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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1437–1439

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Labouvie, Sandra

Titel/Untertitel:

Gottesknecht und neuer David. Der Heilsmittler für Zion und seine Frohbotschaft nach Jesaja 60–62.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2013. 402 S. = Forschung zur Bibel, 129. Kart. EUR 42,00. ISBN 978-3-429-03641-6.

Rezensent:

Judith Gärtner

In der neueren Forschung zu dem sogenannten tritojesajanischen Textbereich Jes 56–66 setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass es sich bei diesen Texten in weiten Teilen um Schriftprophetie handelt, die ihrerseits die bereits vorliegende Jesajatradition auslegend modifiziert. Hieran knüpft die im Wintersemester 2012/13 von der Theologischen Fakultät Trier angenommene und von Renate Brandscheidt betreute Dissertation von Sandra Labouvie an, um – fokussiert auf diese Fragestellung – nach dem »Ich« des Sprechers in Jes 61,1–2 zu fragen, »die Wurzeln der in Jes 60–62 anfallenden Glaubensvorstellung von einem Heilsmittler Jahwes für Zion« (14) zu erarbeiten und diese als einen Höhepunkt des eschatologischen Glaubensdenkens der Gesamtkomposition in Jes 60–62 herauszustellen.
Nach einer knappen Einleitung (1–14), die in die Fragestellung und die Forschungslage einführt, ist die Studie in drei Hauptabschnitte untergliedert. Der erste Abschnitt (I.) bietet eine text- und literarkritische Untersuchung zu Jes 60–62 (15–82), der sich unter II. eine formkritische Untersuchung des Textkomplexes anschließt (83–102). Der Schwerpunkt liegt auf der traditionsgeschichtlichen Untersuchung, die unter III. den umfangreichsten Teil der Studie ausmacht (103–335). Unterteilt wird dieser Abschnitt noch einmal in eine semantische Analyse von Jes 60–62 (A.) und einen als theologische Synthese überschriebenen Abschnitt (B.), in dem die Vfn. die Ursprünge und die Entwicklung der »Zion-David-Überlieferung« sowie der Gottesknechtslieder ausführt. Die Arbeit schließt mit einem Anhang, der neben dem Literaturverzeichnis und einem Bibelstellenregister auch einen nach den literarischen Schichten gekennzeichneten Text Jes 60–62 präsentiert.
Der erste Abschnitt (I.) ist so aufgebaut, dass zunächst jeweils die textkritischen Probleme der einzelnen Kapitel erörtert werden, bevor sich die literarkritische Analyse anschließt. Dabei basieren die literarkritischen Entscheidungen zum einen auf der Beobachtung, dass der Grundbestand der Kapitel jeweils aus zehn Doppelstichen besteht. Zum anderen versucht die Vfn. im Sinne von Tendenzkritik eine Argumentation der Grundschicht zu profilieren, die von der Heilsankündigung für Zion (Jes 60,1–2.5–6a αb.11a. 13a.14b) mit dem Heilsmittler für Zion im Zentrum (Jes 61,1.2b.3* . 4.11) zur Herrlichkeit des neuen Zions (Jes 62,1–2.aβγb.5.12) übergeht. Diese konzentrische Struktur wird dann in der formgeschichtlichen Analyse (II.) weiter ausgeführt.
Als Bearbeitungsschicht gibt die Vfn. Jes 60,3–4.7–10.11b.13b. 14a.15–22; 61,2a.5–6.7aα.8–9.10; 62,3–4aα.6–11 an. Hinzu kommen vier Glossen in Jes 60,6aβ.12; 61,3aα*.7aβb. Bei dieser Analyse kann man sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass die Vfn. ihre literarkritischen Entscheidungen im Einzelnen deutlich von ihrer These, der Fokussierung auf den Heilsmittler, her bestimmt hat, zumal die Bearbeitungsschicht literarhistorisch weitgehend undifferenziert bleibt, obwohl die Vfn. anführt, dass auch diese auf mehrere Hände zurückgehe (vgl. z. B. 81). Diese Behauptung wird aber weder präzisiert noch ausgeführt. Darüber hinaus vermischen sich in der Argumentation der Vfn. die beiden literarischen Schich ten zunehmend. Dies gilt durchgehend für den traditionsgeschichtlichen Teil (III.B), aber eben auch schon für die literarhistorische Argumentation selbst. So führt die Vfn. den in Jes 60,3 als Bearbeitungsschicht herausgestellten Vers des Völkerzugs an, um die Grundschicht in Jes 62,1 f. zu begründen (vgl. 74).
Der dritte und umfangreichste Teil der Studie (III.) widmet sich der traditionsgeschichtlichen Aufarbeitung der in Jes 60–62 verwendeten Vorstellungszusammenhänge. Ihm voran geht eine semantische Ana­lyse einzelner Begriffe im Kommentarstil. Hier wä­ren eine ab­schließende Gewichtung der untersuchten Begriffe sowie eine Auswertung im Hinblick auf die sich anschließende traditionsgeschichtliche Analyse äußerst hilfreich gewesen, um die Bedeutung dieses Abschnitts für die Untersuchung im Ganzen einordnen zu können.
In diesem Abschnitt versucht die Vfn., den Vorstellungszusammenhang der »Zion-David-Tradition« umfassend von seinen An­fängen bis zur Rezeption in Jes 60–62 darzustellen. Dabei verliert die Vfn. in manchen Teilen aber den Fokus auf die Rezeption in Jes 60–62, so dass dieser Teil insgesamt unnötige Längen aufweist (vgl. z. B. das Referat über die Geschichte Israels zur Zeit Joschijas, 227–232). Hinzu kommt, dass die neuere Diskussion zur Entstehung der Zionstradition, wie sie z. B. von Beate Ego, Friedhelm Hartenstein, Jan Kreuch, Corinna Körting u. a. in jüngster Zeit geführt worden ist, nicht berücksichtigt wird. Die Intention der Vfn. ist es, die Zions- und die Davidüberlieferung als einen von Anfang an aufeinander bezogenen Vorstellungszusammenhang zu beschreiben. Dazu rekonstruiert sie auf der Basis der Samuel- und der Königebücher einen Vorstellungszusammenhang vom Ursprung des da­vidischen Königtums über Salomo, Hiskija und Joschija bis zum Untergang desselben, wie es in Ps 89 reflektiert wird. Problematisch an ihrer Rekonstruktion ist, dass die Vfn. dabei weder die literar-his­torische Vielschichtigkeit der Textbereiche noch z. B. die deuteronomistische Interpretation des davidischen Königtums berücksichtigt. Stattdessen nimmt sie in weiten Teilen dieses Abschnitts keine traditionsgeschichtliche, sondern eine bibelkundliche Darstellung vor. Auf dieser Basis resümiert sie dann:
»Als König von Israel ist David der Repräsentant Jahwes und das Werkzeug seines Rettertums bei der Aufrechterhaltung und Durchsetzung seines Herrschertums in den Unternehmungen der Landnahme in Kanaan, die mit dem theokratischen Königtum Davids ihren Abschluss gefunden haben.« (216)
Die Gottesknechtslieder (Jes 42,1–9; 49,1–9; 50,4–9; 52,13–53,12) versteht die Vfn. als eine Neuorientierung der »Zion-David-Überlieferung« im Exil. Ausgehend von einer individuellen Deutung der vier Gottesknechtslieder präsentiert sie ihre Exegese des Textbereichs. Diese zielt darauf, der »Zion-David-Tradition« »eine der Eschatologie des Jahweglaubens entsprechende Funktion« zuzuweisen (314). Auf der Basis der von Gott berufenen Rettergestalten haben die Gottesknechtsüberlieferungen dazu eine Synthese des deuteronomistischen Mose- und Davidbilds vollzogen, um vor allem vor dem Hintergrund des dtr Davidbildes den Gottesknecht als neuen David zu zeichnen. Nach Ansicht der Vfn. vermag es der Gottesknecht, dem Gottesvolk mit dem Exodus aus dem Gericht auch den Eisodus zum Endheil bzw. zur endzeitlichen Manifestation der u niversalen Königsherrschaft Jahwes auf dem Zion zu eröffnen (317). Diesen Sachverhalt sieht die Vfn. als traditionsgeschicht-lichen Hintergrund der Trilogie in Jes 60–62 anlässlich der Rückkehr der Exilierten und der Wiedereinweihung des Tempels. Ak­tualisiert werden die Gottesknechtsvorstellungen dahingehend, dass der Mittler der endzeitlichen Königsherrschaft Jahwes als ein neuer David als eine ideale Realität im Horizont einer sich realisierenden Eschatologie der Gemeinde vorgestellt werde (325).
Insgesamt aber bleibt zu fragen, ob die von der Vfn. vorgenommene, aber nicht begründete Synthese einer »Zion-David-Überlieferung« für die traditionsgeschichtliche Analyse von Jes 60–62 zielführend ist. Denn betrachtet man den Ertrag genauer, ist auffallend, dass er vor allem auf die Untersuchung der Gottesknechtslieder zurückgeht, während die Abschnitte über die sogenannte vorexilische »David-Zion-Tradition« von der Vfn. kaum für das Verständnis von Jes 60–62 fruchtbar gemacht werden. Dies liegt daran, dass die vor allem Jes 60 prägende Zionstradition ihre Wurzeln eben nicht in einer sogenannten »David-Zion-Überlieferung« hat, sondern in einer spezifischen jesajanischen Rezeption der Zionstradition. Deswegen wäre es für das Verständnis von Jes 60–62 er­tragreicher gewesen, gerade an dieser Stelle traditionsgeschichtlich differenziert zu arbeiten, um die für Jes 60–62 spezifische Zu­sam­menführung der Zionstradition mit den Vorstellungen eines ge­salbten Heilsmittlers einschließlich der Überlieferung der Gottesknechtslieder präzise erfassen zu können.