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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1473–1474

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Klausing, Caroline

Titel/Untertitel:

Die Bekennende Kirche in Baden. Machtverhältnisse und innerkirchliche Führungskonflikte 1933–1945.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2013. 325 S. = Veröffentlichungen zur badischen Kirchen- und Religionsgeschichte, 4. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-17-023264-8.

Rezensent:

Ulrich Bayer

Die vorliegende Arbeit entstand als Dissertation am Historischen Seminar des Fachbereichs 07 der Universität Mainz bei Michael Kißener. Caroline Klausing ist hier als Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Geschichtsdidaktik tätig.
Seit Klaus Scholder 1973 in den Oberrheinischen Studien die These vom Sonderweg der Badischen Landeskirche in der Zeit des Nationalsozialismus prägte, ist eine umfangreiche Forschungsliteratur zu diesem Komplex entstanden. Eine erste wichtige Veröffentlichung war der 1989 von Hermann Erbacher, dem langjährigen Archivdirektor der Badischen Landeskirche, herausgegebene Sammelband mit Preisarbeiten, die 1984 anlässlich des Barmen-Jubiläums entstanden sind und mehrere interessante Studien zum »Kirchenkampf« in Baden enthalten ( Beiträge zur kirchlichen Zeitgeschichte der Evangelischen Landeskirche in Baden). Von fundamentaler Bedeutung für die Erforschung der Kirchlichen Zeitgeschichte in Baden war dann die in den Jahren 1991–2005 erschienene sechsbändige Quellenedition Die Evangelische Landeskirche in Baden im Dritten Reich (hrsg. von Hermann Erbacher/Hermann Rückleben und Gerhard Schwinge). Der 2009 von Udo Wennemuth, dem derzeitigen Leiter des Landeskirchlichen Archivs in Karlsruhe, herausgegebene Band Unterdrückung – Anpassung – Bekenntnis. Die Evangelische Kirche in Baden im Dritten Reich und in der Nachkriegszeit brachte eine Reihe interessanter und facettenreicher Einzelstudien.
Was bisher fehlte, war eine genauere Untersuchung der Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche in Baden in der Zeit der NS-Diktatur. Dieses Desiderat hat nun die Vfn. mit ihrer grundlegenden Studie zur Geschichte der Bekennenden Kirche in Baden gefüllt.
Die Vfn. möchte in ihrer Untersuchung den Weg der »Bekennenden Kirche Badens verfolgen, die Prägungen, Mentalitäten und Sozialisation ihrer Protagonisten vor dem Hintergrund der vielfältigen Beziehungsverbände, theologischen wie kirchenpolitischen Bindungen analysieren und damit die Identitäten dieser Bekenntnisgemeinschaft offenlegen« (12). Diesem hochgesteckten Ziel wird die Vfn. größtenteils bei kleineren Einschränkungen gerecht. Dazu hat sie in erster Linie auf bisher unveröffentlichtes Quellen-Material aus dem Landeskirchlichen Archiv in Karlsruhe, aus dem Badischen Generallandesarchiv, aus dem Erzbischöflichen Archiv in Freiburg sowie aus dem Evangelischen Zentralarchiv in Berlin zu­rückgegriffen. Das 40-seitige ausführliche Literaturverzeichnis ist sehr präzise, die neuere Fachliteratur ist in der Darstellung gut integriert. Schade ist, dass die umfangreiche Quellensammlung »Herausgefordert«, die Siegfried Hermle und Jörg Thierfelder mit rund 400 Dokumenten 2008 zum Komplex »Nationalsozialismus und Kirchen« veröffentlicht haben, nicht in die Literatur aufgenommen wurde. Bei der wichtigen Studie von Matthias Riemenschneider über die Kirchlich-Positive Vereinigung in Baden wird leider der Autor durchgängig falsch als »Riemschneider« zitiert.
Nach einem etwas lang geratenen Einleitungsteil – die »Vor-Geschichte« der Bekennenden Kirche in Baden beginnt erst auf S. 64 – gelingt der Vfn. eine sehr gute Analyse des komplizierten Verhältnisses von Nationalsozialismus und Protestantismus. Dabei ist die Vfn. auch in den nicht-kirchenhistorischen Details sehr präzise und gibt den aktuellen Forschungsdiskurs kompakt und verständlich wieder. Im Zentrum ihrer Untersuchungen steht der Vorsitzende der Kirchlich-Positiven Vereinigung in Baden, Karl Dürr, der nach kurzer anfänglicher Zustimmung zum Nationalsozialismus dann doch relativ bald einen Kurs der klaren Abgrenzung gegenüber den Deutschen Christen in Baden einschlug und zum profilierten Vordenker der Bekennenden Kirche in Baden wurde. Bei der wirklich richtungweisenden Darstellung von Dürrs Entwicklung zwischen 1933 und 1945 hat die Vfn. intensiv den 26-bändigen Nachlass Dürrs im Landeskirchlichen Archiv Karlsruhe ausgewertet. Einmal mehr wird durch die Darstellung der Vfn. deutlich, dass auch in Baden viele führende BK-Mitglieder durchaus Nähe zur NS-Bewegung hatten, wie zum Beispiel Friedrich Hauß, der selbst NSDAP-Mitglied war. Die Vfn. weist außerdem nach, dass zahlrei che Verhaftungen von BK-Mitgliedern in Baden auf direkte De­nunziation durch Deutsche Christen zurückgingen. Nebenher gelingt ihr eine kompetente Darstellung der NS-Verfolgungsbehörden im damaligen Gau Baden (164–170). Auch die Verbindungen der Bekennenden Kirche in Baden zu Gruppen des Widerstandes wie etwa dem Freiburger Kreis um den Historiker Gerhard Ritter und den Pfarrer Otto Hof werden gut analysiert (257–272).
Das Fazit der Vfn. lautet, dass die Badische Landeskirche im Ganzen größere Schnittmengen mit den »intakten« als mit den »zerstörten« Landeskirchen gehabt habe, dafür sei vor allem das Wirken der Bekennenden Kirche in Baden verantwortlich: »Die vom Reichsbischof Ludwig Müller gewünschte kirchliche Gleichschaltung und die Eingliederung der Landeskirche in die Reichskirche scheiterten in Baden in erster Linie an dem von der Bekenntnisgemeinschaft initiierten Widerstand.« (270)
Dies ist eine insgesamt beeindruckende regionalgeschichtliche Studie. Dieser positive Gesamteindruck wird nur ein wenig durch einige kleinere Ungenauigkeiten getrübt wie zum Beispiel die Erwähnung einer Universität Lahr (131), einer badischen Kleinstadt, die nie eine Universität besaß, oder bei der Kurz-Biographie Niemöllers die Behauptung, er sei bis 1945 im KZ Sachsenhausen inhaftiert gewesen; tatsächlich war Niemöller aber von 1941 bis zur Befreiung 1945 Häftling im sogenannten Priesterblock des KZ Dachau.