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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1466–1468

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Reinholdt, Katharina

Titel/Untertitel:

Ein Leib in Christo werden. Ehe und Sexualität im Täufertum der Frühen Neuzeit.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012. 325 S. m. 11 Abb. = Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, 227. Geb. EUR 59,99. ISBN 978-3-525-10107-0.

Rezensent:

Christoph T. Nooke

Die von W. Behringer betreute Studie wurde im April 2012 von der Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes als Dissertation angenommen. Ihre Fragestellung ist breit angelegt: Katharina Reinholdt möchte »das komplexe Verhältnis von spiritueller Ehe-Metaphorik, Glaubensvorstellungen und Ehepraxis bei den Täufern vergleichend untersuchen« (15), die »Anpassungsfähigkeit der Täuferehen an die sich wandelnden Anforderungen sowohl innerhalb der einzelnen Gruppen als auch gegenüber ihren konfessionellen Gegnern« (16) betrachten – und damit auch eine Antwort auf die Frage nach der Balance zwischen spiritueller und weltlicher Dimension der Ehe in der Reformationszeit formu-lieren.
Der Gegenstandsbereich der Untersuchung ist recht weit ge­fasst, zeitlich wird schwerpunktmäßig das 16. Jh. untersucht, jedoch gibt es Ausflüge ins 17. Jh. Ebenso beschränkt sich die Untersuchung nicht auf ein fest umrissenes Gebiet. Sicherlich ist es zudem schwierig, trennscharf zu bestimmen, was konkret als »Täufer« zu bezeichnen ist. Die Vfn. beschränkt sich auf das Kriterium der Bekenntnistaufe bzw. der Ablehnung der Kindertaufe, macht aber gleichzeitig deutlich, dass »die Verinnerlichung eines Katalogs täuferischer Glaubenssätze kein Kriterium dafür sein kann« (21). Vielmehr sollen auch heimliche und vermeintliche Täufer sowie Sympathisanten miteinbezogen werden. Diese disparate Gruppe zu untersuchen, birgt die Gefahr der Unübersichtlichkeit. Da sie auch zur Kritik an bisherigen Forschungstrends angetreten ist, will sich die Vfn. explizit einer quellennahen Darstellung verpflichten. Sie konzentriert sich aufgrund des breiten Untersuchungsobjektes auf die »zahlreichen edierten Quellen zur Ge­schichte der Täufer« (22), ergänzt um Archivmaterial, zeitgenössische Druckschriften (vor allem Flugschriften): gattungsmäßig also in Täuferakten, Märtyrerspiegel und täuferische Bekenntnisse bzw. Schriften und exemplarisch Polemiken der Gegner. Da diese Quellen trotz ihrer Masse und im Gegensatz zur »theologischen Aufladung des Geschlechterverhältnisses […] verhältnismäßig wenig und wenig Ausführliches zum Thema Ehe« (23) enthalten, entscheidet sich die Vfn. für einen »multiperspektivischen Zu­gang«, der ohne Gewichtung den jeweils spezifischen Blick auf die Eheproblematik in den Fokus der Analyse stellt. Strukturell liegt hier ein Grundproblem der Arbeit, da sich die Multi-Perspektive häufig aufgrund fehlender Verknüpfungen und Einordnungen recht nah an die Unschärfe heranbewegt.
Die Arbeit gliedert sich (26 f.) in fünf Kapitel: Die Untersuchung des Motivs der Brautmystik in Schriften der Täufer, der nuptialen Theologie bzw. der »spirituellen Ehe«, bildet die Grundlage, wohingegen die folgenden Kapitel diese Konzeption in die praktische Umsetzung vertiefen. Spirituelle Ehe und sexuelle Devianz werden im zweiten Kapitel hinsichtlich Art, Ausmaß und Funktion dargestellt und analysiert. Kapitel 3 widmet sich der Eheschließungspraxis, die einerseits identitätsstiftend für die Gruppierungen an-gelegt war, sich andererseits in Anpassung und Spannung zur mehrheitlichen Praxis gestaltete. Besonders am Phänomen der Ehe­meidung werden die Auswirkungen der Überordnung des Glaubens über die Ehe in täuferischen Kreisen deutlich; dieses konfliktreiche Feld untersucht Kapitel 4. Mit der Untersuchung der Praxis und Grundlagen der Ehescheidung und -trennung schließt die thematische Analyse in Kapitel 5. Fazit und Ausblick resümieren die Ergebnisse bezüglich der Dimensionen Innovation, Ab­grenzung und Umsetzung täuferischer Ehekonzepte.
Im Ergebnis der Untersuchung wird deutlich, in welchem Zu­sammenhang das Konzept von Ehe und Sexualität mit grundlegenden täuferischen Vorstellungen steht. Schon zeitgenössisch wurde eine abweichende Praxis in Ehescheidung und Sexualleben als sichtbare Folge vom »Täuferglauben« wahrgenommen (9). Ge­genüber der reformatorischen Betrachtung der Ehe als »weltlich ding« stellten Täufer die religiöse Dimension der Geschlechterbeziehung heraus. Darüber hinaus wollten sie die Sexualität vom Verdacht sündhafter Triebhaftigkeit befreien (10). Auf einen Gegenentwurf zur reformatorischen Eheauffassung (11) lassen sich die Beobachtungen nicht reduzieren.
Entscheidend ist die Einsicht, wie die »spirituelle Ehe« als (weithin anerkannter) Ausdruck für die Gottesbeziehung des Einzelnen wie der Gemeinschaft erst nachgängig von den Täufern wieder symbolisch in die Handlungsdimension des Geschlechterverhältnisses übertragen wird. Die Vorstellung der eigenen Auserwählung und »Reinheit« steht im Hintergrund der täuferischen Ehe- und Sexualitätskonzepte. Somit erhält die (freilich sehr plurale) andersartige Praxis in diesem Feld die Funktion als Abgrenzung.
Wenn nun die Vfn. verschiedene Gruppen diesbezüglich analysiert, verbleibt die Beobachtung oftmals in kleinräumigen Perspektiven. Da die Studie eigentlich dazu beitragen möchte, ein differenzierteres Bild des Täufertums zu vermitteln, hätte eine Einordnung, Verknüpfung und Gewichtung der Beobachtungen geholfen, das multiperspektivische Mosaik in richtiger Gewichtung zusammenzusetzen. Natürlich bleibt z. B. eher das Sakrament der »fleischlichen Vermischung der Brüder und Schwestern« (79) als »Christierung« oder »Christerie« der »Blutfreunde aus der Wiedertauf« (77) erinnerlich als die Einsicht, dass dies nicht flächende-ckend der Fall war – was ja als grundsätzliches Problem des Um­gangs mit dieser Thematik von der Vfn. früh erkannt wird. Doch dies ist eine Anfrage an die grundlegende Methodik der Studie. Erst abschließend bietet die Vfn. eine Klammer der untersuchten disparaten Täufergruppen und Konzepte: »Gemäßigte wie radikale Täufer haben auf sehr unterschiedliche Weise mit der Anwendung der Ehemetaphorik auf ihre konkreten Ge­schlechterbeziehungen die gleiche Sehnsucht zum Ausdruck gebracht, die Sehnsucht ›ein Leib in Christo‹ zu werden.« (284)
Die Vfn. schlägt dennoch wichtige Pfade zu einem differenzierteren Blick auf die Täufer: Neben der o. g. theologischen Grundierung und Verknüpfung durch die »spirituelle Ehe« ist z. B. die Einsicht wichtig, beim sexuell devianten Verhalten der Täufer habe es sich mitnichten um Libertinismus und freie Liebe gehandelt, sondern um ein rituellen Regeln unterworfenes Geschehen. Interessant erscheint die Spannung dieser Praktiken zur auch zu beobachtenden relativ normal verlaufenden Eheschließungspraxis der Täufer. Ob dies nun als »Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft« (119) gedeutet werden muss, sei dahingestellt. Offenbar handelt es sich ja gerade um unterschiedliche Gruppierungen innerhalb der Täufer. Die schlimmen Folgen, die die täuferische Hierarchisierung von Glauben und Leben zeitigen konnte, liegen auf der Hand im Bereich der Ehemeidung und -scheidung. Dass auch Täufer an überzogenen religiösen Ansprüchen scheitern konnten und es so neben allen Brüchen zu den Zeitgenossen auch Kontinuitäten gab, leuchtet ein (281).
Die Vfn. möchte die Täufer in dieser Hinsicht als reformatorische Gruppe verstehen, die sich nicht aus spätmittelalterlichen Sekten herleitet, sondern vielmehr eventuell als »Prototyp« einer »radikal-reformatorischen Ausdrucksform […], die sich bis ins 20. Jahrhundert verfolgen lässt« (283). Ob jedoch sexuell deviantes Verhalten, ritualisierte Formen der Geschlechterbeziehung und be­stimmte Ehekonzepte als Verknüpfung über die Jahrhunderte dienen können?
Insgesamt vermag diese Studie sicherlich einen überkommenen Blick auf das Täufertum zu nuancieren und tiefenschärfer zu fassen, hätte aber vielleicht durch eine klarere Struktur der Darstellung die Chancen eines multiperspektivischen Herangehens in der Analyse ertragreicher umsetzen können.