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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

724–726

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Schäfer, Peter

Titel/Untertitel:

Judeophobia. Attitudes toward the Jews in the Ancient World.

Verlag:

Cambridge-London: Harvard University Press 1997. XI, 306 S. gr.8. Lw. £ 23.50. ISBN 0-674-48777-X.

Rezensent:

Ingo Broer

Das in englischer Sprache verfaßte, also nicht aus dem Deutschen übersetzte Buch des Berliner Judaisten ist in drei Teile gegliedert.

Teil I behandelt unter der Überschrift "Wer sind die Juden?" die ägyptisch-griechischen, griechischen und lateinischen Texte, die sich mit den Juden beschäftigen. Schäfer wählt für die Beantwortung dieser Leitfrage die Gesichtspunkte "Vertreibung aus Ägypten", "der jüdische Gott", "die Enthaltsamkeit von Schweinefleisch", "der Sabbat" und "Beschneidung und Mission", die in den antiken Texten als Charakteristika der Juden angeführt werden, unbeschadet der Frage, ob sie wirklich geeignet sind, als Unterscheidungsmerkmale der Juden von ihrer Umwelt zu dienen oder eher am Rande stehen.

Teil II behandelt unter der Überschrift "Zwei historische Schlüssel-Ereignisse" die Ausschreitungen gegen die Juden in Elefantine und Alexandrien. Alexandrien als der Stadt, in der nach Ansicht vieler das erste als antijüdisch zu bezeichnende Pogrom stattfand, wird sicher zu Recht das insgesamt umfangreichste Kapitel des Buches gewidmet. Sch. ist allerdings der Ansicht, daß die wesentlich früheren Vorgänge in Elefantine nicht weit weg sind von dem, was er unter Antisemitismus versteht (vgl. 135, aber auch 208). Jedenfalls gilt: "It is not the Egyptian-Greek city of Alexandria which is the mother of ’anti-Semitism’ but the very heart of Egypt itself." (135)

Teil III behandelt unter der Überschrift "Zentren des Konflikts" den Antijudaismus in Ägypten, Syrien-Palästina und Rom und die Entwicklung seiner Motive in diesen Regionen. Das letzte Kapitel dieses 3. Teils "Antisemitismus" fügt sich allerdings dieser Überschrift kaum ein und stellt eigentlich einen eigenen, wenn auch kurzen vierten Teil dar. Sch. behandelt hier die Frage, die er im Gegensatz zu anderen Autoren bewußt nicht an den Beginn, sondern an das Ende des Buches gestellt hat, nämlich wie das, was man mit unterschiedlichen Termini u. a. als Judenhaß bezeichnet, sich definieren läßt. Dabei gehen seine Überlegungen weit über eine Frage der Nomenklatur hinaus. Er plädiert dafür, die Begriffe Judenhaß, Antijudaismus etc. auf Arten von Feindschaft gegen die Juden anzuwenden, die auch andere ethnische Gruppen erleiden, die also nicht auf die Juden beschränkt sind, den Begriff Antisemitismus aber trotz oder gerade wegen seines Anachronismus "for this unique ’hatred’ which finally led to the ’Endlösung’" zu reservieren.

Das Buch informiert solide über die einschlägigen, nicht-christlichen Texte und Ereignisse bis zum 6. Jh. n. Chr., nimmt auch die Diskussion dazu auf und führt sie, z. T. in den Anmerkungen, weiter. So setzt sich der Vf. z. B. intensiv mit dem bekannten Aufsatz von Bergmann/Hoffmann, "Kalkül oder ,Mas-senwahn’" in der Strauss-Festschrift auseinander, in dem gegen den fast einstimmigen Chor der Literatur die Behauptung aufgestellt wird, die Motive für die antijüdischen Ausschreitungen lägen nicht in grundsätzlichen gegnerischen Einstellungen, sondern in konkreten Interessen-Gegensätzen, weswegen für die Auseinandersetzungen in Alexandrien der Terminus Antijudaismus auch nicht angebracht sei. Diese Auffassung teilt Sch. nicht, er hält die Aufteilung der Ursachen durch die Autoren B. und H. in religiös-kulturelle und politische für künstlich und wirft den Autoren vor, nicht in ihre Sicht der Dinge passende Informationen einfach herunterzuspielen oder gar zu unterdrücken. Dies gelte z. B. für die Tatsache, daß Philo ausdrücklich von der einheimischen ägyptischen Bevölkerung und deren tief eingesessenem Judenhaß spricht, die Autoren B. und H. diese Stellen aber eher auf die griechische Bevölkerungsschicht in Alexandrien deuten wollen.

Die Quellen werden ausführlich in Übersetzung zitiert, an den entscheidenden Stellen wird der griechische (in Umschrift) bzw. lateinische Text in Klammern zur Kontrolle beigefügt. Die zahlreichen Ergebnisse des sich dem Leser relativ leicht erschließenden Buches können hier nicht vorgestellt werden. Herausragend ist sicher, daß der Ursprung des Antisemitismus nicht erst in der christlichen Auseinandersetzung des Mittelalters mit dem Judentum wie etwa bei Langmuir gefunden wird, sondern bereits in der paganen Antike. Die Wiege des Antisemitismus liegt darüberhinaus nach Sch. nicht in Syrien-Palästina, seine Entstehung hängt infolgedessen auch nicht mit der Expansionspolitik unter den Makkabäern zusammen und ist also auch nicht etwa Reaktion auf die Zwangsjudaisierungen unter den Makkabäern. Der Ursprung des Antisemitismus liegt vielmehr in Ägypten und sein Kennzeichen ist nicht die Größe und die Härte einer Verfolgung, sondern die den Juden unterstellte Gottlosigkeit, Fremdenfeindlichkeit und der Menschenhaß - Vorwürfe, die sich z. B. bei Apion finden. "This explosive mixture reaches its climax in the alleged human sacrifice as part of the Jewish Temple worship ... The Jews as the ’evil incarnate’, denying and perverting in their xenophobic and misanthropic hatred all cherished values of humankind, conspiring against the civilized world - this I would like to argue, is the allegation which crosses the line from the ’justifiable’ to the ’unjustifiable’, from ’anti-Judaism’ to ’anti-Semitism’. It is directed against ’the’ Jews, that is, not only some but all Jews, and it has no regard for what Jews do and do not in reality - ’the’ Jews are identified as the outcasts of human civilization" (206). Der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit und des Menschenhasses sind das Herz des Antisemitismus. Diese lassen sich in Ägypten bis zum beginnenden 3. Jh. v. Chr. zurückverfolgen (bis zu Manetho und evtl. Hekataios), haben aber dort noch ältere Wurzeln. Der Anstoß (nicht zu verwechseln mit der Ursache) für den Antisemitismus ist die jüdische Absonderungstendenz, unbeschadet der Frage, inwieweit die Juden sich wirklich absonderten. Dies ist nicht entscheidend. "The only crucial question is what the Greco-Egyptian and Greek authors made out of it. They turned Jewish separateness into a monstrous conspiracy against humankind and the values shared by all civilized human beings, and it is therefore their attitudes which determines anti-Semitism." Der Antisemitismus ist so nach Sch. ein Amalgam aus antijüdischen ägyptischen Vorurteilen und dem weltweiten Anspruch der griechischen Kultur. Schäfer hat ein gut lesbares Buch vorgelegt, dessen Mischung aus Vorstellung der Quellen, Diskussion der einzelnen Meinungen zu den Quellentexten und Reflexion abgewogen ist. Der Leser erhält nicht nur eine gute Einführung in die Problematik der entsprechenden Texte, sondern auch sehr gute Zusammenfassungen der Vorgänge in Elefantine und Alexandrien und eine Bewertung des Antisemitismus in den damaligen Zentren der Macht. Das Wesen des Antisemitismus wird sicher weiter zu diskutieren sein.

Der deutsche Leser fragt sich, wieso in den letzten 20 Jahren im englischsprachigen Raum zahlreiche Bücher zu diesem Thema erscheinen konnten, während dies in dem Land, dessen Bevölkerung den Holocaust zu verantworten hat, bei weitem nicht in gleichem Maße der Fall ist. Ein vergleichbares Buch liegt für den deutschsprachigen Raum m. W. nicht vor.