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Ausgabe:

Januar/2015

Spalte:

29–32

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Fürst, Alfons, Harutyunyan, Harutyun, Schrage, Eva-Maria, u. Verena Voigt [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Von Ketzern und Terroristen. Interdisziplinäre Studien zur Konstruktion und Rezeption von Feindbildern

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2012. 239 S. m. Abb. Geb. EUR 29,80. ISBN 978-3-402-12871-8.

Rezensent:

Malte van Spankeren

Der Begriff Feindbild wird in diesem Sammelband aus der Perspektive unterschiedlicher Fachdisziplinen untersucht und hält die einzelnen Beiträge inhaltlich zusammen, wobei der Obertitel et­was plakativ gewählt ist, zumal nur zwei der Beiträge den »Terroris­ten« auch im Titel führen.
Alfons Fürst eröffnet den Band mit einer instruktiven Einführung: »Zum Konstruktionscharakter von Feindbildern am Beispiel der Entstehung des christlichen Häresiebegriffs« (9–16). Er hält fest: »Die Unterscheidung zwischen Freund und Feind gehört in allen Kulturen zu den basalen Strategien der Ausbildung und Sicherung des eigenen Selbstverständnisses und des eigenen Standortes in der Welt. Der Feind, das heißt das als bedrohlich empfundene Ge­genüber zur eigenen Gruppe, kann der eigenen Lebenswelt angehören, wie das beispielsweise beim Häretiker der Fall ist.« (9) Er betont zu Recht, dass sich in allen Beiträgen »die Bedeutung, die Geschichtsbilder bei der Konstruktion von Feindbildern haben« (9), zeige. Somit dienen Feindbilder nicht zuletzt zur Konstruktion kollektiver Identitäten. Über den Begriff des Ketzers hält Fürst fest:
»Während der Begriff vorgibt, eine objektive Realität zu bezeichnen, ist er in Wirklichkeit ein von wechselnden Interessen be­stimmter parteiischer Kampfbegriff zur Marginalisierung und Dis­kriminierung eines Gegners, der sich gerade mit seinen Stereotypen auf völlig unterschiedliche Phänomene und Personen anwenden und damit vielfältig einsetzen lässt.« (15)
Damit wird der Ketzer zum Paradebeispiel eines Feindbildes.
Im ersten Beitrag untersucht Sita Steckel unter dem Titel »Falsche Heilige. Feindbilder des ›Ketzers‹ in religiösen Debatten der lateinischen Kirche des Hoch- und Spätmittelalters« (17–43) dieses Phänomen. Unter der Zwischenüberschrift »Häresiebewegungen des Mittelalters und ihre Wahrnehmung« (20–25) wird vor allem auf den Forschungsstand zur Wahrnehmung des Häretikers näher eingegangen. Anschließend werden »unterschiedliche Wahrnehmungen von Häretikern seit der Jahrtausendwende« (25–29) näher vorgestellt. Im Abschnitt »Von Stereotypen zum Feindbild: Häretiker als scheinheilige Jünger des Antichrist« (29–36) werden falsche Propheten analysiert. »Als besonders wirkmächtig und bedeutsam erwies sich offensichtlich die aus einschlägigen Bibelstellen ableitbare Gleichsetzung von Häretikern mit teuflisch beeinflussten ›Heuchlern‹ (hypocrisi loquentes) (1 Tim 4,2), ›Pseudopropheten‹ (pseudoprophetae) (Mt 24,24) und Vortäuschern eines ›Scheins der Heiligkeit‹ (species pietatis) (2 Tim 3,5).« (30) Das Problem der falschen Propheten wurde unter anderem von Bernhard von Clairvaux und Hildegard von Bingen thematisiert (31 f.35 f.). Trotz dieser Zwischenüberschriften wird die Struktur dieses Beitrags nicht recht deutlich. Vieles wird angesprochen, aber oft nur schlaglichtartig beleuchtet und infolgedessen zu kurz angerissen.
Der nächste Abschnitt heißt beispielsweise »Adaption des Feindbilds der falschen Heiligen: Vom Häretiker zum ›Heuchler‹« (36–39), allerdings unterbleibt eine konzise Nachzeichnung eines hier unterstellten Transformationsprozesses. Das Beispiel von Wilhelm von St. Amour ist nicht ausreichend, um hier von einer »Adapation« zu sprechen. Wichtig erscheint demgegenüber die Einschätzung: »[D]as um die Ketzer konstruierte Feindbild erweist sich vor allem als Zerrbild des religiösen Eigenen, nämlich eines idealen Klerus. Das Gefährliche an den Häretikern, so deren Gegner, war gerade ihr heiligmäßiges Auftreten und ihr frommes und gottesfürchtiges Verhalten.« (36) So wichtig diese Einschätzung von S. ist, ist doch sehr verwunderlich, warum an dieser Stelle nicht zumindest ein Ausblick auf die innerkonfessionellen Auseinandersetzungen der Reformationszeit (vom Konfessionellen Zeitalter ganz zu schweigen) gewagt wird.
Eva Schaten zeichnet in ihrem lesenswerten Beitrag »[d]ie staatliche Steuerung von Feindbildern am Beispiel des Anti-Hispanismus im frühneuzeitlichen England« nach (45–65). Spanier wurden in England als »Prototyp der katholischen Nation und als Lakaien des Papstes wahrgenommen und bildeten damit den Gegenpol zum elisabethanischen England mit seiner protestantischen Staatsreligion« (45). Entscheidend für einen Wandel des noch zu Beginn des 16. Jh.s positiven Spanienbildes in England wurden die blutigen Protes­tantenverfolgungen unter Mary sowie die Hochzeit der 1553 ge­krönten Königin mit Philipp von Habsburg: »Die Aussicht auf einen fremden, katholischen Prinzen auf dem englischen Thron rief in der englischen Bevölkerung eine Welle der Ablehnung hervor.« (46)
Unter Elisabeth I., seit 1558 Königin, verschärfte sich die Situation, wozu nicht zuletzt die königlichen Proklamationen beigetragen haben dürften, in denen spanische Übergriffe auf englische Kaufleute in den Niederlanden thematisiert wurden (47, Anm. 4). Entscheidend wurde die Besetzung der Niederlande 1568, dem wichtigsten Handelspartner Englands. S. zeichnet im Folgenden die staatlich geschürte antispanische Propaganda luzide nach. Insbesondere mit Hilfe des konfessionellen Gegensatzes konnte dieses Feindbild unterstrichen werden: »England mit Elisabeth als protestantischer Heldin stand Spanien gegenüber, dessen König Philipp II. eine bedingungslose Papsttreue nachgesagt wurde. Die beiden Monarchen werden als Gallionsfiguren an der Spitze ihrer jeweiligen Konfession dargestellt.« (55) In diesem Zusammenhang konstruierte man eine Abstammung der Spanier von den Goten oder Sarazenen, um ihr in der Gegenwart gezeigtes barbarisches Verhalten zu erklären, womit man auf die ehemalige arabische Präsenz in Spanien anspielte. S. konstatiert zu Recht: »Der Anti-Hispanismus in England stellt ein gutes Beispiel für die bewusste Konstruktion eines Feindbildes durch staatliche Autoritäten dar. Mittels Kriegspropaganda erreichte die elisabethanische Regierung in diesem Fall eine breite Zustimmung für ihre Außenpolitik. Durch eine vielschichtige Verknüpfung von Argumenten aus Politik, Religion und Kolonialismus entstand eine für die Zeitgenossen plausible Begründung für die angeblich angeborene Boshaftigkeit der Spanier.« (60)
Felicity Jensz untersucht Fremdbilder in einer nordamerikanischen Kinderzeitschrift namens »The Little Missionary: Freund-, Fremd- und Feindbilder am Beispiel einer Kindermissionszeitschrift im 19. Jahrhundert in Nordamerika« (67–90). Die 1870 gegründete Zeitschrift, deren Hauptziel es war, das Interesse von Kindern an der Missionsarbeit zu erwecken, wurde alsbald zum Propagandamittel der Herrnhuter in Nordamerika. Zentrales Ziel war es: »(1) Die Kinder sollten die Unterschiede zwischen Christen und ›Heiden‹ lernen und dadurch ein Vorbild vor Augen haben, wie sich ein ›wahrer‹ Christ zu ver-halten hat (religiös-didaktisches Ziel); (2) die Kinder sollten dazu ermutigt werden, Geld oder andere Mittel für das Missionswerk zu spenden (säkular-materielles Ziel); (3) das Bild der Fremden sollte den Kindern eine Strategie für die Konstruktion eines Selbstbildes bieten, indem die westliche Gesellschaft als kulturell und religiös weiter entwickelt dargestellt wurde, wodurch sich auch die Missionsarbeit legitimieren ließ (kulturell-religiöses Ziel).« (71) Insgesamt zeigt J. schlüssig, wie das Medium einer Kindermissionszeitschrift zur moralischen Unterweisung gedient hat. Die wortwörtlichen Wiederholungen zum Schluss des Beitrags (vgl. 88 mit 71) hätte man allerdings vermeiden sollen.
Unter der Titelwendung »Von alten Feinden zu neuen Partnern? Zur Entstehung und Weitergabe des Erzfeindbildes ›Türke‹ aus armenischer Perspektive« untersucht Harutyun Harutyunyan das kollektive Feindbild »Türke« in der armenischen Geschichte und der gegenwärtigen Gesellschaft (91–122). Die Hoffnung H.s, »[v]ielleicht kann eine Rekonstruktion des historischen Feindbildes auch zu einer Dekonstruktion auf politischer und gesellschaftlicher Ebene beitragen« (93), erscheint allerdings, zumal angesichts seiner folgenden Ausführungen, lediglich als ein frommer Wunsch. Denn H. veranschaulicht, wie infolge mehrerer Invasionen Armeniens sich das Feindbild exklusiv auf die »Türken« verengen sollte. Verantwortlich dafür war der Massenmord an den Armeniern 1915, der von H. als Folge eines »pantürkischen Nationalismus und der aggressiven Fortführung der imperialistischen Macht- und Territorialpolitik des Osmanischen Reiches« (102) bewertet wird. Die Beschwörung dieses Feindbildes verfolgte, wie H. luzide zeigen kann, auch die Absicht, nachfolgende Generationen in identitätsstiftender Absicht an die Bewahrung der eigenen Identität zu gemahnen. Im Ganzen ist H. ein aufschlussreicher Beitrag gelungen.
Verena Voigts Aufsatz »Zionistischer Kolonialist vs. Palästinensischer Terrorist: Feindbilder im Israel-Palästina-Konflikt« (123–153) führt als einer von zwei Beiträgen den »Terroristen« auch im Titel. V. zeichnet die bekannten Konfliktlinien nach und verweist anfangs auf die Rolle des Zionismus, den viele seit Beginn des 20. Jh.s eingewanderte Juden teilten. V. zeigt, dass bereits seit 1936 infolge einer gewaltsamen Auseinandersetzung »der« Araber von israelischer Seite als gewalttätig apostrophiert wurde und sich diese Perzeption insbesondere infolge des Sechstagekrieges 1967 wesentlich verstärkte. Auf palästinensischer Seite formierte sich seit der israelischen Staatsgründung das Bild des »zionistischen Kolonialisten« (135). Im Gegensatz dazu erfolgte eine Selbststilisierung der Palästinenser als friedfertige Bauern (Palästinensertuch). Wichtig ist V.s Hinweis auf die Differenzen des Feindbildes der PLO und der Hamas, denn Letzteres ist stärker durch antisemitische und religiöse Komponenten geprägt (140). Die »[ab]schließende[n] Überlegungen zur Möglichkeit eines Abbaus von Feindbildern« (145–149) erscheinen aufs Ganze gesehen allerdings zu ambitioniert.
Unter der Fragestellung »Wahrer Muslim, falscher Muslim? Zur Konstruktion des inneren Feindes im Islam am Beispiel von Sunniten und Schiiten« gibt Daniela Schlicht einen Überblick über die wichtigste Teilung der Umma, welche auf die unterschiedliche Bewertung hinsichtlich der Legitimität der Nachfolge des Schwiegersohnes Mohammeds, Ali, zurückgeht (155–172). Während die muslimische Mehrheit die Ansicht vertrat, Mohammed habe keinen direkten Nachfolger bestimmt, beanspruchten Ali und seine Anhänger die Nachfolge für sich. Infolge der Schlacht von Kerbela 680 trennten sich die sunnitische und die schiitische Richtung innerhalb des Islam über diese Frage. Aus sunnitischer Sicht konnte der Schiit als Häretiker angesehen werden und insbesondere vom Wahabismus, mit seinem Zentrum in Saudi-Arabien, wurde die Schia als legitime theologische Denkschule bekämpft. Die Schiiten konnten demgegenüber den Sunniten vorwerfen, auf Kosten der Prophetenfamilie die Macht über die Umma an sich gerissen zu haben. Sich selbst konnte man in diesem Zusammenhang als duldenden Märtyrer stilisieren. Besonders ausdrucksstarkes Kennzeichen ist die Verfluchung der von den Sunniten als rechtmäßige Nachfolger Anerkannten in der Schia. Indem dadurch die eigene »Reinheit« hervorgehoben werden sollte, diente das Feindbild wiederum als Mittel zur Konstruktion des eigenen Selbstbildes.
Tim Karis setzt mit seinem Beitrag »Postmodernes Feindbild und aufgeklärte Islamophobie? Grenzen der Analysekategorie ›Feindbild‹ in der Islambildforschung« den islamkundlichen Block innerhalb dieses Bandes fort (173–190). K. hat folgende Grundannahme: »Meine These lautet, dass die Verwendung der Analysekategorie ›Feindbild‹ die Islambildforschung derzeit eher blockiert als voranbringt.« (174) Deshalb plädiert K. für einen künftigen Verzicht auf den Begriff des Feindbildes (174). K. verweist im Folgenden auf ein Muster der westlichen Berichterstattung, welches den Islam vorwiegend mit Themen koppele, die negativ besetzt sind. Damit mag er zum Teil Recht haben, seine Einschätzung aber, nach der die westliche Berichterstattung unzureichende Maßstäbe anlege, ist irreführend. So moniert K. anlässlich eines Berichts über weibliche Fußballanhänger im Iran: »Problematisch an diesen Beispielen ist, dass hier solche Topoi der Berichterstattung als positiv gelten, die nach gängigem Verständnis mit dem Westen assoziiert werden: Gleichberechtigung der Geschlechter, Trennung von Religion und Politik und sexuelle Aufklärung. Nach diesem Muster erschiene der Islam also immer dann als positiv, wenn er westlichen Selbstbildern besonders nahekommt« (183). Mit solchen Aussagen begibt sich K. auf argumentativ dünnes Eis, denn Werturteilsbildungen liegen nun einmal im Wesen einer jeden Berichterstattung. Weiterführender ist dagegen K.s Hinweis auf die teilweise Verselbstständigung des Mediendiskurses bezüglich des Islam. Infolgedessen wäre es sinnvoll, diesen Mediendiskurs und die ihn kennzeichnenden Elemente näher zu untersuchen (187).
Den Block zum Islam beschließt Nils Friedrichs mit seinem Beitrag »Die Bilder der Deutschen vom Islam. Soziale Kategorisierungen und die Entstehung von Feindbildern« (191–215). F. stellt im Folgenden einige gängige Assoziationen der Deutschen zum Stichwort Islam dar. Kritisch erscheint mir allerdings der von F. gewählte Ansatz: »Auf der Basis von Überlegungen aus der klassischen Vorurteilsforschung wird in einem ersten Schritt der Versuch unternommen, Kriterien für die Definition von Stereotypen und Vorurteilen herauszuarbeiten, um anschließend zu diskutieren, inwieweit sich diese Kategorien soziologisch als Feindbilder interpretieren lassen.« (192) Hier wäre m. E. zu fragen, welche »klassische Vorurteilsforschung« F. meint. Einige weitere religions-soziologisch aussagekräftige Einschätzungen gibt F. im Folgenden wieder. So erhöhe die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft die Bereitschaft, religiöse Pluralität anzuerkennen. Konfessionslose würden beispielsweise den Islam deutlich negativer beurteilen als konfessionsgebundene Deutsche.
Zum Abschluss untersucht Eva-Maria Schrage in ihrem Beitrag »Von Ketzern und Terroristen?« den »analytischen Nutzen eines interdisziplinären Feindbildbegriffs« (217–239). Sie verweist gleich zu Beginn auf ein grundlegendes Defizit der bisherigen Feindbildforschung: »In keiner der von uns ver-tretenen Disziplinen – den Geschichtswissenschaften, der Theologie, der Religionswissenschaft, der Politikwissenschaft, der Kommunikationswissenschaft oder der Soziologie – gibt es ein theoretisch ausgearbeitetes Feindbildkonzept.« (218) Zwar verweist S. zu Recht darauf, man müsse den Begriff des Feindbildes vor allem im Hinblick auf seine »politische[] Instrumentalisierbarkeit« (219) näher untersuchen, konkrete Vorschläge bleiben in der Folge aber weitgehend aus. Zuzustimmen ist ihrem Resümee im Hinblick auf die einzelnen Beiträge dieses Sammelbandes, dass »ein interdisziplinär verwendbarer Feindbildbegriff durchaus für die Forschung nutzbar« (234) werden kann.
Im Ganzen bietet dieser Sammelband einen facettenreichen Einblick, der freilich mehr Forschungspotentiale benennt als abschließende Antworten liefern zu wollen.