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Ausgabe:

Januar/2015

Spalte:

109–111

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Nigel

Titel/Untertitel:

Levinas and Theology

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2013. 208 S. = Philosophy and Theology. Kart. US$ 24,95. ISBN 978-0-567-24867-1.

Rezensent:

Christina M. Gschwandtner

Dies Buch ist Teil einer Reihe, die wichtige Philosophen der Ge-genwart vorstellt und mit der Theologie ins Gespräch bringt. Hier gesellt sich zu Adorno, Badiou, Derrida, Foucault, Girard, Habermas, Hegel, Kant, Kierkegaard, Nietzsche, Vattimo und Wittgenstein nun auch der litauisch-französische Denker Emmanuel Lé-vinas, eingeführt und erklärt von Nigel Zimmermann. Z. sucht besonders Lévinas’ möglichen Beitrag zur Theologie herauszu-stellen und spricht auch mehrere Kontroversen (wie z. B. Lévinas’ Unterstützung des Staates Israel) an. Z.s Offenheit gegenüber solchen Fragen ist zu begrüßen und das theologische Engagement ist definitiv ausgeführt. Lévinas’ eigenes Gedankengut kommt dabei allerdings leider oft zu kurz, und wem es nicht bereits be­kannt ist, wird diesem theologischen Engagement nur schwer folgen können. Eine wirkliche Einführung in Lévinas’ Philosophie ist dieses Buch nicht, da wichtige Dimensionen seiner Philosophie ausgelassen oder zumindest stark unterbetont werden.
Das erste Kapitel gibt eine kurze Einführung in Lévinas’ Leben (leider mit einigen Fehlern und Ungereimtheiten). Das zweite Kapitel ist angeblich eine Zusammenfassung von Lévinas’ zwei Hauptwerken Totalité et infini und Autrement qu’être ou au-delà de l’essence. Diese Bücher sind allerdings nur sehr kurz zusammengefasst und viele wichtige Themen (wie die Substitution, das Verhältnis zwischen Sagen & Gesagtem, die Geisel, Verantwortung sogar für die Verantwortung des Anderen, der Unterschied zwischen Ethik und Justiz oder Gerechtigkeit, der »Dritte« und vieles mehr) sind völlig ausgelassen. Das bedeutet, dass dem Leser oft in folgenden Kapiteln die Kenntnis fehlt, um der theologischen Anwendung Z.s wirklich zu folgen. Der größere Teil des Kapitels ist nicht Lévinas, sondern der Theologie Jean-Luc Marions gewidmet, der auch sonst in dem Buch eine große Rolle spielt. Marions Identifikation mit der Philosophie Lévinas’ wird hier vorausgesetzt und dann als Schlüssel für eine theologische Interpretation Lévinas’ verwendet. Dies hat zur Folge, dass Lévinas’ Denken extrem »verchristlicht« wird und viel theologischer wirkt, als es tatsächlich ist.
Ob Marion wirklich so nahtlos mit Lévinas identifiziert werden kann, ist eine weitere Frage. Obwohl er zugegebenermaßen von Lévinas maßgeblich beeinflusst wurde, wendet er sich oft explizit gegen Lévinas’ Fokus auf die Ethik und den Anderen. Und was hier über Lévinas ausgesagt wird, nämlich, dass er nicht versuche, die Frage des Seins oder die Metaphysik wirklich zu überwinden, trifft vielleicht noch auf Lévinas zu – obwohl auch das fraglich ist –, aber auf keinen Fall auf Marion. Dieser Anschein wird jedoch erweckt durch die enge Identifikation der zwei Denker in diesem Buch. – Lévinas wird vor allem als »Provokation« für die Theologie interpretiert, indem er eine neue Art des Denkens einführe, die uns da­zu anleite, die Andersheit des Anderen wirklich ernst zu nehmen.
Im dritten Kapitel wird kurz angedeutet, dass Lévinas sein Werk nicht theologisch interpretiert, obwohl viel deutlicher gemacht werden müsste, wie streng Lévinas seine Philosophie von seinen jüdischen Schriften trennte. Dies ist ein wichtiges Hindernis, das hier nicht ernst genug genommen wird. Das Kapitel konzentriert sich wieder teilweise auf Marions Anwendung der Phänomenologie. Lévinas’ Ethik wird kurz entwickelt, aber der Zusammenhang mit dem, was das vorige Kapitel über seine Philosophie sagt, ist nicht deutlich. Lévinas’ Denken über das »Angesicht« des Anderen wird hier zu einem »telos«, der uns zu einem Ethos der Jüngerschaft und Folge Jesu aufruft. Paulus’ Predigt in Athen dient als ein weiteres Beispiel einer Einladung zu solch einem Ethos des Austausches. Lévinas’ Philosophie wird hauptsächlich als Aufforderung zu offenem Dialog gedeutet.
Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Frage nach Gott als Kernstück der Theologie. Obwohl Z. zugibt, dass Lévinas eine direkte Beziehung mit Gott nicht für möglich hält, wird diese Be­hauptung in der Ausführung zumeist beiseite gestellt. Harts höchst fragwürdige Kritik an Lévinas z. B. wird kritiklos übernommen (77). Milbanks angebliche »Antwort« auf Lévinas (79) lässt auch viel zu wünschen übrig, was zumindest angedeutet werden sollte. Z. spricht hier von Theologie als Gebet und verweist auch kurz auf Lévinas’ talmudische Schriften. Da dies jedoch vorher nicht erklärt wurde, ist dieser Zusammenhang (und der Zusammenhang dieser Schriften mit Lévinas’ Philosophie) nur schwierig zu verstehen.
Im fünften Kapitel benutzt Z. einen Ausdruck Lévinas’, der vom »kleinen Glauben« der Juden spricht, um Lévinas’ Einstellung zu Israel und besonders seine Identifikation von jüdischem Gedankengut und jüdischem Staat zu kritisieren. Dies ist ein schwieriges Thema in Lévinas-Studien und es ist mutig, es anzusprechen, aber es ist nicht ganz klar, warum es unbedingt in einer kurzen Einführung einen solch großen Platz finden sollte. Es ist nicht eindeutig, dass Lévinas’ kurze politische Aussagen in wenigen Interviews so viel wichtiger sind als Themen, denen er seitenlange Abhandlungen widmet, die aber in dieser Einführung kaum erwähnt werden.
Im letzten Kapitel wendet sich Z. der Frage zu, wie wir besonders nach dem Trauma des Holocausts Gott noch wieder ins Spiel bringen können. Er behauptet, dass Lévinas solches Denken wieder möglich macht, aber kritisiert ihn besonders dafür, dass er nicht mehr über »mediation« [Vermittlung] oder »participation« [Teilnahme] an Gott spricht und sich nicht genügend mit der christlichen Weise, solche Worte zu verwenden, engagiert. Aber das ist eine sehr merkwürdige Anklage: Warum um alles in der Welt sollte der Jude Lévinas in seiner (zumindest in der Theorie agnostischen) Philosophie über eine christliche Verbindung mit Gott reden? Lévinas’ Kritik an der christlichen Onto-theologie wird hier auch nicht wirklich ernst genug genommen. Z. behauptet auch mehrmals, dass in Lévinas’ Ethik der Andere nicht wirklich »verleiblicht« wird (z. B. »absence of incarnate life« [26]; »the other is rendered disincarnate« [154]). Dies ist eine fragwürdige (wenn auch nicht völlig neue) Anklage, die ausführlicher zu beweisen wäre. Lévinas’ Philosophie wird schlussendlich als eine »Gabe« an die Theologie gelobt, die uns verhilft, über die ethische Dimension der Theologie nachzudenken.
Das Buch ist unübersichtlich und die Organisation der Themen lässt viel zu wünschen übrig. Es ist nicht erkenntlich, wie ein Kapitel mit dem vorigen oder folgenden zusammenhängt. Z. springt viel zwischen Lévinas’ Texten (wenn sie überhaupt beleuchtet werden; die meisten philosophischen Texte kommen kaum zu Wort) und der uninformierte Leser wird hier kaum durchblicken, was Lévinas nun eigentlich sagt oder behauptet. Das ist schade, denn Lévinas’ Philosophie des Anderen ist vielleicht eines der wichtigsten Ereignisse des 20. Jh.s.