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Ausgabe:

Januar/2015

Spalte:

67–69

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Marguerat, Daniel

Titel/Untertitel:

Paul in Acts and Paul in His Letters

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. IX, 295 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 310. Lw. EUR 119,00. ISBN 978-3-16-151962-8.

Rezensent:

Friedrich W. Horn

In diesem Buch sind 13 Aufsätze des bereits seit 2008 emeritierten Neutestamentlers Daniel Marguerat (Université de Lausanne) ab­gedruckt, die aus den Jahren 2003–2013 stammen, darunter befindet sich ein bisher noch nicht publizierter Beitrag. Alle Texte wurden anlässlich dieser Publikation aus der französischen bzw. italienischen Sprache in die englische Sprache übersetzt und sie sind dadurch einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden, auch wenn die Hauptthesen M.s den Fachkollegen bekannt waren. Der an erster Stelle abgedruckte, seinerzeit als Presidential Address auf der SNTS-Konferenz in Sibiu im Jahr 2007 vorgelegte Aufsatz Paul after Paul: A (Hi)story of Recep-tion enthält das Programm der Paulus-Interpretation.
M. unterscheidet drei Formen der Rezeption. Ich nenne die originalsprachliche Typologie des französischsprachigen Aufsatzes (NTS 54 [2008], 317–337), um nichts zu verfälschen: a) documen-taire; b) biographique; c) doctoral. Die Erste kommt in seinen Briefen zum Ausdruck, in deren Weitergabe, Vervielfältigung und Zusammenstellung zu einer Sammlung, die wiederum Teil des neutestamentlichen Kanons wurde, ja wesentlicher Motor der Ka­nonbildung war. Die zweite Form interessiert sich für den Kirchenmann und Missionar Paulus und geht auf eine Hagiographie zu, zunächst durch Lukas in der Apostelgeschichte, später dann durch die Apostelakten. Die dritte Form ist dem Lehrer Paulus verpflichtet. Pseudepigraphische Briefe (M. erwähnt vornehmlich den Ephe serbrief und die Pastoralbriefe) werden im Namen des Paulus geschrieben, man imitiert seine Sprache, lehnt sich an seine Theologie und Ethik an und bearbeitet diese für die eigene Zeit.
M. tritt nun als Anwalt dafür auf, diese drei Rezeptionen je für sich zu würdigen und vor allem nicht die biographische Form (Apostelgeschichte) gegenüber der dokumentarischen (Briefe des Paulus) abzuwerten, wie es zeitweise in der vergangenen Forschung ganz selbstverständlich war. Deswegen steht dieser Aufsatz programmatisch an erster Stelle in dem Buch (V). Aufgenommen wird diese Programmatik auch dadurch, dass die Aufsätze 2–9 allesamt Themen des lukanischen Doppelwerks, vor allem der Apos­-telgeschichte behandeln. Der Bezug zu Paulus ist in den Aufsätzen 5–9 nur noch sehr peripher gegeben. Die abschließenden Aufsätze 10–13 hingegen thematisieren zentrale Themen und Texte der Paulus-Forschung unter Bezugnahme auf die Briefe des Paulus. Der vorliegende Aufsatzband kann daher auch als weiterer wesentlicher Beitrag M.s zur Auslegung der Apostelgeschichte verstanden werden; vgl. außerdem neben vielen weiteren Publikationen zum Thema: Ders., Les Actes des Apôtres (1–12), CNT V. a, Geneva 2007; ders., Lukas, der erste christliche Historiker. Eine Studie zur Apos­telgeschichte, AThANT 92, Zürich 2011.
Die Hauptthese der unterschiedlichen, dreifach gefächerten Paulusrezeption findet in weiteren Beiträgen Abstützung. Der zweite Aufsatz The Image of Paul in Acts stellt die Funktion der Paulus-Rezeption in der Apg dar. Paulus wird als Emblem für die Zukunft der Kirche ausgearbeitet, in dem die jüdische Tradition und der römische Universalismus kulminieren und exemplarisch an die Kirche weitergegeben werden. Dass mit solcher Ausrichtung notwendig Verschiebungen oder Veränderungen des theologischen Denkens verbunden sind, ist seit den Anfängen der Redaktionsgeschichte (Philipp Vielhauer im Jahr 1950) bekannt und gegen den Theologen Lukas ins Feld geführt worden. M. erwähnt als Beispiel erneut die optimistische lukanische Anthropologie in Verbindung mit der fehlenden Analyse des Gesetzesverständnisses oder auch das Ausklammern der theologischen Schärfe der Kreuzestheologie (47). Doch werden solche Positionen Lukas nicht mehr zum Vorwurf gemacht, weil der Vergleich mit Paulus die unterschiedlichen zeitgeschichtlichen und literaturgeschichtlichen Be­dingungen ihrer Werke anerkennt: »In Acts, the image of Paul has an identity function. It enables the author to present the continu-ity link with Judaism and the causes of the rupture, the universal-ity of the new faith, the founding role of the Word and the presence of Christianity in the social fabric of the Roman Empire.« (46) In dem dritten Aufsatz Paul and the Torah in Acts hält M. im Blick auf die Stellung des Paulus zur Torah fest, dass Lukas in seinem Porträt von der Frage nach einer christlichen Identität und ihres Bezugs zum jüdischen Erbe bestimmt ist, nicht aber von der Frage ihres Beitrags zur Soteriologie. Überhaupt begegnet immer wieder die Bestimmung der christlichen Identität als ein Hauptanliegen des Lukas, so z. B. in dem kurzen Beitrag Meals in Acts.
Der Aufsatz Luke and the Casting of Characters öffnet sich für eine narratologische Analyse der Apg und zeigt etwa am Beispiel des römischen Hauptmanns Cornelius (Apg 10,1–11,18) auf, dass Lukas Charakterzeichnungen bewusst einsetzt, um theologische Motive herauszuarbeiten. In dem siebten Beitrag From Temple to Home according to Luke-Acts beschreibt M., dass Lukas nicht auf ein Konzept eines neuen oder eines spirituellen Tempels zugeht. Der Tempel ist eng verbunden mit dem Partikularismus und der Separation Israels von den Heiden. An seine Stelle sind im universalen Denken des Lukas Häuser und Hausgemeinden getreten.
Unter den Aufsätzen, die sich direkt mit Paulus und seinen Briefen befassen, nimmt The Pauline Gospel of Justification by Faith weitaus mehr Raum ein als die restlichen Beiträge. M. bespricht die dominanten Gerichtsaussagen, die im Kontext des Weltgerichts und der Ethik begegnen, ordnet sie aber im Verhältnis zur Gnade im Denken des Paulus absolut an der Peripherie ein. Systematisch-theologisch seien sie ohnehin nicht einzuordnen, da Paulus kein systematischer Denker gewesen sei. Der Beitrag Paul the Mystic, der forschungsgeschichtlich und phänomenologisch einsetzt, verweist auf die nicht unwesentliche Vorstellung der Demokratisierung der Mystik (176), die in den Einwohnungsformeln Christi und des Geistes in den Glaubenden zum Ausdruck kommt. Daneben sei die Passionsmystik wichtig.
M.s Beiträge sind sehr gut zu lesen, was auch für die Qualität der Übersetzung spricht. Sie sind klar strukturiert, und auch im Inhaltsverzeichnis sind die Gliederungspunkte der Aufsätze dankenswerterweise wiedergegeben worden. Fast alle Aufsätze enden mit einer abschließenden Zusammenfassung, in der die These knapp festgehalten worden ist. In einem Index findet sich ein Biblisches Stellenregister. Eine sehr umfangreiche Gesamtbibliographie, in der von Dobbeler, von Dobschütz und von Brück ungewöhnlich eingeordnet sind und die auch sonst nicht immer streng dem Alphabet folgt, beschließt den lesenswerten Band.