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Ausgabe:

Januar/2015

Spalte:

65–67

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lichtenberger, Hermann

Titel/Untertitel:

Die Apokalypse

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2014. 288 S. = Theologischer Kommentar zum Neuen Testament, 23. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-17-016828-2.

Rezensent:

Hanna Roose

Mit dem Kommentar zur Apokalypse des Johannes von Herrmann Lichtenberger liegt in der Reihe »Theologischer Kommentar zum Neuen Testament« eine gut lesbare, 288 Seiten umfassende Auslegung eines Apokalyptik-Spezialisten vor. Gemäß der Anlage der Kommentar-Reihe berücksichtigt der Kommentar verstärkt Themen, die im christlich-jüdischen Dialog behandelt werden.
In der Einleitung expliziert L. seinen hermeneutischen Zugang. Er charakterisiert die Apokalypse als Mahn- und Trostschrift, die »nicht für uns«, sondern »für bedrängte Gemeinden am Ende des 1. Jh.s« geschrieben sei (34–35). Auch im Zusammenhang mit der Wirkungsgeschichte macht L. auf den Abstand zwischen der Apokalypse und heutigen Leserinnen und Lesern aufmerksam: Schon Luthers Kritik habe sich vornehmlich an der fremden apokalyp-tischen Bildwelt entzündet (38). Im Abschnitt zur Forschungsgeschichte votiert L. dafür, die Apokalyptik als Weiterführung von Prophetie und Weisheit zu verstehen, als einen Versuch der »Krisenbewältigung und Hoffnungssuche« (41). Im Zusammenhang mit der Verfasserfrage weist L. auf die großen Unterschiede zwischen der Apokalypse des Johannes einerseits und dem Johannesevangelium sowie den johanneischen Briefen andererseits hin, die die Eschatologie, die Christologie und das Gottesbild beträfen (47). Nach ausführlicherer Diskussion schließt L. sich der »traditionellen Datierung« der Apokalypse in der Zeit Domitians an. Zu Thesen einer früheren (unter Nero) oder späteren (unter Hadrian) Datierung vermittelt L., indem er mit der Aufnahme älterer Traditionen, i nsbesondere zu Nero, rechnet und zugesteht, dass Christinnen und Christen zur Zeit Hadrians die prophetische Botschaft der Apokalypse als erfüllt ansehen konnten (51).
L. gliedert die Apk in vier Teile: Kapitel 1–3; 4,1–19,10; 19,11–22,5; 22,6–21. Zum ersten Teil bietet der Kommentar u. a. sozialgeschichtliche Informationen zu den Orten, an denen die Adressatengemeinden wohnen. Die Gemeinde-Engel deutet L. als himmlische Repräsentanten der irdischen Gemeinden, an die sich der Seher – statt an die irdischen Gemeindeleiter – wendet, weil er »in Ekstase« (Apk 1,10) sei (80). Der zweite Teil steht unter dem »Vorzeichen« der Kapitel 4 und 5: Die angefochtenen Gemeinden erfahren, dass Chris­tus mit Gott herrscht. Das, was auf der Erde geschieht, ist im Himmel »vor-geschrieben« (134–135). Den dritten Teil, der innerhalb des apokalyptischen Hauptteils nicht immer so deutlich her ausgehoben wird, betitelt L. mit: »Das Ziel der Geschichte: Die Wiederkunft Christi und das Neue Jerusalem«. Durch die Zäsur vor 19,11 hebt er die (problematische) Schilderung der Wiederkunft Christi besonders hervor (s. u.). Im vierten Teil, dessen Kommentierung sehr knapp ausfällt, geht es um die Autorisierung des Buches.
Die Auslegung enthält Exkurse zu folgenden Themen: »Der Brief in der apokalyptischen Literatur« – Hier zieht L. einen Vergleich zu Paulus: Während die Paulusbriefe dazu dienen, die Anwesenheit des Apostels zu vermitteln, dient die Apokalypse dazu, die Gegenwart Gottes zu repräsentieren (68). »Zum Kompositionsprinzip der Apokalypse« – Die Zahl Sieben gilt L. als ein Kompositionsprinzip neben anderen. Die Rekapitulationstheorie, nach der in den drei Abfolgen der Siegel-, Trompeten- und Schalenvisionen jeweils dasselbe Geschehen beschrieben sei, sehe Richtiges, dennoch gehe es bei den Siebener-Reihen auch um ein fortschreitendes, sich steigerndes Geschehen (136). Die Apokalypse zeichne sich aus durch ein Gegenüber von realistischer Beschreibung der Weltzeit und farbiger Bilderwelt (137). »Das Zeichen« – In dem Zeichen, das die 144.000 erhalten, sieht L. ein »Schutz- und Eigentumszeichen« (147). Die Vorstellung nehme die alttestamentlich-jüdische Erwartung einer Restitution des Zwölf-Stämme-Bundes auf und übertrage sie auf das »neue Gottesvolk« (147–148). L. weist in diesem Zusammenhang auf die Problematik einer Ablösungsvorstellung weg vom alten (israelitisch-jüdischen) hin zum neuen (christlichen) Gottesvolk für den jüdisch-christlichen Dialog hin. Demgegenüber sieht L. in der Frau aus Apk 12,4 eine andere Verhältnisbestimmung zwischen Israel und der Kirche angelegt: Die Frau trage beides in sich, zwischen Israel und der Kirche gebe es also nach der Darstellung von Apk 12 keine Ablösung, sondern eine Wandlung (180). »Zur Frage des Mythos in Apk 12« – Der Kommentar macht die Texte, die als traditionsgeschichtliche Vorlage in Frage kommen, leicht zugänglich, indem er die Fabulae 140 von Hyginus und Herodot, Historien, 2,156 in der Übersetzung von J. Kalms abdruckt. Gleichwohl hält L. fest, dass die Frage nach den mythischen Wur zeln von Apk 12 für die Exegese wenig ertragreich geblieben sei (178). »Antike Zahlenspekulationen und Zahlen-Namensberechnungen« – Hinsichtlich der Zahl 666 (Apk 13,18) geht L. auf die antiken Zahlen-Namensberechnungen ein, bei denen die Entschlüsselung die Kenntnis des Ergebnisses voraussetze. In Apk 13,18 hält L. die Deutung auf Kaiser Nero für die wahrscheinlichste.
Zur Frage nach dem theologischen Ertrag der Einzelauslegung ist Folgendes festzuhalten: Christus erscheint als Herr der Ge­schichte, dessen universale Herrschaft dem Totalitätsanspruch des römischen Staats gegenübersteht (49). Die Ekklesiologie der Apokalypse sieht L. dagegen geprägt durch das Bild des Lammes und seiner Nachfolge. »Das bedeutet für viele das Martyrium, die Gemeinde selbst aber wird bestehen bleiben.« (184) In paränetischer Hinsicht dominiert die Aufforderung, keine Kompromisse mit der Welt einzugehen (Apk 18,4; 21,8). Eschatologisch wird es nicht zu einer Verwandlung, sondern zu einer Neuschöpfung kommen (Apk 21,1–8). Dabei bleibt unklar, wie sich diese Aussage zur Auslegung von Apk 12,4 verhält, nach der zwischen Israel und der Kirche ein Verhältnis der Wandlung bestehe (s. o.). Die Reziprozität der Bundestheologie bleibt eschatologisch erhalten: Die durch das Blut des Lammes Erkauften werden »seine Völker« sein, und Gott wird bei ihnen sein (Apk 21,3). Der Neuschöpfung geht ein Vernichtungsgericht voran, gegenüber dessen Schilderung (insbesondere in Apk 19,11–18) L. eine »gewisse Hilflosigkeit« bekennt (254). Er betont in diesem Zusammenhang drei Aspekte: Erstens gehe in der Apokalypse die Gewalt nie von den Glaubenden aus (254). Zweitens beschränke sich die Vorstellung von Christus als (Straf-)Richter nicht auf die Apokalypse, sondern begegne auch in den ka-nonischen Evangelien (z. B. Mt 25,14–30.31–46). Drittens nehme die Schilderung der Wiederkunft Jesu Christi in 19,11–18 zwar alttes-tamentlich-jüdische Tradition auf, aber dennoch ließen sich die Gerichts- und die Heilsaussagen in der Apokalypse traditionsgeschichtlich nicht auf Judentum (Gericht) und Christentum (Heil) aufteilen. Auch in die Schilderung des neuen Jerusalems seien alttestamentlich-jüdische Traditionen eingeflossen. Letztlich gehe es der Apokalypse um eine Antwort auf die Theodizeefrage, insofern Gott am Ende der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen werde (254).
Der Kommentar bietet einen guten Zugang zur Apokalypse des Johannes und zu den wichtigsten Forschungsfragen. L. verweist zu Einzelfragen auf einschlägige Literatur und bezieht meist »klas-sische« oder vermittelnde Positionen. Der Kommentar zeichnet sich– ganz im Sinne des Anliegens der Kommentarreihe – durch eine besondere Sensibilität für Fragen des christlich-jüdischen Ge­sprächs aus.