Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2015

Spalte:

78–80

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Dillard, Peter S.

Titel/Untertitel:

A Way into Scholasticism. A Companion to St. Bonaventure’s The Soul’s Journey into God.

Verlag:

Cambridge: James Clarke 2012. XVI, 212 S. Kart. £ 17,75. ISBN 978-0-227-67990-6.

Rezensent:

Reinhold Rieger

Ein Kommentar zum Itinerarum mentis in Deum, einer faszinierenden Schrift Bonaventuras, wäre ein wirkliches Desiderat der theologischen Mediävistik. Leider kann dieses nicht durch die Arbeit von Peter S. Dillard erfüllt werden, die vorgibt, ein Begleiter (companion) zu Bonaventuras Schrift zu sein, und die einen critical commentary (X) bieten möchte, aber zugleich einräumt, kein Beitrag zur Bonaventura-Forschung sein zu wollen, weshalb D. auch keine Forschungsliteratur berücksichtigt. Grund dafür ist sein Anliegen, aus Anlass der Lektüre von Bonaventura eine gegenwärtige scho-lastische philosophische Theologie zu entwickeln und zu betreiben. Deshalb richtet er sich zuerst an römisch-katholische Geist-liche und Laien, die erfahren möchten, wie eine scholastische philosophische Theologie ihren Glauben erhellen könne, und erst in zweiter Linie an akatholische, nicht-christliche, säkulare Leser.
D. beruft sich für seine Methode selbst auf die Scholastik und ihre Kommentare, die für ihn vorbildlich seien. Er sieht in Bonaventuras Schrift ein extremely sophisticated speculative system ad­dressing a number of fundamental questions in epistemology, metaphysics, the philosophy of mind, dogmatic theology, and contempla-tive mysticism (X). Er behandelt sie als Steinbruch für systematische Fragestellungen und die Diskussion von Lösungsansätzen. Das Interesse D.s ist demnach kein historisch-hermeneutisches, sondern ein systematisch-aktualisierendes, also letztlich bewertendes Interesse. Es geht ihm nicht um die historischen Hintergründe, sprachlichen, gedanklichen, spirituellen Voraussetzungen der Schrift, er benutzt sie vielmehr als Anlass, um in seinen Augen zeitlose oder moderne scholastische Fragestellungen mit ebensolchen scholastischen Methoden zu behandeln. Deshalb sieht er in seiner Kommentierung von Bonaventuras Schrift einen Way into Scholas­ticism, in eine gegenwärtige Scholastik, eine Art von Neo-Neuscholastik. Kann er damit Bonaventura gerecht werden? Er rechtfertigt sein Vorgehen damit, Bonaventura habe nicht nur für seine Zeitgenossen, sondern für alle Zeiten, auch für heute, geschrieben. Aber erlaubt das einen Verzicht auf historische Forschung und erfordert nicht vielmehr das Gegenteil? Setzt nicht ein systematisches Be­werten das historische Verstehen voraus? Ist die hermeneutische Voraussetzung, philosophische Theologie könne nur der beurteil en, der sie selbst betreibe, berechtigt und nicht vielmehr eine Immunisierungsstrategie, die vor externer Kritik schützen soll? Die Schrift Bonaventuras auf spekulative philosophische Theologie zu reduzieren geht an dessen ausdrücklicher Absicht, mehr eine Übung der Affekte als eine Bildung des Geistes (magis exercitatio affectus quam eruditio intellectus) zu bieten und an seiner Aufforderung, Gnade, nicht Lehre zu suchen (interroga gratiam, non doctrinam), vorbei. Bonaventuras Traktat ist kein spekulativer Text, sondern Ausdruck einer Theologie der Erfahrung, eine Anleitung zur Meditation, zuerst in der Selbsterkenntnis, also eher mystisch als scholastisch. Bonaventura lässt seinen Weg mit dem Gebet beginnen, das zum heiligen Leben führe, aus dem das Streben nach Wahrheit erwachse. Dieser praktische Grundzug der Schrift geht im vorliegenden Kommentar völlig unter. Er vollzieht letztlich eine neo-neuscholastische Reduktion und Umdeutung Bonaventuras, die neu angeeignete Methoden und Voraussetzungen der dominikanischen, besonders thomistischen Scholastik auf einen Text franziskanischer Theologie und Frömmigkeit anwendet. Dazu gehören die unzureichende Unterscheidung zwischen faith und belief zugunsten eines kognitiven Glaubensverständnisses, ein informationstheoretischer Offenbarungsbegriff und eine unreflektierte Voraussetzung der kognitiv verstandenen kirchlichen Lehre als christlicher Wahrheit. Mit dieser Methode wird der Reichtum der Ausführungen Bonaventuras nicht ausgeschöpft, es wird eher davon abgelenkt auf einen metaphysisch-spekulativen Ex­trakt. So wird Bonaventuras Nachweis der Entsprechung von irdischen Notwendigkeiten mit der dreifachen göttlichen Notwen-digkeit zuerst als philosophischer Beweis der Trinität verstanden, dann aber der Offenbarungscharakter der Trinitätslehre geltend gemacht, den Bonaventura akzeptiert habe. Eine Abweichung von der scholastischen Methode erlaubt sich der Verfasser mit der Erfindung einer Gleichniserzählung, die zur epistemologischen Klärung der Rechtfertigung christlicher Glaubenswahrheiten dienen soll. An anderer Stelle wird die moderne Sprechakttheorie be­müht, um die Möglichkeit einer göttlichen Offenbarung zu untermauern. Am Ende fragt sich D., inwiefern sein Kommentar, der zu einem besseren Verständnis der scholastischen philosophischen Theologie führen soll und doppelt von der spirituellen Reise zu Gott entfernt ist, einen spirituellen Aspekt habe. Gibt es eine Spiritualität der intellektuellen Anstrengung?
D. folgt den Kapiteln des Textes, ausgehend vom Prolog bis zur siebten Stufe des Wegs. Obwohl er im Prolog Bonaventuras wahrnimmt, dass seine Gotteserkenntnis nicht rein rational, sondern auch emotional-affektiv ist, und er Bonaventuras Methode von einem Rationalismus vom Typ Descartes’ abgrenzt, unterstellt er ihm, es gehe ihm um die rationale Begründung der durch Schrift und Tradition vorgegebenen Glaubenswahrheiten. So wolle er im ersten Kapitel nachweisen, dass Gott als das erste Prinzip existiere. In diesem Zusammenhang prägt D. seinen ersten technischen Terminus, der zur Analyse des Arguments bei Bonaventura dienen soll: proof by exclusion. Diesen und andere neugebildete Termini, wie argument by subtraction, Non-Nullity Principle, Possibility Principle, Plenum Principle, Proof by constructive elimination, erklärt er zusammen mit anderen, gängigen Fachausdrücken im Anhang. Angeregt durch die scholastische Methode diskutiert D. Einwände gegen die rekonstruierte oder konstruierte metaphysische Spekulation Bonaventuras. Meist beansprucht er, sie widerlegen zu können, manchmal aber stellt er fest, dass Bonaventuras Argumentation unzureichend sei. Am Ende fast jeden Kapitels formuliert er weiterführende Fragen, die an die Dubia spätscholastischer Kommentare erinnern.