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Ausgabe:

Dezember/2014

Spalte:

1424–1426

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Stosch, Klaus von

Titel/Untertitel:

Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religionen.

Verlag:

Paderborn u. a.: . Ferdinand Schöningh Verlag 2012. 356 S. = Beiträge zur Komparativen Theologie, 6. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-506-77537-5.

Rezensent:

Christiane Tietz

Der katholische Systematische Theologe Klaus von Stosch legt mit diesem Band die erste deutschsprachige, durchaus programmatisch zu nennende Konzeption Komparativer Theologie vor. Als eigener Zugang zur theologischen Beschäftigung mit der Vielfalt der Religionen im angelsächsischen Bereich seit gut 20 Jahren etabliert, hat die Komparative Theologie hierzulande erst seit einigen Jahren – vor allem durch die Arbeit des vom Vf. gegründeten »Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften« an der Universität Paderborn – Aufmerksamkeit erfahren. Das gut lesbare Buch bündelt und reflektiert die Erfahrungen, die dieser in der komparativen Dialogpraxis vor allem mit islamischer Theologie gemacht hat.
Der Vf. beginnt mit einer Bewertung der sogenannten »Theologie der Religionen« (17–131). Dieser gelinge es nicht, dem doppelten Anliegen gerecht zu werden, »einerseits andere religiöse Traditionen und deren Anhänger in ihrer Andersheit wertschätzen und andererseits am eigenen Anspruch auf Wahrheit und Verbindlichkeit festhalten zu wollen« (11). Um dies zu zeigen, diskutiert der Vf. verschiedene Ansätze des Pluralismus, Exklusivismus und Inklusivismus, ergänzt durch Modelle »auf der Schnittstelle zwischen Pluralismus und Superiorimus«. Am pluralistischen Ansatz kritisiert er zu Recht, dass die Religionen in ihrem eigenen Wahrheitsanspruch nicht ernstgenommen werden, während der pluralistische Theologe seinerseits in eine Gottesperspektive eintritt. Der Exklusivismus vermag den Anderen gar nicht zu würdigen, der Inklusivismus würdigt den Anderen nicht in seiner Andersheit, sondern nur vom Eigenen her.
Der nächste Teil (133–252) stellt die wichtigsten Vertreter der Komparativen Theologie vor und widmet sich dann Methoden, Zielen und philosophischen Grundlagen der Komparativen Theologie. Ihr Ziel ist »Neuverstehen des Eigenen, Würdigung des Fremden und Suche nach der Wahrheit« (154). Ob auch die andere Religion Wahrheit enthält, wird im Vorfeld des Dialoges nicht entschieden, sondern soll sich erst in ihm ergeben. Komparative Theologie arbeitet eben nicht auf einer Metaebene über den konkreten Religionen, sondern durch einen kleinschrittigen Religionsvergleich. Mikrologisch wird ein Vergleich von Einzelthemen durchgeführt: »genau spezifizierter theologischer, literarischer oder konfessorischer Texte, konkreter Rituale, klar umgrenzter Glaubensinhalte, bestimmter theologischer Konzeptionen jeweils in begrenzten Kontexten und historisch genau umgrenzten Zeiträumen« (194). Dabei muss mein Verstehen des Anderen immer an seinem Selbstverstehen überprüft werden. Der gleichzeitige Blick des Anderen auf meine Religion, aber auch das, was ich bei ihm entdecke, impliziert das Wagnis, auch in der eigenen religiösen Überzeugung verändert zu werden. Durch die Einbeziehung einer dritten Instanz soll eine zu billige Einigung vermieden werden. Mein schließlich im Dialog gefälltes würdigendes – oder auch widersprechendes – Urteil über die Religion des Anderen ist reversibel.
Der Vf. begründet die Wendung von der Theologie der Religionen hin zur Komparativen Theologie mit dem Charakter religiöser Überzeugungen, den er im Anschluss an den späten Ludwig Wittgenstein bestimmt. Weil sie nicht nur kognitiv-propositional, sondern auch expressiv-regulativ sind, können sie nicht unabhängig von menschlichen Sprachspielzusammenhängen verglichen werden. »Religiöse Überzeugungen sind […] so eng mit dem Weltbild religiöser Menschen verwoben, dass ihre Bedeutung erst verständlich wird, wenn deutlich ist, auf welche Weise diese Glaubenssätze das Leben der Gläubigen regeln.« (188) Dazu ist auch das Sprachspiel des Anderen in gewisser Weise mitzuspielen. Komparative Theologie braucht den Dialog.
Für das Gelingen dieses Dialogs identifiziert der Vf. fünf Grundtugenden: die Haltung epistemischer Demut, die konfessorische Verbundenheit mit der eigenen Tradition (wobei der Dialog durchaus eine missionarische Dimension enthalten darf, insofern ich »für die eigene Wahrheit eintrete, ohne deswegen schon vorher zu wissen, was diese Wahrheit für die Position des anderen bedeutet und wie sie sich zu seinen Wahrheitsansprüchen verhält«, 158), die Unterstellung eines gemeinsamen Erfahrungsraums, die den Vergleich möglich macht, sowie die Haltung der Empathie für den Anderen und eine Gastfreundschaft für seine Wahrheit im eigenen Denken.
Das letzte Drittel des Buches (255–338) ist, neben einem abschließenden Kapitel zur Institutionalisierung Komparativer Theologie in der deutschen Universitätslandschaft, zwei Punkten gewidmet, in denen der Vf. die drängendsten Herausforderungen für die ge­genwärtige Ausgestaltung der Komparativen Theologie ausmacht: die Rolle der Christologie im interreligiösen Dialog und eine Kriteriologie interreligiöser Urteilsbildung.
An der letztgenannten Stelle liegt wohl die wichtigste Klärungsaufgabe der Komparativen Theologie. Damit es nicht zu einer Präjudizierung aus der Perspektive der eigenen Religion kommt, entwickelt der Vf. eine rein formale Kriteriologie von Kontingenzbewusstsein, Konsistenz, Kohärenz und Symmetrie. Doch kann man durch solche formalen Kriterien wirklich die Wahrheit einer Religion entscheiden? Aus evangelischer Perspektive wird man zu einer Vorordnung der autonomen Vernunft schwerlich Ja sagen können. Dass es gelingen kann, »die im Geist ermöglichte Erkenntnis von Jesus als dem Christus auch noch einmal mit der autonomen philosophischen Vernunft und einem von ihr gebildeten Be­griff des Unbedingten zu überprüfen« (51), ist aus evangelischer Sicht nicht zu erwarten, und zwar aufgrund sowohl der Kontex­tu- alität der Vernunft als auch der Konkurrenz des biblisch-ge­schichtlich bezeugten Gottes zu einem allgemeinen Gottesbegriff.
Freilich ist das Anliegen der Komparativen Theologie, den Anderen in seiner Andersheit und nicht nur nach meinen eigenen Kriterien zu würdigen, nachvollziehbar. Wenn Komparative Theologie aber auch bedeutet, der eigenen religiösen Gebundenheit Rechnung zu tragen, dann wäre stattdessen zu fragen, ob man nicht auch die Bewertungskriterien für die je konkret sich begegnenden Religionen dialogisch entwickeln kann. Warum müssen dies religions-neutrale Kriterien sein? Wird damit nicht doch vorausgesetzt, dass es eine sprachspielunabhängige Vogelperspektive gibt, aus der man Religionen bewerten kann? Wäre es nicht stattdessen möglich, je eigene Kriterien im Dialog zu entwickeln, die der Andere nachvollziehen und akzeptieren kann, auch wenn sie nicht die eigenen sind?
In jedem Fall ist dem in diesem Band vertretenen Ansatz der Komparativen Theologie auch im evangelischen Bereich verstärkte Aufmerksamkeit zu wünschen. Seine Stärke liegt darin, nicht vor dem Dialog Urteile über die Wahrheit der anderen Religion zu fällen, sondern nur auf dessen Basis. Er bringt zur Geltung, dass man wirklich miteinander reden muss, um die Wahrheit über die Religion des Anderen herauszufinden.