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Ausgabe:

Januar/2015

Spalte:

51–53

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Moberly, R. W. L.

Titel/Untertitel:

Old Testament Theology. Reading the Hebrew Bible as Christian Scripture

Verlag:

Ada: Baker Academic 2013. XIV, 333 S. Geb. US$ 34,99. ISBN 978-0-8010-4885-2.

Rezensent:

Markus Witte

In acht Kapiteln, die jeweils einem zentralen Text oder Textkomplex des Alten Testaments gewidmet sind, bietet der seit über 25 Jahren an der Durham University (UK) lehrende R. W. L. Moberly eine gut verständliche und für einen weiteren Leserkreis geschriebene Einführung in Grundzüge des biblischen Gottes- und Menschenbildes. Die einzelnen Abschnitte des Buches gehen auf in früheren Jahren an unterschiedlichen Orten publizierte Einzeluntersuchungen M.s zurück und sind jeweils für sich lesbar. Mittels einer Einleitung, steter Querverweise und eines Epilogs, in dem M. seine methodischen und hermeneutischen Grundentscheidungen als Philologe und christlicher Theologe erläutert, sind die einzelnen Kapitel miteinander verbunden.
M., der seine an Einzeltexten orientierte Darstellung bewusst einer thematisch oder enzyklopädisch angelegten »Theologie des Alten Testaments« gegenüberstellt und seine Form, biblische Texte zu präsentieren, mit der aktualisierenden Inszenierung eines alten Schauspiels vergleicht, verfolgt ein dreifaches Ziel: Erstens will er die in den biblischen Texten in ihrem jeweiligen literarischen Kontext thematisierte Welt erhellen. Zweitens möchte er, unter konsequenter Wahrung des Eigenwertes der Texte der Hebräischen Bibel und ihrer Bedeutung für das Judentum, das Alte Testament im Kontext der christlichen Bibel lesen und dessen Bedeutung für den christlichen Glauben aufzeigen. Drittens strebt er einen Dialog mit zeitgenössischen Rezeptionen und kritischen Anfragen an die Bibel und an Religion überhaupt an. Die »Welt hinter den Texten«, also die Literar-, Traditions- und Religionsgeschichte der alttestamentlichen Texte, wird nicht ausgeblendet. Sie wird aber aufgrund der Hypothetik der in der Forschung vorgeschlagenen Rekonstruktionen und aufgrund ihres nach Meinung M.s eingeschränkten Erkenntniswertes für gegenwärtiges Verstehen einer kanonischen und rezeptionsgeschichtlichen Perspektive bewusst untergeordnet.
Kapitel 1 ist dem Schema Israel gewidmet und interpretiert Dtn 6,4–5 als repräsentatives Beispiel für das auf ausschließlicher, unbedingter und tätiger Liebe zu Gott basierende Gottesverständnis des Alten Testaments. Dabei unterstreiche Dtn 6,4–5 die radikale Verantwortlichkeit des Menschen gegenüber Gott und wehre zudem einer übermäßigen Intellektualisierung der Religion. Kapitel 2 thematisiert, ausgehend von Dtn 7 (und Gen 12,1–3), die in neueren Darstellungen der alttestamentlichen Theologie christlicher Provenienz gelegentlich marginalisierte Bedeutung der alttestamentlichen Er­wählungsvorstellung. Für M. ist »Erwählung« ein funktional ausgerichtetes Korrelat der Liebe und Zeichen göttlicher Gnade. Dem seitens der neuzeitlichen und gegenwärtigen Religionskritik häufig erhobenen Vorwurf, das Alte Testament propagiere Gewalt und der in ihm vertretene Monotheismus sei zumindest implizit gewalt-tätig, stellt M. eine metaphorische Interpretation des deuterono-mischen Banngebotes gegenüber. So ziele der in Dtn 7,1–5; 20,16–18 geforderte Bann (hebr. ḥerem) nicht, wie häufig fälschlich übersetzt werde, auf eine reale Vernichtung der genannten Völker, sondern unterstreiche metaphorisch die Ausschließlichkeit und Verbindlichkeit der Beziehung Israels zu seinem Gott. Eine analoge christ-liche Metaphorisierung kriegerischer Sprache im Dienst der Mahnung zur Unbedingtheit und Ungeteiltheit des Glaubens stelle z. B. Eph 6,10–20 dar. Unter der Überschrift »Das tägliche Brot« bietet das dritte Kapitel eine Auslegung der Mannageschichte in Ex 16, einschließlich ihrer Rezeption in Dtn 8 und im Neuen Testament. Sowohl für sich gelesen als auch im gesamtbiblischen Kontext verdeutliche diese Erzählung die Disziplin des Glaubenslebens angesichts göttlicher Gnade, diene also als ein Muster für die Einübung in einen Glauben, der alles von Gott erwarte, und als eine biblische Grundlage für eine gerechte Sozialpolitik. Die vierte Studie be­stimmt die widersprüchlichen alttestamentlichen Aussagen, dass Gott einerseits etwas bereue und dass er andererseits keine Reue empfinde (vgl. Gen 6,6 f.; Num 23,19; 1Sam 15,11.29; Jer 18,8.10), als für das alttestamentliche Gottesverständnis fundamentalen Ausdruck der Dynamik, Lebendigkeit und Personalität Gottes. Dabei figuriere das Motiv der Reue Gottes die Bezogenheit Gottes auf den Menschen und die göttliche Anteilnahme am Leben des Menschen, während die Wendung, dass Gott etwas nicht bereue, die Gültigkeit seiner Verheißung unterstreiche. So entsprächen der Reue Got-tes die wichtigen anthropologischen und theologischen Größen »Bund«, »Treue«, »Sünde« und »Vergebung«, der fehlenden Reue die Größen »Erwählung«, »Gnade« und »Souveränität Gottes«. Als für die alttestamentliche Prophetie repräsentativen Baustein seiner »Theologie des Alten Testaments« behandelt M. im fünften Kapitel das Jesajabuch, mit dem Schwerpunkt auf der Vorstellung des Ta­ges des Herrn und dem Verhältnis von Erniedrigung und Erhöhung. Beide Mo­mente skizziert M. knapp für das gesamte Jesajabuch, die alttestamentliche Prophetie sowie die frühe jüdische und christliche Rezeptionsgeschichte, um sie in der neutestamentlichen Stilisierung Jesu und des christlichen Glaubens münden zu lassen.
Als verbindendes Element der in den ersten fünf Kapiteln be­handelten Texte sieht M. die Bestimmung der Identität all derer, die sich von Gott geliebt und zum Glauben gerufen wissen und die aufgrund seiner Gnade und in Verantwortung und Gerechtigkeit vor ihm leben. Die in den drei folgenden Kapiteln behandelten Texte aus Prophetie und Weisheit spiegeln dagegen je auf ihre Weise Herausforderungen des Glaubens wider. So zeigt der sechste Essay am Beispiel des Propheten Jona, der einerseits die heiligen Schriften Israels gut kenne (vgl. Ex 34,6–7; Jer 18,7–8), andererseits nicht wirklich mit ihnen rechne, dass sich echtes Verstehen der Bibel in einem entsprechenden Handeln niederschlage. Eine andere Spielart der Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit verdeutlicht die im siebten Kapitel folgende Auslegung von Ps 44 und Ps 89, die weniger als Klagepsalmen denn als weisheitliche Problematisierung der Konfrontation von Glauben und Verheißungen einerseits und brutaler Realität andererseits anzusprechen seien. Diesem Thema ist schließlich auch die im achten Kapitel vorgestellte auf Hi 1–2 und Hi 28 fokussierte Lektüre des Hiobbuches gewidmet. Spezifisch für diese Passagen des Hiobbuches sei die Bestimmung der Weisheit nicht als Folge von Gottesfurcht, wie es für das Weisheitsverständnis der Proverbien typisch sei, sondern als Gottesfurcht (Hi 28,28) – und zwar in dem Sinn, dass Weisheit nicht für ein gelingendes Leben steht, sondern für ein auch in Extremsituationen integer und gläubig bleibendes Leben.
Insgesamt prägt die Anthologie M.s durchgehend das Anliegen, das Alte Testament als ein auch für Christen sehr lehrreiches Buch darzustellen und seinen Beitrag für das neutestamentliche Gottes- und Menschenbild sowie für die christliche Glaubenspraxis zu bestimmen. Dabei wird der theologische Zusammenhang von Altem und Neuem Testament vor allem mittels typologischer Entsprechungen bzw. Analogien und weniger traditionsgeschichtlich aufgezeigt. Dass für das Alte Testament zentrale Themen wie »Schöpfung« und »Kult« nicht vorkommen, liegt, wie M. selbst einräumt, am selektiven Charakter seines Werks. Beigegeben sind dem Buch eine ausführliche Bibliographie sowie ein Autoren-, Sach- und Bibelstellenregister.