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Ausgabe:

Januar/2015

Spalte:

77–78

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Braun, Karl-Heinz, Herweg, Mathias, Hubert, Hans W., Schneider, Joachim, u. Thomas Zotz [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Konstanzer Konzil. Essays. 1414–1418. Weltereignis des Mittelalters

Verlag:

Stuttgart: Konrad Theiss Verlag 2013. 247 S. m. 60 Abb. Geb. EUR 24,95. ISBN 978-3-8062-2849-6.

Rezensent:

Josef Wohlmuth

Im Vorwort der Herausgeber werden Entstehung und Zielsetzung sowie die inhaltlichen Schwerpunkte des stattlichen Bandes kurz und eindrücklich vorgestellt. Er ist auf Initiative des Badischen Landesmuseums Karlsruhe im Zusammenhang mit der großen Ausstellung zum Jubiläum des Konzils von Konstanz (1414/18) entstanden und versammelt in sich eine Reihe wissenschaftlicher Essays von namhaften Autoren »zu zentralen Anlässen, Begleitumständen, Teilnehmern und Fragen des Konzils wie auch zum komplexen sozialen, kulturellen und erinnerungsgeschichtlichen Umfeld des spätmittelalterlichen Großereignisses« (5). Hinter dem Untertitel »Essays« (Versuche) verbergen sich Einzelbeiträge von hoher wissenschaftlicher Prägnanz.
Das Werk gliedert sich in fünf Kapitel: I Überlieferung und Wirkung. Organisation und Ablauf (11–38); II Protagonisten und Teilnehmer (39–74); III Gegenstände und Beschlüsse: Causa unionis, Causa reformationis, Causa fidei (75–136); IV Stadt und Region (137–168); V Kunst und Architektur (169–223). Der Anhang (224–247) enthält ein Abkürzungs-, Quellen- und Literaturverzeichnis, einen Bildnachweis und das Autorenverzeichnis.
Schon ein erster Eindruck zeigt, dass die Charakterisierung des Konstanzer Konzils als »Weltereignis des Mittelalters« (Titelseite 3) keineswegs übertrieben ist, als wolle sich hier eine Region von einst oder von heute künstlich ins Szene setzen. Vielmehr entwerfen die Einzelbeiträge in den fünf Kapiteln trotz ihrer essayistischen Kürze ein Gesamtpanorama von großer Eindrücklichkeit. Die theologischen Problemfelder werden vor allem im dritten Kapitel behandelt, auf das sich diese Rezension konzentriert. Gleichwohl empfehlen sich für die Theologie auch die übrigen Beiträge der Lektüre, zeigt sich darin doch gerade die innere Verwobenheit der theologischen Probleme mit der sozialen, politischen und kulturellen (künstlerischen) Vielfalt des 15. Jh.s. Dies gilt zumal für die Protagonisten wie Johannes XXIII., König Sigismund oder (auf nochmals andere Weise) Oswald von Wolkenstein im zweiten Kapitel oder die Bedeutung des Konzilschronisten Ulrich Richental im ersten Kapitel. Besonders über Johannes XXIII. liest man mit Erstaunen, mit welcher Fehleinschätzung er, der das Konzil einberufen hatte, nach Konstanz gekommen ist, um die Stadt bald nach seiner Ankunft fluchtartig zu verlassen ( A. Frenken, 47–51). Die Profile der drei rivalisierenden Päpste werden insgesamt sehr überzeugend herausgearbeitet (vgl. 47 ff.116 ff.121 ff.). Die Reform, die in Konstanz schließlich mit der Wahl Martins V. Gestalt annahm (vgl. B. Studt, 126–131), hing eng mit der causa unionis und der causa fidei zusammen, in denen sich bereits die Neuzeit ankündigte. Wer sich mit den Quellen des Konstanzer Konzils im Sinn einer kritischen Aufarbeitung des vorhandenen (oder noch zu entdeckenden [?]) Materials befasst, wird über J. Miethkes Urteil nicht erstaunt sein: »Allein schon die Präsentation der Beschlüsse des Konzils in kritischer Text­edition ist bisher noch nicht eigentlich gelungen […]« (14).
Mit großer Behutsamkeit und ohne bis heute grassierende Polemik ordnet J. Miethke den »Konziliarismus« in das Konzil von Konstanz ein (77–81), dessen Höhepunkt erst im Konzil von Basel erreicht wurde. Konstanz stand vor dem einmalig schwierigen Problem, die drei Päpste ihres Amtes zu entheben, ohne noch größere Schismen heraufzubeschwören. Deshalb sind die beiden Konstanzer Dekrete Haec sancta und Frequens, die für die konziliare Kompetenz die doktrinale Grundlage bildeten, in ihrer ekklesialen Valenz bis heute umstritten. Mit Recht wird die Spannung zu den späteren Beschlüssen des Ersten Vatikanums herausgestellt (K.–H. Braun, 82–86, auf S. 85 mit Verweis auf H. Müller). Die Frage nach kirchlicher Höchstkompetenz oder Gewaltenteilung dürfte für die Zukunft eher noch wichtiger werden, zumal im »Konziliarismus« jene »demokratischen« Traditionen wirksam sind, die bis in die kirchliche Frühzeit zurückreichen. Selbst wenn das Dekret Frequens bezüglich der regelmäßigen Abhaltung von Konzilien nur eine Art »Notstandsgesetz« angezeigt hätte, wäre eine global agierende Christenheit gut beraten, über die Häufigkeit und Struktur von Konzilien noch ernsthafter nachzudenken.
In der causa fidei Jan Hus (vgl. P. Hilsch, 87–91) hat sich die Frage kirchlicher Verfügungsgewalt über einen Dissidenten, der seinem Gewissen folgen zu müssen glaubte, als Problem erwiesen, das bis heute alle Gemeinwesen ebenso betrifft wie die Kirche. Insofern verdienen die Theologie des Jan Hus (P. Hilsch, 87–91), der Umgang des Konstanzer Konzils mit Hus und seinen Anhängern (P. Soukup, 92–96) sowie die hussitische Propaganda gegen das Konzil (K. Hruza, 97–101) und die Nachwirkungen eines bestimmten Hus-Bildes im 16. Jh. (P. Hilsch, 102–105) besondere Beachtung. Die Kelchkommunion war ein Streitpunkt (vgl. Soukup, 95), den die Reformation des 16. Jh.s als unerledigt erneut aufgreifen wird. (In der römischen Kirche wurde er erst im Zweiten Vatikanum entschärft; die Re-habilitierung von Jan Hus gelang dort leider noch nicht.) Die Verhandlungen in Konstanz über Jan Hus und dessen Verurteilung durch das Konzil am 6. Juli 1415 fasst P. Hilsch so zusammen: »Im dort verkündeten Urteil wurde Hus vorgeworfen, hartnäckig Irrtümer und Häresien des Wyclif verteidigt und gepredigt zu haben, ebenso seine hartnäckige Verachtung des Kirchenbanns, die Appellation an Christus ohne Beachtung der kirchlichen Mittlerfunk- tion und die Verführung des christlichen Volkes. Andere, wohl wesentliche Gründe seiner Verurteilung wurden offiziell nicht genannt: sein öffentlicher Angriff auf Macht und Reichtum der Kirche und ihrer Mitglieder in der kirchlichen Hierarchie.« (91) Hier könnte man bemerken, dass die Berufung auf die Christusunmittelbarkeit auch vom Konzil von Konstanz selbst beansprucht wurde (vgl. die Formel: potestatem a Christo immediate habet in Sessio V). Beachtenswert ist immerhin, dass der Widerspruch gegen Hus von seinen böhmischen Widersachern ausgegangen war (91). Gar mancher Besucher, der während des Jubiläums nach Konstanz kommen wird, dürfte ratlos vor dem Hus-Denkmal stehen, das – ähnlich wie das Denkmal in Prag (104, Abb. 2) – in Konstanz zu besichtigen ist. Ein weiteres Problem betrifft das Verhältnis von Juden und Christen, das im 15. Jh. in und um Konstanz – gottlob! – recht friedlich erscheint (vgl. D. Weltecke, Juden im Bodenseeraum, 157–163). Aber schon im Konzil von Basel (vgl. 19. Sitzung 1434) zeigte sich eine schärfere Auseinandersetzung an.
In dem Band, der als »wissenschaftliche Ergänzung zum Katalog der Landesausstellung« (5) gedacht ist, liegt ein Werk vor, das nach Inhalt und Bildausstattung seinesgleichen sucht. Ihm ist eine große Leserschaft zu wünschen.