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Ausgabe:

Januar/2015

Spalte:

48–50

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Horn, Mary Katherine Y. H.

Titel/Untertitel:

The Characterization of theAssyr­ians in Isaiah. Synchronic and Diachronic Perspectives

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2012. 256 S. m. Abb. = The Library of Hebrew Bible/Old Testament Studies. Geb. US$ 140,00. ISBN 978-0-567-63171-8.

Rezensent:

Jan Kreuch

Das zu besprechende Buch stellt die leicht überarbeitete Fassung der unter Betreuung von Robert P. Gordon entstandenen und in Cambridge eingereichten Dissertation von Mary Katherine Horn dar. Das Ziel der knapp gehaltenen Studie ist es, die Charakterisierung der Assyrer im Jesaja-Buch herauszuarbeiten und darzustellen. Darüber hinaus will die Studie das Verständnis ausgewählter Passagen des Jes-Buches befördern. Die Vfn. untersucht dabei jene Abschnitte, in denen die Assyrer ihrer Auffassung nach explizit oder implizit thematisch sind: Jes 1,5–9; 5,26–30; 7,17–25; 8,1–10; 10,5–34; 11,10–16; 13,1–14,23; 14,24–27.29; 19,23–25; 20,1–6; 21,1–17; 23,13; 27,12–13; 28,1–29; 30,12–17.27–33; 31,3–5.8–9; 33; 36–37; 38,6; 52,1–6.
Im Hinblick auf die zeitliche Ansetzung dieser Texte kommt die Vfn. – wie in der angelsächsischen Forschung weithin üblich – zu dem Ergebnis, dass die überwiegende Mehrheit von ihnen im Kern ins 8. Jh. v. Chr. zu datieren ist (11); so z. B. auch Jes 36–39* (12). Aus der Perspektive der deutschsprachigen Forschung wird man dem so nicht zustimmen können. Kritisch anzumerken ist darüber hinaus, dass die Vfn. bei der Datierung der Texte – wenn überhaupt – nur sehr knapp argumentiert. So geht sie z. B. bei dem höchst um­strittenen Text Jes 5,25–29 ohne jede Begründung davon aus, dass er kurz vor dem syrisch-ephraimitischen Krieg anzusetzen sei (17).
Das Assur-Material hat der Vfn. zufolge nach dem 8. Jh. v. Chr. noch zwei signifikante redaktionelle Stufen durchlaufen: die josianische Redaktion im 7. Jh. v. Chr. mit ihrem Fokus auf dem Untergang Assurs und eine abschließende Redaktion in der Mitte bis zum Ende des 5. Jh. v. Chr. Die Vfn. geht dabei aber davon aus, dass dem Assur-Thema für die Komposition des Jes-Buches insgesamt keine dominante Rolle zukommt (8).
An die sehr kurzen einleitenden Bemerkungen zu Forschungsgeschichte, Methode, Vorgehen und die vorläufige Datierung der fraglichen Jes-Texte (1–12) schließen sich 18 Kapitel an, in denen die genannten Abschnitte in einer versweisen Analyse auf ihre Bedeutung, ihre literarischen Stilmittel und auf ihre Darstellung der Assyrer befragt werden (13–189). Die Vfn. folgt dabei dem Trend der neueren Forschung, am Endtext anzusetzen. Explizit weist sie darauf hin, dass der synchronen Betrachtung in ihrer Studie der Primat gegenüber der diachronen Betrachtung zukommt (4,6). Nur in dem Fall, dass bei der synchronen Lektüre »Inkonsistenzen« zu beobachten seien, schließt die Vfn. diachrone Überlegungen an (6).
Die Analysen der einzelnen Texte fallen sehr knapp aus und umfassen meist nur wenige Seiten. Die Auseinandersetzung mit assyrischen Quellen erfolgt primär über Sekundärliteratur, eigene Quellenstudien und daraus gewonnene Erkenntnisse sind kaum erkennbar. Gerade bei einer Fragestellung wie der der vorliegenden Studie muss dies überraschen.
Bei der Beschreibung dessen, was die Texte über Assur aussagen, arbeitet die Vfn. all diejenigen Punkte heraus, die zu erwarten sind. U. a. stellt die Vfn. fest: Assur ist im Jes-Buch der Inbegriff der militärischen Macht und wird als fremd und unbekannt wahrgenommen, es weist eine überlegene physische Stärke auf und verfügt über die modernsten Kriegsmittel (z. B. Jes 5,25–30). Assur ist Ge­richtsinstrument JHWHs (z. B. Jes 7,18–20) und wird zugleich aufgrund seiner Überheblichkeit gerichtet, da es seine ihm von JHWH gesetzten Grenzen überschreitet (z. B. Jes 10,5–19).
Interessant wird die Studie dadurch, dass die Vfn. nicht bei einer bloßen Erhebung des Befundes stehen bleibt, sondern die Aussagen über Assur systematisiert und eine Synchronlesung des Assur-Materials bietet. Im Wesentlichen unterscheidet die Vfn. in der Darstellung der Assyrer im Jes-Buch Typologie und Typologisierung. Von Typologie, dem der Vfn. zufolge häufigsten Stilmittel bei der Beschreibung der Assyrer im Jes-Buch, spricht sie dann, wenn Assur in synchron hinreichend zu erfassenden Texten nicht allein in seiner Individualität geschildert, sondern typologisch aufgefasst wird. Dies geschehe zum ersten Mal in Jes 7,18 durch sein »pairing« mit Ägypten: »The association of Assyria with Egypt instantly renders Assyria as an ominous imperial oppressor in the manner of its typological predecessor.« (190 f.) Zu dieser Typologie gehöre weiterhin, dass Assur wie Ägypten Gerichtsinstrument JHWHs sei, von dem JHWH sein Volk aber auch ebenso wie von Ägypten erlösen werde. Typologische Assur-Stellen dieser Art sind der Vfn. zufolge u. a. Jes 10,24.26–27; 11,11–16. Ein Wechsel in der typologischen Darstellung Assurs ereigne sich in Jes 19,23–25, wo Assur zusammen mit Ägypten und Israel Teil des eschatologischen Volkes JHWHs werde.
Von Typologisierung spricht die Vfn., wenn Textstellen im Jes-Buch »appear to apply to both Assyria and another entity simultaneously« (192), wenn also eine diachrone Betrachtung nötig sei, da es in der Redaktionsgeschichte des Jes-Buches z. B. durch Überarbeitung oder Umstellung zu einem Bedeutungswandel eines Textes gekommen sei. »In the final form of the text, the anonymity or generalization of the referent often serves to render the text applicable to multiple situations, especially that of sixth-century Judah under Babylonian oppression. Evidently the ancient editor per-ceived a typological similarity between Assyria and Babylon.« (192) Ein Beispiel hierfür sei z. B. Jes 5,25–30, das an seinem ursprünglichen Ort nach Jes 9,21 auf Assur bezogen war, in seinem neuen Kontext in Jes 5 jedoch auf Babylon ziele. Diachrone Typologisierung stelle der Vfn. zufolge ein Paradigma im Jes-Buch dar, »in which diachronic relationships may be perceived not as awkward and discontinuous, but as harmonious, reflecting continuities and patterns through the vicissitudes of history« (193). Typologisierende Darstellungen Assurs fänden sich u. a. auch in Jes 1,5–9 und 14,25.
Bei der Synchronlesung des Assur-Materials arbeitet die Vfn. deutlich heraus, wie sich die Rolle Assurs im Leseablauf des Jes-Buches wandelt. Grob gesagt lässt sich eine Bewegung beobachten, die von Assur als dem mächtigen Gerichtsinstrument JHWHs (z. B. Jes 5,25–30) über Anklagen gegen seinen Hochmut (z. B. Jes 10) hin zum Gericht an ihm führt (z. B. Jes 36–39).
Auf die Besprechung der Assur-Stellen folgen eine Zusammenfassung (190–199) und ein Epilog, in dem die Vfn. der Frage nachgeht, ob das Assur-Material im Jes-Buch als subversiv anzusehen ist (200–209). In Hinsicht auf Ahaz und Hiskia sei dem in den meisten Fällen nicht so, da Jesajas Verkündigung zwar oft eine Herausforderung für die herrschende Elite darstellte und auch eine Änderung ihrer Politik einforderte, aber zumeist offen und direkt vorgetragen worden sei. In Hinsicht auf das assyrische Reich sei seine Botschaft hingegen durchaus als subversiv einzuschätzen, da Jesaja die Assyrer nicht direkt, sondern das unterdrückte Volk der Israeliten anspricht.
Literaturverzeichnis, Bibelstellen- und Autorenregister schließen die Arbeit ab (210–235). – Gewisse Mängel der Studie sind be­nannt worden. Dass man sie trotzdem mit Interesse und Gewinn lesen kann, liegt an ihrer Systematisierung und Synchronlesung des Assur-Materials, durch die sie einige weiterführende Einsichten für die Jes-Forschung erreicht.