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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1497–1499

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Meuffels, Otmar

Titel/Untertitel:

Ein eschatologisches Triptychon. Das Leben angesichts des Todes in christlicher Hoffnung.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. IX, 221 S. = Religion in Philosophy and Theology, 64. Kart. EUR 54,00. ISBN 978-3-16-151907-9.

Rezensent:

Gunther Wenz

Triptychen sind dreiteilige Tafelbilder, die aus einem Mittelstück und zwei in der Regel halb so breiten Flügeln bestehen; diese werden durch Scharniere zusammengefügt und beweglich gehalten. M., Inhaber des Lehrstuhls für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg, hat seinen Entwurf einer Eschatologie nach Art eines Triptychons gestaltet. Drei Hauptkapitel des Buches, die den drei Bildtafeln entsprechen, bringen Aspekte aus säkularen Wissenschaftsbereichen, nämlich Kulturwissenschaft, Soziologie und Philosophie, unter dem Gesichtspunkt ihrer impliziten oder expliziten Bezogenheit auf die Endlichkeit und die zeitliche Befristung menschlichen Daseins in der Welt zur Darstellung. Auf einem ersten Tafelbild (11–38: Gebrochenes Gedächtnis) werden in kulturwissenschaftlicher Perspektive exemplarische Formen menschlichen Totengedenkens aufgezeigt. In Betracht kommen das erinnernde Anschauen von Porträtbildern von Verstorbenen, Gestalten des Gedächtnisses in Stein und Schrift sowie Sprach- und Sprechweisen, die den Tod beim Namen nennen. Auf die andeutungsweise mit philosophischen Ansätzen (Heidegger, Derrida, Agamben, Pascal) versehene phänomenologische Erschließung folgt ein breit angelegtes Themenfeld (61–97: Anerkennung und Wiedererkennen in Verantwortung), innerhalb dessen von fundamentalen Anerkennungsvollzügen (Honneth), von der, wie es heißt, Identität zur Personalität in Totalität (Mead), von einer Hermeneutik des Selbst in der Zeit mit anderen (Ricœur) sowie der Integrität des Lebens im Spannungsbogen von Geburt und Tod (Erikson, Winnicott, Levinas) gehandelt wird. An das breite Mittelstück schließt sich ein drittes Tafelbild an (141–186: Topik der Wahrheit – Zeit und Ewigkeit), das eine Skizze philosophischer, insbesondere religionsphilosophischer Annäherungen an das Problem menschlichen Lebens im Angesicht des Todes bietet in der Absicht, den Blick auf zukunftsweisende Verheißungssymbole der Hoffnung auszurichten.
Wer ein Triptychon betrachtet, fasst allenfalls vorübergehend die Scharniere ins Auge, welche die Tafelbilder miteinander verbinden. Doch darf nicht übersehen werden, dass sie es sind, welche das differenzierte Bildwerk zur Einheit verbinden und zwischen seinen Teilen in beweglicher Weise vermitteln. In M.s eschatologischem Triptychon wird den biblischen und kirchlichen Traditionsbeständen der theologischen Lehre von den Letzten Dingen jene verbindende, vermittelnde und Bewegung ermöglichende Scharnierfunktion zugedacht. Als erstes Scharnier (39–60) zwischen erster und zweiter Tafel fungiert die Thematik von Leben und Tod in Gottes Verheißungen. Erörtert werden das alttestamentliche Todesverständnis unter besonderer Berücksichtigung der Weisheitsliteratur, Ez 37,1–4 und Jes 24–27 sowie die neuen Horizonte, welche durch die apokalyptische Bewegung im Frühjudentum in Erwartung des nahen Anbruchs des endzeitlichen Gottesreiches erschlossen wurden. Antizipiert ist die Ankunft des eschatologischen Reiches Gottes nach dem Bekenntnis des christlichen Glaubens im Osterereignis als der Offenbarung des dreieinigen Lebens Gottes, das in ihm zum Vorschein kommt. Dem österlichen Urdatum des Christentums wird entsprechend die Funktion des zweiten Scharniers (99–139) zwischen zweiter und dritter Tafel zugedacht. Es »umschreibt – als Interpretationsraum im Wandeln vor dem Triptychon – das Sprechen und Handeln Jesu mit dem Ziel, seinen Abba und die Menschen im Reich Gottes anzuerkennen. Das biblische Fundament wird dann mit aktuellen, philosophisch-so­ziologischen Anerkennungsmodellen verbunden, so dass in einer zu erarbeitenden Eschatologie die Menschen in ihrer Identität in eine Communio eingeführt und im ewigen Leben vollendet werden können. So findet sich eine österliche Hermeneutik, welche die christliche Identität in trinitarischen Beziehungen gründet und mitten in der Welt fruchtbar macht.« (8)
Scharniere machen gelenkig und bringen Bewegung ins ansons­ten Starre. Die eschatologischen Überlieferungen jüdisch-christ-­licher Tradition sind nach M. geeignet, das menschliche Leben in der Welt aus der Erstarrung zu lösen, in die es angesichts des bevorstehenden Todes zu verfallen droht. Das Anliegen seiner Untersuchung besteht sowohl darin, »den oft nur noch museal und verstaubt wahrgenommenen Gegenständen des Traktats von den so genannten ›Letzten Dingen‹ neues Leben einzuhauchen« (V), als auch in dem Bemühen, in den kulturwissenschaftlichen, soziolo-gischen und philosophischen Selbstverständigungsformen der Ge­genwart den Geist wirksam werden zu lassen, der von dem im auferstandenen Gekreuzigten offenbaren Gott ausgeht, den der christliche Glaube in der Dreieinigkeit seines ewigen Lebens für Menschheit und Welt bezeugt. Verfolgt wird dieses Ziel in der konzeptionellen Form eines eschatologischen Triptychons, dessen multiperspektivische Anschauung Respekt für das endliche Dasein einfordert, dem im Namen Gottes mit Gerechtigkeit und anerkennender Liebe zu begegnen ist, und das zugleich Aussichten eröffnet, aus denen sich ein Prospekt unvergänglicher Zukunft ergibt. Inhalt und konzeptionelle Form bedingen sich dabei nach M. wechselseitig: »Gerade eine christliche Eschatologie kann von ihrem Aufbau her nicht als isolierter Sektor in verschiedenen Wirklichkeitsdimensionen definiert werden, sie hat stattdessen die theologischen Daten unter ihrer Voraussetzung in den Relationen zu anderen Weltbereichen/Wissenschaften zu kontextualisieren und zu interpretieren/kritisieren, um in dieser vielfältigen Struktur ihre eschatologischen Aussagen sinnvoll im Verhältnis zu anderen Lebensbereichen zu tätigen.« (194)
Ein Triptychon gibt seine Bildgehalte nicht auf einen Blick zu erkennen. So verhält es sich auch mit M.s eschatologischem Entwurf. Er will im Detail und unter vielfältigen Aspekten studiert werden. In mancher Hinsicht gleicht er einem postmodernen Patchwork, das eine Gesamtschau nur bedingt zulässt und gelegentlich den Eindruck einer Flickarbeit hinterlässt. Auch M.s Diktion mutet zuweilen recht kryptisch an und weit entfernt von der Klarheit des Begriffs. Doch scheint auch hier die Form und der mit ihr verbundene Irritationseffekt Teil des inhaltlichen Programms zu sein. Nicht jedem wird sich jede Ein- und Aussicht, die M. eröffnen will, problemlos erschließen. Manches bleibt dem Leser und Betrachter möglicherweise gänzlich verborgen. Vielleicht ist für diesen Fall der Hinweis hilfreich, dass auch ein von Zeit zu Zeit verschlossenes Triptychon zur Nachdenklichkeit Anlass zu geben und die produktive Einbildungskraft auf sinnvolle Weise zu beflügeln vermag.