältnis bestimmte Selbsttranszendenz durch unmittelbare Selbstbestimmung zu ersetzen.
Von den vier eher systematischen Kapiteln möchte ich nur die hamartiologische »Grundlegung jenseits von Pelagianismus und Manichäismus« hervorheben (272 ff.). Einen Überblick über hamartiologische Konzepte der letzten Jahrzehnte lässt W. im Streit zwischen Pröpper und Pannenberg aufgipfeln. Versteht der eine Sünde transzendentalanthropologisch als Freiheitsgeschehen, während der andere am Kerngehalt der Erbsündenlehre festhält, dass keine Freiheit zum Guten besteht (ja das Selbstverständnis in solcher Freiheit bereits der Struktur der Sünde unterliegt), so lässt sich das mit W. auf dem Hintergrund einer evangelisch-katholischen Grunddifferenz verstehen (284 f.). Umso hilfreicher sind die Be­griffsklärungen, die W. vorschlägt, um Missverständnissen im Ge­spräch aufzuhelfen – wobei er selber klar für eine transformierte Erbsündenlehre ohne Monogenismus plädiert. Eine Lösung des Problems, die Allgemeinheit der Verkehrung zu denken, findet sich allerdings nicht.
W. vereint auf sehr souveräne Weise die Knappheit einer Einführung mit der verlässlichen Exaktheit von theologie- und problemgeschichtlichen Untersuchungen. Der geistesgeschichtliche Horizont ist weit und eröffnet viele, auch ökumenische Perspektiven, ohne studentische Leser zu erdrücken. Das theologische Urteil ist durchweg umsichtig und vorsichtig. Systematisch konzeptionell sind die Bände weniger ergiebig – das entspricht ihrer Intention als Grundinformation.