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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1504–1506

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Althammer, Jörg [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Caritas in veritate. Katholische Soziallehre im Zeitalter der Globalisierung.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 2013. 264 S. m. Abb. u. Tab. Kart. EUR 49,90. ISBN 978-3-428-13996-5.

Rezensent:

Jochen Bohn

Am 7. Juli 2009 veröffentlicht Papst Benedikt XVI. die Enzyklika »Caritas in veritate«. Darin antwortet er unmittelbar auf die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise, müht sich aber zugleich um eine Anpassung der katholischen Soziallehre an die Bedingungen der Globalisierung. Indem er nahezu alle relevanten ethischen Fragen moderner Gesellschaften zumindest streift, diagnostiziert Benedikt eine fundamentale Krise von Kultur und Moral. Dagegen setzt er zunächst die naturrechtlich begründete Forderung nach einer neuen Transzendenzöffnung der Vernunft, dann aber auch den individualethisch formulierten Ruf nach einer umfassenden Wiederbelebung von Werten und Tugenden.
In Deutschland wird »Caritas in veritate« eher verhalten oder gar distanziert zur Kenntnis genommen. Ein interdisziplinäres Symposium an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt am 28. Oktober 2009 will die Enzyklika dagegen fruchtbar machen, sucht nach ihren Impulsen für die Entwicklung einer globalen Ethik und bringt dazu unterschiedliche Interpretationen ins Gespräch. Der von Jörg Althammer bei Duncker & Humblot herausgegebene Band dokumentiert diese Tagung. Bis auf zwei Ausn ahmen wurden die 17 Beiträge eigens für den Eichstätter Austausch angefertigt und nun erstmals publiziert. Alle Autoren lassen sich dem katholischen Milieu zuordnen. Es äußern sich vorwiegend theologisch motivierte Sozial- und Wirtschaftsethiker, zudem werden aber auch ökonomische, rechtsphilosophische oder historische Perspektiven eröffnet. Die instruktiven Analysen zu Einordnung, Inhalt und Auswertung der Enzyklika von Reinhard Marx (9–20) und Ursula Nothelle-Wildfeuer (239–255) ersetzen Einleitung und Zusammenfassung. Eine Liste der verwendeten Literatur ist den einzelnen Beiträgen gesondert angefügt, ein hilfreiches Personenverzeichnis wurde ebenfalls angefertigt (257–261). Die formale Qualität des Bandes ist verlagstypisch einwandfrei.
Inhaltlich vermessen die Texte zumeist ausgewählte Themenfelder der Enzyklika, versuchen den jeweiligen Ertrag zu identifizieren und diesen dann im Kontinuum der kirchlichen Sozialverkündigung zu verorten. Dabei erfährt »Caritas in veritate« überwiegend eine wohlwollende Würdigung – was nicht verwundert, da die vorausgesetzte analogische Ontotheologie, ihr harmoni-sierender Logozentrismus und ihr affektiver Moralismus wohl grundsätzlich geteilt werden. Besonders dankbar reflektieren einige Autoren die Entdeckung der Zivilgesellschaft als mäßigende Kraft wirtschaftlichen Handelns. Arnd Küppers verweist auf die in Deutschland noch wenig bekannte Civil-Economy-Theorie der italienischen Ökonomen Stefano Zamagni und Luigino Bruni (110–114). Hier knüpft »Caritas in veritate« offenbar an und führt damit neben Markt und Staat die Zivilgesellschaft als dritten konstitutiven Akteur des Wirtschaftens ein (Nothelle-Wildfeuer, 252). Nicht zuletzt diesem Akteur werden die zunächst befremdende Idee der Unentgeltlichkeit und eine überraschende Logik des Geschenks mit- und aufgegeben. Giuseppe Franco sieht darin den eigentlich innovativen und originellen Beitrag der Enzyklika zur katholischen Soziallehre (130). André Habisch und Cristian R. Loza Adaui verweisen auf Möglichkeiten, diese Neuerung unmittelbar in wirtschaftliche Entscheidungen zu übersetzen (173–187). Und Jörg Althammer begreift es als besonderes Verdienst von »Caritas in veritate«, mit ihrer spezifischen Orientierung zivilgesellschaftlicher Praxis auch die gegenwärtigen ordnungspolitischen Überlegungen darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass »jede Form globaler Sozialpolitik« nicht ohne »ein bestimmtes Maß an Uneigennützigkeit der handelnden Akteure« auskommt (155).
Enttäuscht reagiert der katholische Diskurs dagegen insbesondere auf das strukturethische Defizit der Enzyklika. Stellvertretend für zahlreiche deutsche Sozialethikerinnen und Sozialethiker be­klagt Bernhard Sutor das »Übermaß an theologisch-moralischer Argumentation« und den »Mangel an rechtlich-institutionellem Denken« (83). Bernhard Emunds sieht überdies nicht allein das »bereits erreichte Reflexionsniveau bezüglich der Gestaltung von Institutionen« (215) unterboten, sondern diagnostiziert eine missionarische Wendung in der Soziallehre, die sich gegen den Trend der vergangenen fünf Jahrzehnte zu richten scheint. Mit der »Wahl eines missionierenden Profils« sei nun die Gefahr verbunden, »die Sozialverkündigung für die Verkündigung von Glaubensinhalten zu instrumentalisieren« (236). Das begreift Emunds nicht als be­grüßenswerte Erweiterung der Vernunft, sondern als Rückschritt im Verhältnis von Kirche und säkularer Gesellschaft. Im Kontext dieser Beobachtung erinnert Otto Depenheuer daran, dass der mo­derne Rechtsstaat dem Frieden, nicht mehr der Wahrheit dient. Die weltanschauliche Neutralität des säkularen Staates müsse daher unverhandelbar bleiben (93–95). Damit sieht Depenheuer zugleich auch die kirchliche Soziallehre mit ihrem spezifischen Wahrheitsanspruch in rechtsstaatliche Schranken verwiesen (100–101).
Das Buch zur Sozialenzyklika »Caritas in veritate«, in der Benedikt XVI. das weltgesellschaftliche Miteinander moralisch anzuordnen versucht, hält in den meisten Beiträgen ein gutes systematisch-argumentatives Niveau, bietet aufschlussreiche Einblicke in die innerkatholische Rezeption und wird die internen sozialethischen Debatten zweifellos befruchten. Was dem Band sichtlich fehlt, ist die Außenperspektive, gerade auch eine theologische oder philosophische Fundamentalkritik von »Caritas in veritate«. Von außen ließe sich etwa die seltsame Rückkehr der Enzyklika zum Naturrecht befragen, die sich bei näherem Hinsehen als Wiederkunft einer Schöpfungsideologie erweist, mit der unter der Chiffre einer neuen Öffnung der Vernunft nichts Geringeres zugemutet wird als eine religiöse Wiederverzauberung der Welt. Philosophisch wäre zum Beispiel mit Jacques Derrida darüber aufzuklären, dass die Forderung nach zivilgesellschaftlicher Brüderlichkeit unter Benedikts Prinzip der Unentgeltlichkeit und seiner Logik des Geschenks gerade das Gegenteil von dem hervorbringen könnte, was sie zur Absicht hat: Menschlichkeit. Derartiges zu entdecken war aber sicher nicht Absicht eines Symposiums katholischer Kollegen an einer katholischen Universität, und so lässt sich der angedeutete Mangel des Buches leicht übersehen.