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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1430–1431

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Jenott, Lance, and Sarit Kattan Gribetz [Eds.]

Titel/Untertitel:

Jewish and Chris­tian Cosmogony in Late Antiquity.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. X, 336 S. = Texts and Studies in Ancient Judaism, 155. Lw. EUR 114,00. ISBN 978-3-16-151993-2.

Rezensent:

Thomas J. Kraus

Grundsätzlich spielen Vorstellungen über die Anfänge der Welt und den Einfluss, den diese Vorstellungen letztlich auf die Ausprägung religiöser Inhalte und Praktiken hatten, eine bedeutende Rolle in allen Religionen. Schließlich handelt es sich um existentielle Fragen menschlicher Bedeutungsbestimmung: Was ist die Welt? Woher kommt sie? Was ist der Mensch? Welche Rolle spiele ich selbst darin? Wer bin ich? Die Reihe solcher Fragen ließe sich problemlos so ausdehnen, dass diese mehrere Seiten einnähmen, und diese Fragen gelten ebenso für den Kontext jüdischer und christ-licher Kosmogonie in der Spätantike, wie der Titel des hier zu betrachtenden Sammelbands vorgibt. Dessen 14 Beiträge – allesamt auf Englisch – gehen auf ein Kolloquium just zu diesem Themenbereich an der Universität Princeton im Mai 2010 zurück.
Dem summarischen Text des inneren Schutzumschlags zufolge ist mit den vorgelegten Beiträgen beabsichtigt aufzuzeigen, wie Juden und Christen die Entstehung der Welt verstanden und wie dieses Verständnis ihre Welt(sicht) formte. Neben biblischer Hermeneutik und unterschiedlichen Interpretationsansätzen sollen auch verschiedene antike Lebensbereiche als Kontexte dienen. Na­türlich kommt man dann auch nicht umhin, die Juden- und Christentum gemeinsame Tradition von der Schöpfung der Welt, deren Rezeption und Interpretation sowie deren Auswirkungen auf religiöse Vorstellungen, Traditionen und Praktiken näher beleuchten, dabei dann auch überlappende und konkurrierende Konzeptionen jüdischer und christlicher Gemeinden darstellen zu müssen.
Wie für die Reihe Text and Studies in Ancient Judaism üblich, beinhaltet der Band Vorwort, Inhaltsverzeichnis, Abkürzungsliste und Indizes (Verweisstellen und Themen). Eine Bibliographie (287–309) sammelt die in den Beiträgen bereits schon bei ihrer Erstzitation vollständig angeführten Titel. Die Verfasserinnen und Verfasser der Beiträge sind unter Angabe ihrer akademischen Zugehörigkeit eigens aufgelistet (311).
Gerade der einführende Aufsatz der beiden Herausgeber (»In the Beginning: Cosmogony in Late Antiquity«, 1–20) ermöglicht einen raschen und zugleich durchaus bereits profunden Einstieg in die Thematik. Jenott und Kattan Gribetz geben darin auch die generelle Anlage des Sammelbands vor. Nach einer lesenswerten Kurzeinleitung führen sie anhand von Kurzzusammenfassungen der Beiträge gleichzeitig in die einzelnen Unterabschnitte des Buchs ein.
So finden sich drei Beiträge unter der Überschrift »Scripture and Interpretation« (James C. VanderKam, »Made to Order: Creation in Jubilees«, 23–38; Yair Furstenberg, »The Rabbinic Ban on Ma’aseh Bereshit: Sources, Contexts and Concerns«, 39–63; Geoffrey S. Smith, »Constructing a Christian Universe: Mythological Exegesis of Ben Sira 24 and John’s Prologue in the Gospel of Truth«, 64–81), vier im Abschnitt »Theology and Anthropology« (Maren R. Niehoff, »The Emergence of Monotheistic Creation Theology in Hellenistic Judaism«, 85–106; Tuomas Rasimus, »The Archangel Michael in Orphite Creation Mythology«, 107–125; Gwynn Kessler, »Constant Creation: (Pro)creation in Palestinian Rabbinic Midrashim«, 126–138; Christian Wildberg, »Corpus Hermeticum, Tractate III: The Genesis of a Genesis«, 139–164) und dann jeweils drei in »Pedagogy and Ethics« (Richard A. Layton, »Moses the Pedagogue: Procopius, Philo, and Didymus on the Pedagogy of the Creation Account«, 167–192; Alexander Kocar, »›Humanity came to be according to three essential types‹: Anthropogony and Ethical Responsibility in the Tripartite Tractate«, 193–221; Lance Jenott, »Recovering Adam’s Lost Glory: Nag Hammadi Codex II and its Egyptian Monastic Environment«, 222–236) und »Space and Ritual« (Naomi Koltun-Fromm, »Rock Over Water: Pre-Historic Rocks and Primordial Waters from Creation to Salvation in Jerusalem«, 239–254; Mika Ahuvia, »Darkness Upon the Abyss: Depicting Cosmogony in Late Antiquity«, 255–270; Ophir Münz-Manor, »The Ritualization of Creation in Jewish and Christian Liturgical Texts from Late Antiquity«, 271–286).
Die Überschriften der vier Teile sind wohl mit ihren abstrakten Doppeltermini bewusst so vage gehalten, um einzelne Beiträge überhaupt diesen Teilen näher zuordnen zu können oder, in anderen Worten, eine nachvollziehbare Struktur für die Gruppierung der Beiträge zu erlangen. Bei einem Sammelband, noch dazu wenn er auf eine Konferenz oder dergleichen zurückgeht, lässt es sich kaum vermeiden, dass die Beiträge in Länge und – gerade für den vorliegenden Band zutreffend – Qualität voneinander abweichen. So hebt sich etwa James VanderKams souveräne Analyse des Jubiläenbuchs (in erster Linie dessen Kapitel 2 im Zusammenhang mit Gen 1–2) deutlich von manch anderem Aufsatz im Band ab oder legt Christian Wildberg eine neue, eigenständige Übersetzung von Corpus Hermeticum III vor (161–162), wodurch seine Studie allein schon klar über das Stadium des Sammelns und Bewertens hinausragt. Auch hinsichtlich der Behandlung von jüdischer und christlicher Kosmogonie in der Spätantike mag es etwas befremden, dass gerade die Gnosis und gnostische Texte überrepräsentiert wirken, also die Gewichtung innerhalb des gesetzten Themas dann so erfolgte.
Im Hinblick auf die Leserschaft bleibt zu vermerken, dass jene, die eine systematische Darstellung erwarten, sicherlich enttäuscht sein werden. Doch das ist dem Band und den Herausgebern nicht anzulasten, bringt dies doch eine Konferenz oder ähnliche Veranstaltung naturgemäß mit sich. Der Band bietet in vielen Beiträgen wichtige, profunde und nachhaltige Aspekte, je nachdem, in welche Richtung sich die fachlich vorinformierte Leserschaft bislang orientierte. Viele schwerpunktmäßige Nahaufnahmen ermöglichen so auch den dezidierten Blick auf Aspekte und vor allem Texte, die sonst nicht im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen. Die guten Indizes sowie die Sammelbibliographie für alle Buchbeiträge sind hier verdienstvolle Serviceleistungen, die eine rasche und zielgerichtete Orientierung ermöglichen. Es bleibt zu hoffen, dass gerade die tiefergehenden und innovativen Aufsätze in diesem Band nicht das gleiche Schicksal ereilt, wie dies für so manch anderen wichtigen Beitrag in einem Sammel- bzw. Konferenzband der Fall war, nämlich dass diese kaum bis keine Beachtung finden.