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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

740 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Karrer, Martin

Titel/Untertitel:

Jesus Christus im Neuen Testament.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998. 380 S. 8 = Grund-risse zum Neuen Testament. Das Neue Testament Deutsch. Ergänzungsreihe, 11. Kart. DM 68,-. ISBN 3-525-51380-1.

Rezensent:

Petr Pokorny

Trotz des explosiven Wachstums der neutestamentlichen Sekundärliteratur sind die zusammenfassenden Darstellungen der theologischen Grundfragen relativ selten. Das hängt mit einer gewissen Angst vor der Theologie zusammen, die für die Forschung in den letzten drei Jahrzehnten bezeichnend war, und zwar sowohl für die neoliberale als auch für die traditionell ausgerichtete. Die Theologie ist gefährlich geworden. Um so erfreulicher ist, daß der Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in der Ergänzungsreihe zu NTD eine Christologie eingeplant hat. K. hat sie gewissenhaft ausgeführt: keine leichte Aufgabe, denn die bisherigen Versuche divergieren in methodischer Hinsicht erheblich.

Die in der Nachkriegszeit üblich gewordene Darstellung nach den messianischen Hoheitstiteln (O. Cullmann, V. Taylor, F. Hahn, W. Kramer u. aa.), hat zwar unwiderrufliche neue Einsichten gebracht, das systemische Funktionieren der christologischen Entwürfe konnte sie allerdings nur wenig beleuchten, denn die Darstellung der Christologie(n) aufgrund der Titel war zu fragmentarisch. Die Bearbeitung der Christologie des Neuen Testaments ist dann vor allem in die Hände der systematischen Theologen gekommen (z. B. E. Schillebeeckx), die den exegetischen und historischen Befund mit den Aussagen der dogmatischen Tradition konfrontiert haben (so auch z. B. R. E. Brown).

K. hat eine synthetische Darstellung gewählt, welche sich an den Quellen orientiert, und zwar z. T. in ihrer historischen Reihenfolge (d. h. mit dem paulinischen Zeugnis von den ältesten Bekenntnisformeln beginnend), aber doch im Grunde thematisch strukturiert ist. Zum Beispiel werdern im Zusammenhang mit dem irdischen Jesus auch die nachösterlichen Aussagen über die Sendung des Sohnes (die Sendungsformeln) behandelt.

Nach dem ersten Kapitel, in dem sehr knapp die theologischen Voraussetzungen und die Methode behandelt werden (13-22), folgt die Darstellung der ältesten Auferstehungszeugnisse (23-71). Treffend wird die zweifache Grenze charakterisiert, die die kanonischen Zeugnisse nicht überschreiten: Das Auferstehungsereignis selbst wird nicht beschrieben und Fremdzeugen werden nicht beansprucht. Die Auferstehung Jesu ist also nicht historisch verifizierbar und muß doch als das Grunddatum betrachtet werden (25). K. weicht also den theologischen Fragen nicht aus. - Das dritte Kapitel ist umfangreich und behandelt die Aussagen vom stellvertretenden Leiden Jesu (72-173). Das vierte Kapitel ist Jesu irdischer Geschichte und den durch sie inspirierten Traditionen gewidmet (174-334). Zuletzt wird das Verhältnis der nachösterlichen Christologie zu den Erwartungen und messianischen Vorstellungen der jüdischen Bibel untersucht (der erste Teil des fünften Kapitels; 335-339). Eine Zusammenfassung der christologischen Attribute und Vorstellungen sieht K. in dem Kyrios-Titel, dem der letzte Abschnitt gewidmet ist (der zweite Teil des fünften Kapitels; 340-349). Eine Übersicht der Attribute und Benennungen Jesu (352-353), eine Bibliographie der bedeutendsten Monographien (die Literatur zu den Einzelfragen wird je am Anfang des Kapitels und am Anfang einiger Abschnitte angeführt) und gute Register ergänzen das Buch.

K. ist es wirklich gelungen, auf einer begrenzten Fläche mehr Material wiederzugeben und mehr Probleme zu behandeln, als die früheren Autoren ähnlicher Gesamtdarstellungen geboten haben. Sein gut verständlicher Stil rundet die Güte des Werkes ab. Und doch hat die von K. benutzte Darstellungsweise auch ihre Nachteile.

Die thematischen Einheiten sind mehr oder weniger mit Hilfe der dogmatischen Tradition gestaltet und wenn auch die vielen neuen Einsichten, die aus der Exegese, aus der Geschichte oder aus der Religionsphänomenologie stammen, für den Leser im einzelnen nützlich sind, funktionieren sie doch als Untermalung des klassischen Konzepts. Wenn, wie schon erwähnt, in einem Kapitel die Aussagen behandelt werden, die sich auf die Inkarnation Gottes in Jesus Christus beziehen und gleichzeitig die Traditionen, die sich auf sein iridisches Leben beziehen, wie die Verkündigung der Gottesherrschaft, erweckt das bei dem gebildeten Leser (das NTD ist keineswegs nur für die Pfarrer bestimmt) den Eindruck, daß die theologische Reflexion der Ostererfahrungen, die einen Neuanfang bedeutete, ein organisches Ganzes mit der "Schattierung" der Jesusworte in den einzelnen synoptischen Evangelien bildet. Der Leser gewinnt den Eindruck einer relativ harmonischen Entfaltung der Christologie, so als würden die Anfänge der christologischen Reflexion nicht als ein Gespräch, ja als ein Streit der christologischen Entwürfe erkennbar, der durch gegenseitige Bekämpfung, Umdeutung oder Integration gekennzeichnet war, dessen letzte Gestalt die Kanonisierung festschrieb.

K. thematisiert diese Fragen nur insofern sie ganz massiv an der Oberfläche des Kanons sichtbar sind (Paulus - Jakobusbrief, die verschiedenen Darstellungen der Erscheinungen des Auferstandenen), während die Spannungen zwischen der Auferstehungsverkündigung, die Paulus vorgegeben war, und seiner Kreuzestheologie, die Spannung zwischen Paulus und der Wundertradition, die Spannung zwischen der enthusiastischen Tradition der direkten Wirkung des lebendigen Christus und der festen Bindung der Verkündigung an die narrativ dargestellte irdische Geschichte Jesu, die Spannung zwischen der Stellvertretungs-Christologie und ihrer lukanischen Neuinterpretationen nur gelegentlich notiert, aber kaum konsequent reflektiert werden.

K. hat zu Recht die Auseinandersetzung mit einigen ephemeren modischen Meinungen vermieden, die leider auch die Arbeit des amerikanischen Jesus-Seminars beeinflußt haben. Allerdings ist z. B. die spiritualistische Erhöhungs-Christologie des Thomasevangeliums oder des Apokryphon des Johannes eine so bedeutende Tradition, daß es auch bei ihrer relativen Spätdatierung lohnend wäre, diese bald gnostisierte Strömung mit den anderen Christologien programmatisch zu konfrontieren. Dennoch hat K. im Rahmen der von ihm gewählten Methode eine Arbeit geleistet, für welche ihm unser Dank gebührt.