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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

743–745

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Loader, William R. G

Titel/Untertitel:

Jesus’ Attitude towards the Law. A Study of the Gospels.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1997. X, 563 S. gr. 8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 97, Kart. 130,- DM. ISBN 3-16-146517-2.

Rezensent:

Friedrich Wilhelm Horn

Der Gegenstand dieser Untersuchung ist nicht die Haltung des historischen Jesus zur Tora, sondern die Darstellung von "Jesus’ attitude towards Torah as it is presented in the gospels" (1). Nur ein kurzer Ausblick, ein approach (518-524), ist dem historischen Jesus gewidmet. Das Interesse der Studie hingegen richtet sich ausschließlich auf die Evangelienredaktion. L. geht recht mechanisch vor. Nacheinander werden Mk (chapter 1), Mt (ch. 2), Lk (ch. 3), Logienquelle (ch. 4), Joh (ch. 5) und EvThom sowie die nichtkanonischen Evangelien (ch. 6) behandelt. In jedem Kapitel gibt L. zunächst einen bisweilen recht ausführlichen, aber doch instruktiven Überblick über die jüngere Forschung zum Thema (bei Lk fast 30 S.). Sodann folgt L. einer sequential analysis, die jedes Evangelium in its narrative sequence zum Thema Jesus und die Tora befragt und sich in der Durchführung an die gängigen Einteilungen der Evangelien anschließt. Mit dieser Vorgehensweise möchte L. gerade die häufig zu beobachtende Konzentration auf wenige Perikopen in jedem Evangelium umgehen, denn: "I believe that the issues entailed in the work as a whole will become more visible" (5). Das Kapitel zu dem LkEv ist ergänzt um einen Abschnitt "Perspectives from Acts" (360-379). Bezüglich der Logienquelle hält sich L. grundsätzlich an die Textrekonstruktionen und die Textfolge des International Q Project (390). Es schließen sich wiederum in jedem Kapitel conclusions an, nicht Zusammenfassungen, sondern Schlußfolgerungen, die jedes Evangelium bzw. die Logienquelle und die nichtkanonischen Evangelien vom Thema her spezifisch profilieren. Das Buch wird abgeschlossen durch ein Stellen-, Namen-, Sachregister (547-563) und eine Bibliographie (525-545), die nachdrücklich zeigt, daß L., Neutestamentler in Perth/Australia, die internationale Diskussion sorgfältig zur Kenntnis genommen hat. In den fast 1000 Anmerkungen und in den jeweiligen Abschnitten zu recent research läßt L. diese Literatur in Referaten ausführlich zur Sprache kommen und würdigt sie in fairer Weise.

Das Buch bewegt sich ganz auf der Ebene der Evangelienredaktion. Die Traditionsgeschichte der Texte, ihre mögliche Verankerung im Leben Jesu, aber auch ihr Hintergrund im Judentum etwa in zeitgenössischen halachischen Diskussionen treten demgegenüber deutlich zurück. Was ’,Tora’ heißt, wird relativ weit offen gelassen. Die Bandbreite geht von ,Gesetz des Mose im Pentateuch’ bis ,jüdische Kultur und Religion’ (1 f.). Die Rekonstruktion der Stellung Jesu zur Tora in den Evangelien wiederum hält sich vornehmlich, wie schon der Aufbau des Buches nahelegt, an synchrone Textbeobachtungen. Die exegetische Arbeit an einzelnen Textstellen kommt demgegen-über merklich zu kurz. Der griechische Text des Novum Testamentum Graece ist wohl vorausgesetzt, auf ihn wird aber nur gelegentlich expressis verbis Bezug genommen. Dies stellt eine empfindliche Schwäche des Buches dar. Weitere Quellen sind gar nicht explizit verzeichnet worden.

Für jedes Evangelium entwirft L. ein klares Profil. Mk "has crossed the line from inclusive antitheses to exclusive antitheses" (136). Neben der christologischen Autorität verweist L. zur Erklärung dieses Sachverhalts auch auf das Umfeld der paganen, rationalisierenden und ethisierenden Kultkritik, die in Jesu Stellung zu Ritual- bzw. Zeremonialgeboten und zum Tempel eingeflossen sei (127). Die inklusive Sicht der Tora wird nach L. eindeutig von der Logienquelle vertreten, was durch Lk 16,16 bis 17par belegt wird (428). Wie bringen Mt und Lk als Seitenreferenten diese sich ausschließenden Perspektiven in ihren Evangelien zusammen? Der Jesus des Mt "has a positive stance towards the whole of Torah, including its tradition of interpretation, and primarily attacks abuses of the latter and false priorities" (270). Mt folgt hierin also grundsätzlich der Logienquelle und nicht Mk (511). Freilich gesteht L. zu, daß diese ungebrochene Gesetzesobservanz vom Liebesgebot her verstanden wird und ihm etwa Zeremonial- und Ritualgebote subordiniert werden, wenn auch nicht aufgehoben (271). L. betont auch für Mt, daß es die Autorität des Christus ist, welche die Tora in Kraft läßt, selbst wenn Mt 5,18-19 zeige, daß die Gesetzesforderung nicht in "literal fulfilment, quantitatively, but, qualitatively" (179) bestehe. Da diese Verse einerseits als Ausdruck eines "clear statement about Jesus’ attitude towards the Law" verstanden werden, andererseits aber im folgenden Satz sogleich "some tensions between 5:18 and 5:19" angezeigt werden, entscheidet der weitere Kontext im o. g. Sinn über die Auslegung (172). Lk hingegen zeigt, daß die Verkündigung Jesu in keiner Weise der Tora entgegensteht. Die Umgehung der Speisegesetzgebung und der Beschneidung in der apostolischen Mission unter den Heiden wird im lk Doppelwerk nicht als Bruch mit der Tora, sondern als von Gott eröffnete Modifikation verstanden (376). Die Darstellung im Joh bewegt sich nach L. wieder in den Bahnen des Mk, verschärft die dort angezeigte Stellung Jesu zur Tora jedoch. Die hohe Christologie des Joh wird als Schlüssel zum Gesetzesverständnis in Anspruch genommen. L. erkennt eine radikale Diskontinuität. Christliche Identität ist ausschließlich durch Christusgemeinschaft, die auf jeglichen Gesetzesgehorsam und Gemeinschaft mit Israel verzichtet, vermittelt (515). Die Darstellung zu dem EvThom und den nichtkanonischen Evangelien ist im Vergleich mit den vorangegangenen Kapiteln sehr knapp (492-508), aber doch als Ausblick hilfreich. Zudem werden hier kurz angebliche Jesusworte behandelt (z. B. POx 840, der D-Text von Lk 6,5, pap. Eg. 2).

Obwohl nur als "approach" angekündigt, "Jesus’ Attitude towards the Law behind the Gospels" zu erfassen, runden die abschließenden Erwägungen die sorgsame Darstellung jedes Evangeliums mit einer klaren These ab, welche die Unterschiedlichkeit der Positionen der einzelnen Evangelien zu erklären versucht. L. erkennt Mk als verantwortlich, eine ursprüngliche inklusive Stellung Jesu zur Tora (vertreten durch Q, Mt und Lk, aber auch noch in einzelnen Traditionen des Mk) zu einer exklusiven umgearbeitet zu haben. "The shift seems to have been from inclusive antithesis to exclusive antithesis" (518). Für Jesus reklamiert L. eine Überordnung der ethischen Forderung über das Ritual- und Zeremonialgesetz, ohne letzteres aufzuheben. Neben dem starken moralischen Einfluß Johannes des Täufers auf Jesus vermutet L. gleichfalls eine Abhängigkeit von populären, kultkritischen Auffassungen (522). Wirkliche Gesetzeskritik Jesu wird von L. verneint, auch in Mk 7,15 (Speisegesetzgebung) und in der Frage der Ehescheidung und Wiederheirat, da Jesus in jedem Fall nicht von einem kultischen, sondern von einem ethischen Gesichtspunkt aus argumentiert.